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Proteste gegen Corona-Maßnahmen
Warum Verschwörungsideologien die Demokratie gefährden

Rechte Influencer und Impfgegner sammeln sich bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Viele von ihnen glauben an Verschwörungsideologien. Und: Studien zeigen, dass bei Menschen mit einer starken Verschwörungsmentalität eine höhere Gewaltbereitschaft vorliegt. Was aber kann man dagegen tun?

Von Christian Röther | 24.08.2020
Demonstration gegen Corona-beschränkungen: Ein Demonstrant hält eine Zeitung des "Demokratischen Widerstands 2020"
Vor allem Männer und Menschen mit geringer Schulbildung sind anfälliger für Verschwörungsmythen (imago / Jannis Große)
"Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel, denn sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen."
Das Coronvirus - und Impfungen dagegen – sollen angeblich weite Teile der Menschheit auslöschen. Ein Verschwörungsmythos, hier verbreitet bei einer Kundgebung in Berlin von Attila Hildmann. Der Kochbuchautor ist einer der führenden Köpfe der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen.

Doch Hildmann ist nur einer von vielen, die derzeit Verschwörungsideologien befeuern. Die Coronakrise scheint dafür ein guter Nährboden zu sein. Denn in der Bevölkerung ist der Anteil von Menschen, die an solche Mythen glauben, aktuell relativ hoch: "Wenn man sich die Studien so anschaut, würde ich sagen, dass man davon ausgehen kann, dass so zwischen 25 und 30 Prozent - je nach Studie und je nach Verschwörungsmythen, die abgefragt wurden - an Corona-Verschwörungen glauben", sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty.
Attila Hildmann, veganer Kochbuchautor und Unternehmer, spricht bei der Abschluss-Kundgebung einer Demonstration gegen die Corona-Politik der Bundesregierung in Berlin; im Hintergrund zu sehen: der Reichstag.
Attila Hildmann, veganer Kochbuchautor und Unternehmer, bei einer Demonstration gegen die Corona-Politik in Berlin. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
Verschwörungsideologen spielen in der Coronakrise eine zentrale Rolle
Gemeinsam mit der Netzaktivistin und Publizistin Katharina Nocun hat sie gerade ein Buch über Verschwörungsideologien veröffentlicht. Der Titel: "Fake Facts". Die beiden Autorinnen verfolgen seit einigen Jahren, wie sich Verschwörungsideologien verbreiten. Katharina Nocun begegnete ihnen auch, als sie noch in der Piratenpartei aktiv war und Straßenwahlkampf machte:
"Bei mir war es so, dass ich öfter mal die Erfahrung gemacht habe, dass Leute zum Infostand - also ganz klassisch in der Fußgängerzone - gekommen sind, und dann plötzlich angefangen haben, komische Dinge zu erzählen. Ich hatte Gespräche mit Menschen, die von einer 'großen Umvolkung' überzeugt sind. Oder auch Menschen, die von einer 'geheimen Weltregierung' gesprochen haben. Das hat mich doch sehr stutzig gemacht, weil diese Menschen felsenfest davon überzeugt schienen, dass das, woran sie glauben, tatsächlich so ist."
Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen auf dem Canstatter Wasen in Stuttgart
Corona-Demonstrationen: Positionen und Protagonisten
Sie protestieren gegen die Corona-Beschränkungen. Hunderte, manchmal sogar Tausende Demonstranten, die ihrem Ärger Luft machen. Wer steckt hinter den Protesten? Welche Forderungen gibt es?
Einzelne Verschwörungsideologen, die Nocun schon länger beobachtet, spielen jetzt in der Coronakrise eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen die Schutzmaßnahmen. "Wenn wir uns anschauen, wer für derartige Veranstaltungen mobilisiert, dann sind das eigentlich alte Bekannte, könnte man sagen. Also das sind Influencer, die sich über Jahre hinweg eben eine Fangemeinde aufgebaut haben, die eben seit vielen Jahren Verschwörungsideologien verbreiten."
"Bill und Melinda Gates, das Ehepaar Gates hat inzwischen mehr Macht als Roosevelt, Churchill, Stalin und Hitler seinerzeit zusammen."

