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Protestbewegung Extinction Rebellion
Die Angst vor dem Aussterben

Nach Berlin fahren, auf die Straße setzen, sich verhaften lassen. So demonstrieren die Aktivisten von Extinction Rebellion für mehr Klimaschutz. Ihre Botschaft: Es geht ums Überleben. Ein Besuch bei einer Ortsgruppe.

Von Carolin Born | 18.10.2019
Demonstranten der "Extinction Rebellion" blockieren Staßen und Brücken in Berlin
Demonstranten der "Extinction Rebellion" während einer Straßenblockade in Berlin: Kritiker werfen den Aktivisten vor, Ängste zu schüren. (Michael Sohn/AP)
"Ich bin Heike, Heike Brassel von Extinction Rebellion. Ich bin im normalen Leben Heilpraktikerin/Psychotherapie. Bin verheiratet, hab zwei Kinder, Häuschen, Hund und Katze. Und trotzdem fahre ich nach Berlin, setze mich auf die Straße, lasse mich verhaften und mache ganz komische Sachen, die ich bisher noch nie getan habe."
Der Grund, warum Heike Brassel sich bei Extinction Rebellion engagiert: Sie hat Angst vor dem Klimawandel - oder wie sie sagt: vor der Klimakrise? Ihr geht es um nichts weniger als das Überleben der Menschheit. Deswegen hält sie im Hörsaal der Universität Bonn einen Vortrag mit dem Titel: Aufstand oder Aussterben. Ihre 13 Zuhörer warnt sie davor, dass es gleich unangenehm werden könnte.
Und stimmt sie auf Bilder ein: "Wir machen ein, zwei Minuten, die ihr euch nehmt, um euch mal anzuschauen: Wer sitzt neben mir? Diejenigen, die alleine sind, kucken vielleicht mal zu den anderen. Das ihr wisst, ihr seid nicht alleine, sondern wir sitzen alle im gleichen Boot."
Einen ganz anderen Warnhinweis hat die Publizistin und Ex-Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth: Sie rate davon ab, an Aktionen der Bewegung teilzunehmen, schreibt sie auf Twitter. Denn Extinction Rebellion schüre Emotionen, die den Verstand vernebeln. Angst zu machen sei eine sehr plumpe politische Strategie, so Ditfurth. Gewirkt hat diese bei einer Zuhörerin:
"Ich habe schon midway gemerkt, da kamen dann so ein paar Tränen in die Augen."
Gandhi gilt als Vorbild
So Babs aus Bonn, die sich den Vortrag angehört hat und sagt, sie sei schockiert. Obwohl es für sie nicht komplett neu war: Im März hat sie sich Extinction Rebellion angeschlossen. Angst hält sie für ein legitimes, und vor allem effektives Mittel, weil sie:
"…direkt an jeder Logik vorbeigeht, direkt aufs Rückenmarkt wirkt und damit jeden Menschen anspricht. Und bei vielen Menschen das auslöst zu sagen: Okay, ich wandele das in Aktionismus um."
Mit Angst zu arbeiten, sei nicht per se schlecht, sagt auch der Berliner Protestforscher Simon Teune. Emotionen haben auch bei der Friedens- oder Anti-Atomkraft-Bewegung eine große Rolle gespielt - genauso wie Weltuntergangsszenarien. Soziale Bewegungen können Orte sein, die diese Angst einordnen, um herauszufinden: was ist Ursache für die Bedrohung und was können wir und andere dagegen tun? Allerdings, so Simon Teune:
"Problematisch wird es dann, wenn man eine Lösung anbietet, die nur eine Lösung ist beziehungsweise wo die Handlungsmöglichkeiten der Leute, die beteiligt sind, eingeschränkt werden."
Extinction Rebellion betont: Wir sind ein gewaltfreies Netzwerk. Als Mittel nutzen sie zivilen Ungehorsam: sie wollen den Alltag stören. Gandhi gilt als Vorbild. Getrübt wird dieses Bild ausgerechnet von einem, der die Bewegung mitgegründet hat: Roger Hallam. Seit September sitzt er in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Er soll versucht haben, den Verkehr am Londoner Flughafen Heathrow mit einer Drohne lahmzulegen. Erst im Februar sagte er in einem Vortrag:
"Wir zwingen die Regierungen zum Handeln. Und falls sie das nicht tun, stürzen wir sie und errichten eine neue, geeignetere Demokratie. Und ja, einige könnten dabei sterben."
Bewegung dezentral organisiert
Babs von Extinction Rebellion grenzt sich entschieden von Hallam ab: Die Bewegung sei dezentral organisiert. Was in den zahlreichen Ortsgruppen passiere, sei unabhängig davon und habe mit Roger Hallam wenig bis nichts zu tun.
Protestforscher Simon Teune schließt nicht aus, dass an manchen Orten eine starke Folgebereitschaft gegenüber Hallam eingefordert werde – schätzt jedoch, dass dies eher in England der Fall ist. Trotz der Kritik betont er: Extinction Rebellion sei es gelungen, Menschen anzusprechen, die vorher nicht auf die Straße gegangen sind:
"Das gelingt, weil man die Menschen niedrigschwellig abholt - die Menschen, die sich angesichts der Erderwärmung große Sorgen machen."
So wie Heike Brassel. Mit ihrem Vortrag, sagt sie, wolle sie Menschen aufwecken, damit sie mit auf die Straße gehen. Dafür zeigt sie drastische Bilder: eine sintflutartige Regenbombe oder gestapelte Leichensäcke. Übertrieben ist das für sie nicht:
"Da wir die Wahrheit sagen, nehmen wir das billigend in Kauf, dass das Angst schürt."
Von der Politik fordert sie genau das: Die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit, das ist für sie die Wissenschaft: Fakten, Berichte, Prognosen. Das gibt den Aktivisten Halt und ist gleichzeitig der Grund, warum sie auf die Straße gehen.