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Proteste der Medizinstudierenden
Keine Quote, sondern "bessere Arbeitsbedingungen und Vorbilder"

Ärztemangel auf dem Land - Bund und Länder wollen diesen Trend stoppen und das Medizinstudium reformieren. Betroffene wie Malte Schmieding, Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden, sind wenig begeistert. Im DLF macht Schmieding klar: von Quoten für Landärzte hält er nichts.

Malte Schmieding im Gespräch mit Jörg Biesler | 20.05.2016
    Die Medizinstudenten Marie (l) und Helene führen in der Charité in Berlin bei der Übung "Simulierte Rettungsstelle" eine Notfallbehandlung an einem Dummy durch.
    Simulationsmedizin: Die Medizinstudenten Marie (l) und Helene üben eine Notfallbehandlung. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild)
    Jörg Biesler: Hamburg, Greifswald, Erlangen, Düsseldorf, Kiel, München – die Liste ließe sich fortsetzen. Es sind die Orte, an denen in den letzten Tagen Studentinnen und Studenten protestiert haben. Es geht um die Reform des Medizinstudiums. Darüber haben wir hier bei "Campus & Karriere" schon regelmäßig berichtet.
    SPD und CDU haben im Koalitionsvertrag einen Masterplan Medizinstudium 2020 vereinbart. Der soll auch dazu führen, dass es ausreichend Hausärzte gibt, und eine Landarztquote ist auch im Gespräch. Aus Sicht derer, um die es geht, gibt es offenbar Beratungsbedarf. Malte Schmieding ist Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Guten Tag, Herr Schmieding!
    Malte Schmieding: Guten Tag, Herr Biesler!
    Biesler: Eine Reform des Studiums halten Sie auch für nötig. Was gefällt Ihnen denn nicht an den jetzt jedenfalls schon bekannt gewordenen Koalitionsplänen?
    Schmieding: Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde ja im November 2013 verabschiedet und veröffentlicht. Und da befindet sich der Masterplan Medizinstudium im Abschnitt "Vollbeschäftigung, gute Arbeit und Soziale Sicherheit". Und deswegen, wie Sie das schon anmoderiert haben, geht es natürlich um Versorgungssicherheit im hausärztlichen Bereich, vor allem auch auf dem Land. Das ist ein sehr legitimes Ziel. Wir halten aber viele der vorgeschlagenen Maßnahmen erstens für nicht sinnvoll, vor allem auch nicht notwendig.
    Und drittens, wenn das Medizinstudium tatsächlich mit einem Masterplan weiterentwickelt werden soll, dann sollte auch das Studium so verbessert werden, damit aus den Studenten richtig gute Ärzte werden. Dafür braucht es ein richtig gutes Studium. Da sollte man viele Vorschläge, die wir machen zur Weiterentwicklung, mit einbeziehen.
    "Auch die Chirurgen haben große Nachwuchsprobleme"
    Biesler: Das sind im Grunde ja zwei verschiedene Paar Schuhe. Das eine ist das Medizinstudium, wie kann das am besten funktionieren, damit die Studentinnen und Studenten bestmöglich ausgebildet werden, das andere ist die Anforderung der Gesellschaft, Hausärzte und auch Landärzte zu haben.
    Die Planung, die jetzt aus der Beratung um das Koalitionspapier bekannt geworden ist, die sieht vor, dass es unter anderem vielleicht eine Pflichtstation Allgemeinmedizin im praktischen Jahr gibt und möglicherweise eine Quote für Landärzte. Davon halten Sie nichts?
    Schmieding: Genau. Wenn man sich um die Versorgungssicherheit kümmert, sollte man nicht Stellschrauben wählen, die weder evidenzbasiert funktionieren wie zum Beispiel ein Pflichtabschnitt im praktischen Jahr, dem letzten Abschnitt des Medizinstudiums. Da geht es darum, dass Medizinstudierende verpflichtet werden, drei Monate in der Allgemeinmedizin zu arbeiten, und das soll als Lösung gesehen werden dafür, dass die Studierenden dann motivierter sind, Hausärzte zu werden, und aufs Land zu gehen.
    Dass das nicht funktioniert, dass man Leute zur Motivation quasi zwingt, ist nicht nur evident, sondern zeigt sich auch deswegen, dass es bereits jetzt einen Pflichtabschnitt Chirurgie gibt, und auch die Chirurgen haben große Nachwuchsprobleme. Das heißt, die Stellschraube sollte eigentlich sein, dass es bessere Arbeitsbedingungen gibt und mehr Vorbilder, sage ich mal, im Studium von guten Allgemeinärzten, damit die Studenten da motiviert sind, dort ihre Assistenzarztzeit zu machen.
    Biesler: Insgesamt gibt es ja eigentlich zu wenig Studienplätze, also es werden auch zu wenig Ärzte ausgebildet. Mehr als 40.000 Bewerber gab es im letzten Winter, aber nur rund 9.000 Plätze. Bislang ist da die Abiturnote das Entscheidende. Die Auswahlverfahren der 35 Universitäten sind sehr unterschiedlich. Welches Auswahlverfahren würden Sie denn favorisieren?