Das behauptet Ken Jebsen auf seinem YouTube-Kanal, den fast eine halbe Million Menschen abonniert hat. Der ehemalige Radio-Moderator bedient schon seit Jahren in seinen Videos auch Verschwörungserzählungen – etwa zu den Anschlägen vom 11. September. Jebsen wird vorgeworfen, den Holocaust geleugnet, sich antisemitisch und antiamerikanisch geäußert zu haben. In den vergangenen Monaten tauchte Jebsen bei den Corona-Protesten immer wieder in vorderster Reihe auf.
Ex-Moderator Ken Jebsen (M), aufgenommen 2014 vor dem Schloss Bellevue in Berlin bei einer Demonstration unter dem Motto "Verantwortung für unser Land heißt: Nein zu Krieg und Konfrontation"
Der Ex-Moderator Ken Jebsen (picture alliance / dpa / Felix Zahn)
"Wenn Krisen auftreten, entsteht Deutungsbedarf"
Wie er verbreiten Dutzende YouTuber – meist sind es Männer – Verschwörungsmythen und Falschmeldungen rund um die Corona-Pandemie. Dabei passen sie auch bestehende Mythen an die Coronakrise an. So behauptet die Szene schon lange, durch Handystrahlung sollten Gedanken kontrolliert werden. Jetzt heißt es: Mit Hilfe von 5G-Handymasten werde das Coronavirus verbreitet.
Ein anderer Verschwörungsmythos besagt, dass geheime Eliten derzeit eine "Umvolkung" durchführen würden, einen "großen Austausch" der Bevölkerung durch Zuwanderung. Das Coronavirus sei nun eine absichtlich freigesetzte biologische Waffe, durch die die Umvolkung weiter vorangetrieben werde.
Eine weitere beliebte Erzählung: Durch das Virus sollten Zwangsimpfungen gerechtfertigt werden, um die Menschen schwach und abhängig zu machen. Solche Erklärungsmuster über Impfverschwörungen gab es schon vor Corona. In Zeiten der Pandemie florieren sie. "Immer dann, wenn Krisen auftreten, dann entsteht ja ein Deutungsbedarf. Eine Finanzkrise, eine Wirtschaftskrise, und natürlich ganz massiv bei einer Pandemie, bei einer Krankheit. Und das haben wir heute natürlich wieder."
Michael Blume ist Religions- und Politikwissenschaftler und der Beauftragte des Landes Baden-Württemberg gegen Antisemitismus. Außerdem publiziert er zu Verschwörungsmythen.
"Zumindest in stabilen Gesellschaften werden es nicht unbedingt zahlenmäßig mehr Verschwörungsgläubige. Aber die Leute, die verschwörungsgläubig sind, in die Richtung tendieren, die vernetzen sich und radikalisieren sich und deswegen: Ja, wir haben da schon derzeit eine starke Zunahme."
16.05.2020, Frankfurt, Demonstration in der Frankfurter Innenstadt. Ungeimpft steht auf dem Aufkleber am Arm eines Mannes, der versucht hat, sich unter die Teilnehmer einer Demonstration zu mischen, die die Verschwörungstheorien über das Corona Virus ablehnt
Verschwörungsmythen - "Das Böse in uns selbst"
Im Grunde seien alle Menschen anfällig für Verschwörungsmythen, sagte der Religionswissenschaftler Michael Blume im Dlf, auch Bildung schütze nicht.
In Krisenzeiten schließen sich mehr Menschen Verschwörungsideologien an. Das weiß die Forschung aus früheren Krisen, und das beobachten Expertinnen und Experten auch jetzt. Wie Giulia Silberberger. Sie ist vor einigen Jahren bei den Zeugen Jehovas ausgestiegen. Mit ihrer Initiative "Der goldene Aluhut" engagiert sie sich gegen Verschwörungsideologien – im Internet oft satirisch, aber auch mit Workshops an Schulen.
"Wir sind in einer Lage, in der viele Menschen Angst haben. In der sie wütend sind, empört sind, verzweifelt sind. Nicht wissen, was sie jetzt noch glauben sollen. Und da kommen Verschwörungsideologien daher und werfen ihre Fake-News-Saat in so ein kleines Informationsloch - so sage ich das immer. Weil, die Wissenschaft braucht naturgemäß ein bisschen Zeit, um Wissen zu schaffen."
