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Proteste in Belarus
Graf Lambsdorff: "Putin wird Lukaschenko massiven Druck machen"

Russland werde ein Abdriften von Belarus in Richtung Westen nicht zulassen, sagte FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff im Dlf. Doch Präsident Alexander Lukaschenko könne trotzdem nur bedingt auf Unterstützung hoffen. Denn Moskaus langfristigen Zielen stehe er im Weg.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 14.09.2020
Russlands Präsident Wladimir Putin steht bei einer Gedenkveranstaltung im Juni 2020 neben dem Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko.
Es gebe eine große Unzufriedenheit mit Präsident Putin, sagte Alexander Graf Lambsdorff im Dlf (imago)
Die friedlichen Demonstrationen in Belarus reißen nicht ab. Auch am Abend des 13. Septembers fand wieder eine Großdemonstration in Minsk statt. Hunderte Demonstrantinnen wurden bereits vor Beginn verhaftet. Ob die Oppositionsbewegung am Ende Erfolg haben könne, hänge ganz stark vom Verhalten der Sicherheitskräfte ab, sagte Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, im Deutschlandfunk. "Solange die Sicherheitskräfte loyal sind und solange Moskau Lukaschenko eine Carte Blanche gibt, im Grunde die Zusage einzugreifen, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten, dann wird es für jede Opposition enorm schwer, dort zurechtzukommen."
Und es sei nicht damit zu rechnen, dass Russland seine Bereitschaft da zurückziehe. "Aus der Sicht des Kremls wäre ein Abdriften von Belarus in Richtung Westen geopolitisch das Allerletzte, was man will", sagte Lambsdorf. Den Einfluss auf Belarus werde Wladimir Putin also nicht aufgeben, Präsident Alexander Lukaschenko hingegen werde nicht nur Unterstützung sondern auch viel Druck bekommen. Falls Lukaschenko nicht in der Lage sei, das Land unter seiner Kontrolle zu halten, werde Putin versuchen einen Moskau-freundlichen Präsidenten einzusetzen.
Alexander Graf Lambsdorff während einer Sitzung des deutschen Bundestags 
Alexander Graf Lambsdorff während einer Sitzung des deutschen Bundestags (imago/Christian Spicker)
Das Verhältnis zwischen Lukaschenko und Russland sei schließlich keineswegs harmonisch. Der Belarusische Präsident habe immer versucht, die Eigenständigkeit seines Landes gegen Russland zu behaupten. Seit 1999 haben Russland und Belarus einen sogenannten Unionsvertrag, der perspektivisch auch zu einem gemeinsamen Staatsoberhaupt führen soll. Lukaschenko habe das immer abgewehrt und habe vor den Wahlen dazu auch antirussische Töne angestimmt. Die angespannte Situation in Belarus sei aus Sicht Moskaus auch eine Chance, weitere Schritte für die Unionspläne zu erreichen.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Lambsdorff, das Moskauer Verteidigungsministerium hat gestern angekündigt, paramilitärische Einheiten nach Belarus zu entsenden für gemeinsame Militärmanöver. Wie groß ist Ihre Sorge um die Entwicklung in Belarus?
Alexander Graf Lambsdorff: Die ist enorm. Das kann ich gar nicht anders sagen. Wladimir Putin blickt ja jetzt von Sotschi, normalerweise von Moskau aus nach Westen und er sieht dort ein Land, das Russland im Grunde ja freundschaftlich verbunden ist, auch auf der Ebene der Bevölkerung. Aber er sieht dieses Land in einer Entwicklung, die ihn dazu bringt, im Grunde zurückzugreifen auf die Breschnew-Doktrin. Das heißt, man schaut sich die Entwicklung dort so lange an in Belarus, bis man von Moskau aus meint, eingreifen zu müssen. Und das, was Sie gerade beschrieben haben, dieses sogenannte gemeinsame Militärmanöver, ist ja ein Vorbote einer solchen Entwicklung.
Heckmann: Die Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa ist ja weiter in Haft, nachdem man erfolglos versucht hatte, sie gegen ihren Willen außer Landes zu bringen. Ihr wird der Versuch der illegalen Machtergreifung vorgeworfen. Nach Aussage ihrer Anwältin ist sie von den Sicherheitsbehörden sogar mit dem Tod bedroht worden. Die anderen Anführerinnen sind ins Ausland gedrängt worden. Ist die Oppositionsbewegung so stark, dass sie den Verlust dieser Köpfe kompensieren kann?
Graf Lambsdorff: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass es am Ende des Tages davon abhängen wird, wie es innerhalb von Belarus weitergeht, wie sich die Sicherheitskräfte verhalten werden. Solange die Sicherheitskräfte loyal sind und solange Moskau Lukaschenko eine Carte Blanche gibt, im Grunde die Zusage einzugreifen, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten, dann wird es für jede Opposition enorm schwer, dort zurechtzukommen, ganz gleich ob sie starke Anführer hat oder nicht. Was ich sehr beeindruckend finde ist, dass trotz des Drucks auf die führenden Köpfe ja die Bewegung nach wie vor da ist. Wir haben Demonstrationen ja nicht nur in Minsk gesehen, sondern auch in anderen Städten wie Grodno oder Brest. Mit anderen Worten: Es ist eine landesweite Bewegung, die trotz der Schwierigkeiten der Führung weitergeht, trotz der Schwierigkeiten im Koordinierungsrat. Und ich glaube, das ist etwas wirklich ziemlich Einzigartiges.