    "Von einer Landarztquote halten wir nichts"
    Schmieding: Wir stimmen mit vielen Fachgesellschaften da überein, dass die Abiturnote allein kein gutes Auswahlkriterium ist, und es sollten auch andere Auswahlkriterien verstärkt berücksichtigt werden, wie soziales Engagement, berufliche Vorerfahrungen auch, Studiumseignungstests, wie es sie bereits gibt. Zurzeit kritisieren wir vor allem an diesem Verfahren, dass es sehr intransparent ist, inhomogen und damit für die einzelnen Studienbewerber sehr schwer abzuschätzen ist, ob sie einen Studienplatz bekommen, wo sie den bekommen. Das macht das Verfahren sehr unfair. Da sehen wir großen Nachbesserungsbedarf.
    Um jetzt, sage ich mal, wieder auf einen Vorschlag zurückzukommen, den Sie vorher erwähnt haben von einer Landarztquote, dass man bevorzugt Studienbewerber zulässt, die sich früh verpflichten, Landärzte zu werden, halten wir aber nichts. Weil dann würde man ja von 18-Jährigen, 17-Jährigen, teilweise schon 16-Jährigen voraussetzen, dass sie wissen, was sie in elf Jahren machen wollen. Damit gibt man denen nicht die Chance, das Medizinstudium zu nutzen, erst mal die Vielfalt der Medizin zu entdecken und dann frei ihren Beruf zu wählen.
    Biesler: Ja, es bleibt ein schwieriges Abwägen gesellschaftlicher und persönlicher Interessen. Das gilt auch für das praktische Jahr, das wir vorhin schon mal erwähnt haben, wo wir darüber gesprochen haben, ob das verpflichtend auch die Allgemeinmedizin berücksichtigen soll. Da fordern Sie, es muss auf jeden Fall eine Aufwandsentschädigung geben, damit man Geld hat, um zu leben während dieses praktischen Jahrs. Das ist im Augenblick gar nicht vorgesehen?
    Schmieding: Das ist richtig. Die Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr wird sehr unterschiedlich gehandhabt an den verschiedenen Fakultäten. Die meisten Studierenden kriegen sehr wenig Geld. Viele Studierende kriegen überhaupt nichts. Nun könnte man ja sagen, während des Studiums, wer wird schon für sein Studium bezahlt? Das ist eine gute Argumentation, allerdings sollte man ja berücksichtigen, während dieses Praktischen Jahrs sind die Studenten ja quasi in Vollzeit in der Klinik mit eingebunden, auch in den normalen Routineablauf.
    Das macht es quasi unmöglich für die Studenten, nebenher einen Nebenjob zu haben, der für viele Studenten notwendig ist. Die Mehrheit der Medizinstudenten jobbt nebenbei. Das geht im Praktischen Jahr dann natürlich nicht mehr. Es macht die Situation dann auch sehr schwierig, wenn man gleichzeitig irgendwie noch Kinder hat oder eben eine Promotion weiterschreibt. Wenn man dann nicht mal bezahlt wird und dann quasi Beruf, Promotion, Kinder, Studium, alles unter einen Hut bringen muss, das, finden wir, ist nicht fair und nicht machbar.
    Schmieding: Studenten wollen von Politik mit einbezogen werden
    Biesler: Da wünschen Sie sich den BAföG-Höchstsatz als Standardvergütung?
    Schmieding: Genau.
    Biesler: Jetzt sind Sie in die Beratungen eingebunden, auch mit der Bundesregierung, mit den zuständigen Gremien dort. Trotzdem gehen Sie jetzt auf die Straße. Warum ist das nötig?
    Schmieding: Wir haben tatsächlich die Chance gehabt, im Anhörungsverfahren Ende letzten Jahres, vor der Bundesregierung unsere Stellungnahme, unsere Vorschläge und vor allem auch unsere Befürchtungen darzulegen und zu begründen. Wir haben trotzdem nicht das Gefühl, dass unsere Meinung und unsere Expertise in diesem Feld ausreichend gehört wird.
    Mit den Aktionstagen, die jetzt stattgefunden haben und teilweise noch stattfinden werden, wollen wir vor allem die Medizinstudenten informieren und der Politik noch mal ein klares Signal geben, dass es notwendig ist, uns in die Diskussion mit einzubeziehen. Dass sie das bisher noch nicht ausreichend tut, kann man vor allem auch daran sehen, dass der Entwurf, wie dieser Masterplan dann genau aussehen soll, noch nicht einmal bekannt ist. Das heißt, wir verhandeln hier gerade ein bisschen im luftleeren Raum. Es gibt viele Sachen, wie die Landarztquote, die im Raum stehen. Was konkret davon jetzt angedacht ist, umzusetzen, das ist leider noch gar nicht bekannt.
    Biesler: Malte Schmieding, der Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, zu den Studentenprotesten auf den Straßen. Vielen Dank!
    Schmieding: Vielen Dank, Herr Biesler!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.