Im Labor gezüchtet, chinesische Biowaffe, Zwangsimpfung
Während die Fakten noch erforscht werden, haben sich die Falschnachrichten schon weit verbreitet. Doch das Wissen über das neuartige Virus wächst – und auch das Wissen über die damit verbundenen Verschwörungsmythen. In einer im Juli veröffentlichten Studie gab jeder vierte Befragte aus Deutschland an, das Coronavirus sei in einem chinesischen Labor gezüchtet worden. 13 Prozent sagten, es handle sich um eine chinesische Biowaffe.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Diese repräsentative Studie führte das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung durch. Weitere Ergebnisse: Jeder Vierte stimmte der Aussage zu, Bill Gates strebe die Zwangsimpfung aller Menschen an. Jeder Dritte meinte, Medien würden auf Druck der Regierung Tatsachen über das Coronavirus verschweigen.
Im vergangenen Jahr – also noch vor der Coronakrise – befasste sich auch die "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Verschwörungsideologien. Die "Mitte-Studien" untersuchen regelmäßig rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Wenn Menschen für Verschwörungsideologien besonders empfänglich sind, dann spricht die Forschung von einer "Verschwörungsmentalität".
"Und da kann man sagen, dass laut den Daten schon 2019 38 Prozent der Deutschen eine sogenannte Verschwörungsmentalität hatten," sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die an der Auswertung der Mitte-Studie mitgearbeitet hat.
"Was sich gezeigt hat in der Studie ist zum einen, dass das Demokratiemisstrauen höher ist bei Menschen mit einer starken Verschwörungsmentalität. Auch die Gewaltbereitschaft ist höher. Also bei den Menschen, die eine Verschwörungsmentalität hatten, haben 25 Prozent gesagt, sie würden auch Gewalt einsetzen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen."
"Wir haben in den letzten Wochen und Monaten gesehen, dass Verschwörungsideologen teilweise gezielt ihre Anhänger auf Journalisten, Virologen, Politikerinnen hetzen. Das hat zu Morddrohungen geführt."
Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin und Netzaktivistin. Eine junge Frau mit langen Haaren steht vor einer mit Graffiti besprühten Wand. 
Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin und Netzaktivistin (Heiner Kiesel)
Katharina Nocun und andere, die sich öffentlich gegen Verschwörungsideologien einsetzen, werden immer wieder zum Ziel von Beleidigungen und Drohungen. Und es kommt im Zusammenhang mit Verschwörungsideologien auch zu Gewalttaten – bis hin zu Terroranschlägen.
"Wir haben eben in den letzten Jahren viele rechtsextreme Attentäter gesehen, die genau so argumentiert haben - also Halle, Hanau. Gerade in der rechtsextremen Szene ist der Glaube an Verschwörungen ein immenser Radikalisierungsbeschleuniger. Das ist alles andere als harmlos."
Halle, Hanau: Die Täter beriefen sich auf Verschwörungsmythen
In Halle erschoss Stephan B. im Oktober 2019 zwei Menschen und versuchte, eine Synagoge zu stürmen. Er hat die Tat gestanden und berief sich auf mehrere Verschwörungsmythen: auf eine angebliche zionistische Weltverschwörung, die vermeintliche "Umvolkung" und eine von ihm empfundene Unterdrückung weißer Männer. Ähnliche Verschwörungsmythen fanden sich auch in den Bekennerschreiben und Videos von Tobias R., der im Februar 2020 in Hanau zehn Menschen ermordete. Die meisten Opfer hatten einen Migrationshintergrund.
Eine Person trägt auf dem Ärmel ihres Shirts das Logo von QAnon.
Verschwörungsmythen: "QAnon" wird zur Religion
Korrupte Eliten foltern unterirdisch Kinder, das Coronavirus ist eine Bio-Waffe und Donald Trump der Erlöser. Die Verschwörungserzählungen von "QAnon" bedienen alte Muster und Feindbilder.
