Dienstag, 19. März 2024

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Proteste gegen Gesetzentwurf
Neuer Schub im ungarischen Kulturkampf

Tausende haben am Montagabend in Budapest gegen ein geplantes Kulturgesetz protestiert. Damit will die Regierung Orbán unter anderem mehr Macht über Stadt-Theater gewinnen - Bühnen, die bisher noch ein Forum der Meinungsvielfalt seien, sagte der Literaturwissenschaftler und Ungarn-Experte Wilhelm Droste im Dlf.

Wilhelm Droste im Gespräch mit Henning Hübert | 10.12.2019
Demonstranten in Budapest, die gegen ein umstrittenes Kulturgesetz protestieren.
Bekenntnis zu Europa: Demonstration in Budapest gegen das geplante Kulturgesetz (AFP / Attila Kisbendek)
Henning Hübert: Ein neu geplantes ungarisches Kulturgesetz hat gestern tausende Demonstranten in Budapest auf die Straße gelockt.
Sie protestieren dagegen, dass es schon morgen im Parlament verabschiedet werden soll - mit dem Ziel, Kultureinrichtungen durch die ungarische Regierung unter Victor Orbán stärker zu kontrollieren. So soll ein "Nationaler Kulturrat" geschaffen werden. Zweck: Er soll "die strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung gewährleisten". Unter anderem sieht der Entwurf vor, dass die Regierung bei der Bestellung von Stadttheater-Intendanten bestimmend eingreifen kann. Bisher war es so, dass die Städte und Gemeinden allein entscheiden, wer die von ihnen betriebenen Theater leitet.
Kurz vor der Sendung konnte ich den Literaturwissenschaftler und Politologen Wilhelm Droste in Budapest erreichen, er hat die Proteste verfolgt. Agenturen in Deutschland sprechen von tausenden Demonstranten gestern. Was schätzen Sie?
Wilhelm Droste: Ja, das ist immer ein bisschen eine Frage der Brille. Die Demonstranten reden von 5.000. Und diejenigen, die gegen diese Demonstration sind, reden von 1.000. Ich denke, 3.000 sind realistisch. Die passen auf diesen wunderschönen innerstädtischen Platz. Der war richtig voll. Die einheitliche Stimmung und die Solidarisierung verschiedenster Theater untereinander – das war sehr interessant zu sehen.
Regierung will Bürgermeister entmachten
Henning Hübert: Warum fürchtet denn vor allem die Theaterszene das geplante Kulturgesetz?
Wilhelm Droste: Im Grunde genommen ist die noch nicht monopolistisch regierungsabhängig. Wie Sie schon sagten: Noch bestimmen eigentlich die Kommunen über die Besetzung der Theater. Und das war schon klar: Am 13. Oktober verlor die rechte Fidesz-Partei Mehrheiten in vielen großen Städten und vor allen Dingen auch in Budapest. Und dann war völlig klar: Jetzt wird wahrscheinlich so gut wie eben möglich das Wasser abgedreht. Und man wird im Grunde genommen die Bürgermeister dadurch entmachten in ihrer Entfaltungsmöglichkeit.
Henning Hübert: Dabei hilft auch ein bisschen das ungarische Wahlrecht: Zweidrittel-Mehrheit an Sitzen für die Rechten derzeit im Parlament. Und dieses Gesetz soll jetzt im Schnelldurchlauf durchgepeitscht werden, um – ich zitiere mal – "um die Interessen des Erhalts des Wohlergehens und des Gedeihens der Nation aktiv zu schützen". Warum überhaupt diese Formulierung?
Wilhelm Droste: Das ist dieser feierliche Ton, mit dem sich die Rechte immer das Deutungshoheitsrecht auf alles sozusagen sichert, weil sie aus dem Munde der Nation sprechen. Dieser feierliche Text ist dann immer die Einleitung für solche Gesetze, und die gehen dann mehr oder weniger um bloße Machtzugriffe auf alles, was da kommt. Angekündigt war bereits länger als ein halbes Jahr, schon ein ganzes Jahr redet man vom Kulturkampf in Ungarn. Das ist im Grunde der neue Schub, mit dem das Ganze jetzt fortgesetzt wird. Jetzt trifft es vor allem die Theater.
Kulturrat ohne Zivilgesellschaft?
Henning Hübert: Wer dürfte denn reinkommen in den dafür vorgesehenen Nationalen Kulturrat? Gibt es da schon konkrete Pläne, wer diese Arbeit dann macht?
Wilhelm Droste: Wenn ich diese Gesetze richtig gelesen habe, dann ist das eine reine Parteidiktatur. Im Grunde genommen ist dort noch jeder Einfluss der Zivilgesellschaft oder gar der eigentlichen Kulturträger ausgeschlossen. Und das macht die Menge auch so erbost. Deswegen kommt es zu dieser Wut, die sich in dieser Demonstration entfaltet hat.
Henning Hübert: Haben die Protestler auch Macht? Gibt es noch ein Feintuning an dem Gesetz? Oder wird es durchgepeitscht?
Wilhelm Droste: Gestern wurde schon gefeilt. Das konnte ich jetzt im Einzelnen nicht recherchieren, dass gewisse Dinge zurückgenommen worden sind, dass also in dieser Absolutheit der Ton gedämpft wurde. Auch das ist eine Taktik der Regierungspartei: Sie haut sehr provozierende Dinge raus, und dann merkt sie: die Straße rührt sich - und fängt dann an, leichte Korrekturen auszuüben, um dann aber im Wesentlichen doch ihre Geschichte durchzudrücken. Das müsste man genauer studieren, was jetzt am morgigen Mittwoch abgestimmt wird im Parlament.
Freie Theater schon lange bedroht
Henning Hübert: Jetzt geht es um die Führungsposten, vor allem in Theatern. Wo geht es denn auch ums Geld? Ich stelle mir vor, bei der freien Theaterszene doch immer…
Wilhelm Droste: Die freie Theaterszene leidet schon seit vielen, vielen Zeiten. Denen wurde sozusagen jegliche Unterstützung entrissen. Und das hat viele in große Existenzkrisen geführt. Und das Theater ist ein unglaublich wichtiger Ort in Budapest, weil das tatsächlich noch ein Forum der Meinungsvielfalt ist. Die Theater sind voll; dort wurde auch demonstriert – "Wir gehen ins Theater, aber nicht in die Stadien!". Weil: Orbán baut jede Menge Fußballstadien. Da geht kein Mensch rein. Und die Theater, die einen großen Zulauf haben, die geraten unter finanzielle Schwierigkeiten.
Henning Hübert: Die Einschätzung des Literaturwissenschaftler Wilhelm Droste in Budapest zum umstrittenen geplanten Kulturgesetz, das morgen verabschiedet werden soll.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.