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Proteste gegen Schiefergas in Polen

Russland und die Ukraine sind wichtige Gaslieferanten für Europa, doch auch Polen will ins Geschäft einsteigen. Das Land verfügt über die wohl größten Schiefergasvorkommen in Europa und sieht das schon fast als Lizenz zum Gelddrucken. Doch die Fördermethoden sind umstritten.

Von Florian Kellerman | 06.02.2012
    Die Kaschubei ist eigentlich eine gottverlassene Gegend mit kleinen Dörfern, schmalen Straßen und einsamen Wäldern. Auch der 290-Seelen-Ort Miszewo war bis vor kurzem solch ein ländliches Idyll. Doch seit ein paar Tagen ist es mit der Ruhe dort vorbei. Bagger sind angerollt. Am Dorfrand haben sie eine Fläche so groß wie ein halbes Fußballfeld eingeebnet. Und bald soll hier ein Bohrturm stehen, um ein Loch in die Erde zu graben, mehrere tausend Meter tief. Die kalifornische Firma BNK Petrolium sucht in Miszewo nach Schiefergas.

    Alles kein Problem, erklärt ein Mann, auf dessen Overall groß das Wort "Umweltschutz" zu lesen ist. Die Sorgen und Einwände der Dorfbewohner seien unbegründet.

    "Ja, es haben einige Dorfbewohner gegen das Projekt protestiert. Aber das liegt daran, dass sie zu wenig wissen. Wenn alle zum Informationsabend gekommen wären, den BNK Petrolium veranstaltet hat, dann wäre das anders. Hier ist für alles gesorgt. Sehen sie, wir haben die ganze Fläche mit Folie ausgeschlagen, damit verseuchtes Wasser nicht ins Erdreich dringen kann."

    Auch zwei Ingenieure aus Kalifornien sind vor Ort und versichern, wie umweltfreundlich ihr Unternehmen sei. Ins Mikrofon dürften sie das aber nicht sagen - Firmenpolitik.

    Trotz aller Beteuerungen: Die Dorfbewohner sind tief verunsichert. So wie Wioletta Zasada, die im Försterhaus wohnt, das nur 300 Meter von der Bohrstelle entfernt ist.

    "Ich war bei so einem Informationstreffen. Da wollten sie uns beruhigen. Aber einer meiner Nachbarn hat gesagt, dass bei dieser Probebohrung durchaus etwas schief gehen kann. Und das hat ein Vertreter der Bohrfirma dann auch eingestanden. Wir haben uns hier ein Stück Land gekauft und betreiben nebenher eine ökologische Schafzucht. Unser Wasser nehmen wir aus dem eigenen Brunnen. Es ist doch zu verstehen, dass wir uns da Sorgen machen."

    Die Försterfrau aus Miszewo ist da nicht die einzige in Polen. Im Norden und im Osten des Landes sind in den kommenden Jahren insgesamt 150 Probebohrungen geplant.

    Was den Menschen Angst macht, ist die umstrittene Fördermethode. Schiefergas liegt tausende Meter tief in Gesteinsschichten. Die Bohrer dringen zunächst senkrecht in die Erde, um sich unten dann horizontal zu verzweigen. So entsteht ein kilometerlanges unterirdisches Netz von Kanälen. Das Gas entweicht aber nicht von selbst. Um es an die Oberfläche zu bringen, muss mit Chemikalien versetztes Wasser in die Kanäle gepumpt werden, um es regelrecht heraus zu pressen.

    Nicht wenige Experten warnen vor der Gefahr, dass die Chemikalien das Grundwasser verseuchen könnten. In einigen Ländern und Regionen ist deshalb der Abbau von Schiefergas verboten, in Frankreich, Bulgarien und der kanadischen Provinz Quebec zum Beispiel.

    In Polen dagegen sind alle Parteien Feuer und Flamme für das Schiefergas. Die Politiker träumen davon, durch den Abbau des Schiefergases bald unabhängig vom russischen Gas zu werden. Kritik ist deshalb unerwünscht, sagt der Umweltschützer Marek Kryda.

    "Wer nicht für das Schiefergas ist, der gilt gleich als verdächtig, als Handlanger Russlands. Diese Rhetorik wird weniger gegen Umweltschützer angewendet, denn von denen beschäftigt sich kaum einer mit dem Schiefergas, sondern vielmehr gegen Lokalpolitiker. Sie sollen bloß nicht nachfragen, was da in ihrer Gemeinde passiert, wer der Investor ist und welche Risiken es gibt."

    Auch in Miszewo hat sich, trotz der Proteste, noch keine formal eingetragene Bürgerinitiative gebildet. Die Ortsvorsteherin Halina Drobinska ist unschlüssig. Vielleicht bringe BNK Petrolium ja auch ein paar Arbeitsplätze ins Dorf, sagt sie, und setzt Wasser auf den großen, mit Holz befeuerten Herd in ihrer Küche.

    "Das Dorf ist nicht besonders reich. Viele pendeln zur Arbeit nach Stolp oder sogar ins Ausland, nach England, nach Holland. Die wären froh, wenn sie hier eine Anstellung bekämen. Mein Mann und ich, wir haben 30 Hektar Land, aber das reicht heute kaum zum Überleben."

    Die kalifornische Firma versucht, diese Hoffnung zu nutzen und die Stimmung im Dorf zu drehen. Sie hat Signalwesten für Kinder verteilt und Schülerlotsen eingestellt. So sollen die Kleinen wenigstens sicher zur Bushaltestelle kommen, wenn die Probebohrungen beginnen - und Dutzende Lastwagen täglich durch das Dorf fahren.