Minderheiten sind durch Verschwörungsideologien besonders gefährdet, denn oft gehen diese Ideologien einher mit Rassismus und Antisemitismus. Manchmal tritt diese Weltsicht offen zutage, manchmal versteckt hinter anderen Erzählungen – etwa, wenn die Rede ist von Eliten um Bill Gates oder anderen, die angeblich die Welt kontrollieren würden.
Der Politikwissenschaftler Jan Rathje befasst sich für die Amadeu Antonio Stiftung seit vielen Jahren mit Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus: "Die Eigenschaften, die die bösen Weltverschwörerinnen und Weltverschwörer haben, sind die gleichen, die Jüdinnen und Juden zugesprochen werden im Mythos der jüdischen Weltverschwörung."
Ähnliches beobachtet auch der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume: "Das Judentum steht da an der Spitze der Verschwörungspyramide. Und deswegen - leider, leider, leider – ist es tatsächlich so: Verschwörungsgläubige landen früher oder später immer wieder beim Antisemitismus."
Man sieht einen Mann von hinten, der ein schwarzes T-Shirt mit dem roten Aufdruck "Coronoia 2020" trägt
Kampf gegen COVID-19 - Hitzige Debatte über Corona-Maßnahmen
Anselm Lenz ist einer der Organisatoren der "Hygienedemos". Er hält das Coronavirus für "nicht außergewöhnlich". Die Medizinjournalistin Christina Sartori widerspricht seinen Ansichten. Ein Faktencheck.
Männer und Menschen mit einer niedrigeren Schuldbildung sind anfälliger
Antisemitische Verschwörungsmythen lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. In christlich geprägten Gesellschaften ist es bis heute eben oft die jüdische Minderheit, der vorgeworfen wird, sich gegen die Mehrheit verschworen zu haben. Dabei ähneln sich die falschen Anschuldigungen über die Jahrhunderte hinweg:
Früher wurden Jüdinnen und Juden für die Pest verantwortlich gemacht und in Pestpogromen ermordet. Heute machen manche sie für Corona verantwortlich. Juden wurde und wird vorgeworfen, heimlich Kinder zu entführen, Brunnen zu vergiften oder die Finanzwelt zu kontrollieren. Seit Jahrhunderten haben antisemitische Verschwörungsmythen zu Verfolgungen und Massenmorden beigetragen – und sind nach wie vor wirkmächtig, wie die Coronakrise zeigt.
Eine Gefahr für die Demokratie, sagen die Expertinnen und Experten einstimmig, denn Verschwörungsideologien verfangen derzeit eben nicht nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung – sondern quer durch alle Schichten und Milieus. Es gibt kaum Unterschiede in Bezug auf Herkunft oder Alter - allerdings zwischen den Geschlechtern, so die Psychologin Pia Lamberty: "Männer glauben stärker an Verschwörungen als Frauen."
Und auch Bildung kann einen Unterschied machen: "Je niedriger die Schulbildung, um so eher glauben Menschen an Verschwörungen. Da muss man aber so ein bisschen vorsichtig sein, dass man nicht hier zu Fehlschlüssen kommt. Es ist nämlich so, dass nicht Intelligenz hier relevant ist oder Wissen vielleicht und den Unterschied erklärt, sondern dass Menschen mit einer niedrigeren Schuldbildung eher das Gefühl haben, dass sie in der Gesellschaft nicht mitspracheberechtigt sind, und dass das den Unterschied eigentlich erklärt."
One person crossing street at empty Times Square during the outbreak of coronavirus disease (COVID-19), in New York, United States. New York City after the authorities put the NY state on pause, requiring all non-essential businesses to be closed.
Falschmeldungen - Der Boom der Corona-Verschwörungstheorien
Fake News, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen haben in der Coronakrise Konjunktur. Ein Grund für die Verbreitung: der Kontrollverlust durch das Virus, sagen Experten.
Deshalb schützt Bildung auch nicht generell gegen Verschwörungsglauben. In der Szene sind auch Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen aktiv – denn auch sie können eine Verschwörungsmentalität haben, weil sie sich marginalisiert fühlen und deshalb anfällig für diese Mythen sind.
Diese Anfälligkeit geht politisch überdurchschnittlich oft mit einer rechten Gesinnung einher, wie die Mitte-Studie gezeigt hat. Daher überrascht es wenig, dass Verschwörungsideologien von rechten Parteien und Bewegungen besonders stark verbreitet werden, wie der Politikwissenschaftler Jan Rathje beobachtet:
"Die Alternative für Deutschland, aber auch andere rechtsextreme Parteien, nutzen immer wieder Verschwörungserzählungen, um letztlich diese alte Erzählung von ‚wir gegen die‘ des Populismus aufzuwerten und vielleicht auch noch andere Milieus zu erreichen."
Verschwörungsideologien sind eine Gefahr für die Gesundheit
Doch in der Coronakrise sind es nicht nur Rechtsextreme, die Verschwörungsideologien befeuern. Die Akteurinnen und Akteure hätten teils auch ganz andere politische Hintergründe, so Jan Rathje mit Blick auf die Corona-Proteste:
"Die Menschen, die dort hinkommen, können sich selbst vielleicht auch individuell eher als links verorten oder eher aus einem esoterisch-hippiesken Milieu entstammen. Und gleichzeitig ist es aber auch so, dass wir Hardcore-Verschwörungsideologen dabei haben, die keine Scheu haben, mit Neurechten oder Rechtsextrem oder auch Antisemitinnen und Antisemiten zusammenzuarbeiten."
Überschneidungen zwischen Esoterik und rechten Bewegungen gibt es zwar schon lange. Die aktuellen Studien geben allerdings noch keine Antwort darauf, ob beispielsweise sogenannte Impfgegner "nur" gegen die Corona-Beschränkungen auf die Straße gehen oder auch rechten Denkmustern anhängen. Festhalten kann man aber offenbar, dass der gemeinsame Verschwörungsglaube oft stärker ist als trennende politische Ansichten. So entsteht eine politische Querfront der Verschwörungsideologen.

Auch Giulia Silberberger von der Anti-Verschwörungs-Initiative "Der goldene Aluhut" beobachtet: "Dass sich Menschen miteinander verbrüdern und verbünden, die es im Vorfeld noch nicht getan hatten. Die jetzt aber durch diese globale Krisenlage und die Pandemielage einen gemeinsamen Demonstrationsgrund sehen. Und die sagen: Okay, wir sind alle irgendwie gegen diese Regierung und gegen diese Lügenpresse und gegen diesen Bill Gates. Also: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und auch, wenn man sich sonst vielleicht nicht leiden kann, stellen wir uns zusammen auf eine Demo. Das haben wir auch schon gesehen."
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Giulia Silberberger war über 15 Jahre bei den Zeugen Jehovas (Peter van Heesen)
Verschwörungsideologien sind zugleich nicht nur ein politischer Faktor, sondern auch eine Gefahr für die Verschwörungsgläubigen selbst und deren soziales Umfeld. Etwa eine medizinische Gefahr, wenn Menschen sich selbst oder ihre Kinder nicht ärztlich behandeln lassen, obwohl sie krank sind. Oder wenn sie auf Falschinformationen hereinfallen, wie es in der Coronakrise bereits tausendfach vorgekommen ist: Über 800 Personen sind weltweit gestorben, weil sie hochkonzentrierten Alkohol getrunken haben, der angeblich gegen das Virus schützen soll. Tausende weitere wurden krank oder erblindeten. Das ergab eine Studie der Amerikanischen Gesellschaft für Tropenmedizin und Hygiene.
Und der Glaube an Fakes und Verschwörungen kann auch gravierende soziale Auswirkungen haben, so Pia Lamberty: "Wir haben das häufig auch, dass es dann irgendwann zu Vereinsamung kommt. Wenn man wirklich überall Verschwörungen wittert, zieht man sich ja immer mehr zurück aus seinem Umfeld. Partnerschaften gehen in die Brüche oder Familienbanden werden zerrissen."
"Wie bei einem Sektenausstieg"
Zugleich seien Verschwörungsgläubige nicht automatisch psychisch krank, sagt die Psychologin. Sie warnt vor einer Pathologisierung: "Wenn Menschen an Verschwörungsmythen glauben, dass sie dann als 'irre' dargestellt werden, das zeigt sich empirisch so auch nicht. Und ich würde mir wünschen, dass in dieser Debatte viel stärker auf die Ideologie und auf die Gefahren der Ideologie geschaut wird, anstelle, dass man so eine Diskussion hat, die man eigentlich nutzt, um sich über diese Menschen zu erheben."
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
Coronavirus - Aktuelle Zahlen und Entwicklungen
Im Coronavirus-Zeitalter sind wir alle zahlensüchtig: Wie viele gemeldete Coronavirusfälle gibt es in Deutschland? Verlangsamt sich die Ausbreitung des Virus, wie entwickeln sich die Fallzahlen international? Ein Überblick.
Was also tun gegen Verschwörungsideologien? Wichtig sei Prävention, betont Giulia Silberberger vom "goldenen Aluhut", denn: "Wenn jemand tatsächlich schon ganz tief im Verschwörungsglauben drinsteckt, dann ist das nicht so einfach, da wieder rauszukommen. Denn das erfordert von der Person selbst einen großen Kraftakt. Das ist wie bei einem Sektenausstieg. Man muss sein gesamtes Weltbild ändern. Man muss vor sich selbst die Verantwortung für das übernehmen, was man getan hat. Und auch vor seinem Umfeld."
Daher sei eine breite gesellschaftliche Aufklärung über Verschwörungsideologien wichtig, meint Silberberger – damit Menschen darüber Bescheid wissen, bevor sie mit den Mythen in Kontakt kommen. Was aber tun, wenn jemand bereits an Verschwörungen glaubt?
Nicht beleidigend werden, wie es in sozialen Netzwerken oft der Fall ist, rät Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung, sondern mit Fakten dagegenhalten: "Zunächst einmal ist es wichtig, Widerspruch zu leisten. Das heißt, man kann beispielsweise sagen: Diese Information stimmt nicht, sie ist falsch, hier gibt es Fakten. Und dafür gibt es glücklicherweise inzwischen genügend Portale, die ein sogenanntes Debunking betreiben. Also das heißt, Fakten gegen Mythen et cetera in Stellung bringen und widerlegen."
Solche Faktenchecks gibt es online beispielsweise vom Faktenfinder der Tagesschau oder vom Recherchezentrum Correctiv – auch zu vielen Corona-Mythen.
Michael Blum, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, sitzt in einem weißen Hemd vor weißem Hintergrund und gestikuliert mit der rechten Hand.
Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg ( Bernd Weissbrod/dpa)
Noch ganz am Anfang bei der Arbeit gegen Verschwörungsideologien
Und wenn Menschen für Fakten gar nicht mehr empfänglich sind? Klare Grenzen setzen, empfiehlt der Antisemitismusbeauftragte Michael Blume:
"Wenn es keine Ebene mehr gibt, auf der man seriös noch miteinander sprechen kann, dann muss ich leider sagen, kann es auch richtig sein zu sagen: 'Okay, meld' Dich wieder, wenn man mit Dir wieder reden kann. Aber so geht das einfach nicht weiter.' Dann darf man sich auch selbst schützen."
Zugleich fordern Expertinnen und Experten mehr Geld für Prävention und Beratung zu Verschwörungsideologien. Spezifische Angebote dazu gibt es bislang kaum. Stattdessen suchen Familien, Freundinnen und Freunde von Verschwörungsgläubigen Hilfe bei Sektenberatungen oder bei Einrichtungen, die sich mit Rechtsextremismus befassen.
"Im Zuge unserer Buchrecherche haben wir eben auch mit vielen Beratungsstellen gesprochen. Wir haben mit Vereinen gesprochen, die sich seit vielen Jahren mit diesem Themenkomplex befassen, Aufklärungsarbeit machen, teilweise ganz tolle Programme für Schulen entwickelt haben - und die sind hemmungslos unterfinanziert."
So die Publizistin Katharina Nocun. Und auch Giulia Silberberger sieht die Politik in der Pflicht: "Politische Arbeit gegen Verschwörungsideologien steht wirklich noch ganz am Anfang. Da müssen wir sowohl als Gesellschaft, als Privatpersonen, als Lehrkräfte, als Politiker auf jeden Fall weiter dran arbeiten, wenn wir Ergebnisse sehen wollen."