"Lukaschenko hat sich vor den Wahlen antirussisch eingelassen"
Heckmann: Was erwarten Sie denn jetzt von dem Treffen in Sotschi zwischen Putin und Lukaschenko?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass Putin Lukaschenko sagt, entweder Du kriegst die Sache unter Kontrolle, oder wir kommen Dir – und das bitte ich jetzt in Anführungsstrichen zu verstehen – "zur Hilfe". Denn eines ist ganz klar: Aus der Sicht des Kreml wäre ein Abdriften von Belarus in Richtung Westen geopolitisch das Allerletzte, was man will, und etwas, was man sicher nicht akzeptieren würde. Wenn Lukaschenko es nicht schafft, wäre meine Erwartung – das ist spekulativ, ich gebe das zu, aber es wäre meine Erwartung -, dass dann ein Moskau-freundlicher Präsident eingesetzt wird, der das Land eng an Russland halten wird. Vergessen wir bitte eines nicht: Seit 1999 haben diese beiden Länder einen sogenannten Unionsvertrag, der im Grunde eine staatliche Verschmelzung perspektivisch aufzeigt, auch mit einem gemeinsamen Staatsoberhaupt. Lukaschenko hat das immer abgewehrt. Er wollte seine Unabhängigkeit bewahren, hat ja auch vor den Wahlen antirussisch sich eingelassen und jetzt antiwestlich erst, nachdem die Proteste losgegangen sind. Mit anderen Worten: Ich glaube, Putin wird Lukaschenko massiven Druck machen.
16.08.2020, Belarus, Minsk: "Wie viel Blut braucht es noch?" steht auf dem Plakat mit dem Gesicht von Machthaber Lukaschenko, das ein junger Mann auf dem Unabhängigkeitsplatz hält. Z
Lukaschenko will bleiben – aber das hat einen Preis
In Belarus erkennt eine friedliche Oppositionsbewegung den Wahlsieg von Dauerpräsident Alexander Lukaschenko nicht an. Der Staat schlägt teilweise sehr gewaltsam zurück. Und Russland nutzt diese Situation auf seine Weise für sich aus.
Heckmann: Sie sagen es: Putin hat das Fernziel, ganz offenbar Belarus in seinen Machtbereich zu integrieren. Hat er jetzt dadurch, dass Lukaschenko so unter Druck ist, beste Chancen, das zu erreichen?
Graf Lambsdorff: Ja. Das muss man so klar sagen. Lukaschenko hat immer versucht – ich habe es eben schon mal skizziert -, die Eigenständigkeit dieses Staates dadurch zu behaupten, dass er gegen Moskau aufgetreten ist. Er hat ja sogar vor den Wahlen noch ukrainischen Journalisten Interviews gegeben. Er hat seine Gegenkandidaten als Marionetten Moskaus beschimpft. Und die Lage, wie sie jetzt im Land ist, ist ja geradezu eine Volte. Jetzt behauptet er, dass diese Proteste von den USA und der Europäischen Union angestiftet worden seien, dass seine Gegner Marionetten des Westens sind. Eine völlig surreale Situation im Grunde, und das gibt Russland natürlich eine Chance, hier Fortschritte zu machen im eigenen Interesse.
Heckmann: Am Wochenende, Herr Lambsdorff, hat es Regionalwahlen in Russland gegeben, von Freitag bis Sonntag, drei Tage lang. Unter dem Eindruck natürlich der Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny. Kann man vor diesem Hintergrund von freien und fairen Wahlen im Entferntesten überhaupt reden?
Graf Lambsdorff: Wenn man die Wahlbeobachtungs-Organisation Golos ein bisschen verfolgt, dann fällt das schwer, von solchen freien und fairen Wahlen zu reden.
"Es gibt eine große Unzufriedenheit mit Wladimir Putin"
Heckmann: Das ist eine russische Beobachtungskommission.
Graf Lambsdorff: Ganz genau. Eine russische Wahlbeobachtungs-Organisation in Moskau, die auch Schwierigkeiten hat zu arbeiten, aber die immer noch verlässlich wirklich im ganzen Land, das ja nun wirklich riesig ist, Wahlen beobachtet. Aber dennoch gibt es ja einzelne Erfolge und es ist gut, dass es zumindest diese Wahlen auf der regionalen Ebene noch gibt, denn es ist ein ganz wichtiger Hinweis darauf, wie die Stimmung im Land wirklich ist. Und wenn man sich die Ergebnisse aus Omsk oder aus Nowosibirsk anguckt, dann sieht man die Risse im Beton der scheinbar so harten Machtfassade der Partei Einiges Russland. Da erobern dann Anhänger Nawalnys Sitze im Stadtrat. Da verliert dann die Partei Einiges Russland plötzlich ihre Mehrheiten in Stadträten. Das ist spannend und interessant. Im nächsten Jahr sind nationale Wahlen, Duma-Wahlen fürs ganze Parlament.
Und das, was Sie gerade gesagt haben, die Vergiftung von Alexej Nawalny, das ist für die Menschen in Russland natürlich auch ein Ereignis gewesen, gar keine Frage. Aber es gibt so viele andere Themen, die die normalen Russen in der Weite des Landes sich enttäuscht von Moskau abwenden lassen, wie die Rentenreform vom letzten Jahr, wie der sinkende Lebensstandard außerhalb der beiden großen Metropolen Petersburg und Moskau. Das heißt, es gibt eine große Unzufriedenheit mit Wladimir Putin und da sind diese Wahlen ein wichtiger Hinweis, wie das im nächsten Jahr vielleicht ausgehen kann.
Heckmann: Es gibt Unzufriedenheit. Aber dass Wladimir Putin Rückhalt genießt, das hat man gesehen bei der Abstimmung über die Verfassungsreform. Fast 80 Prozent haben da ja zugestimmt und damit auch einer theoretischen Amtszeit für Wladimir Putin bis 2036. Ist das nicht vielleicht auch ein bisschen Wunschdenken des Westens?
Graf Lambsdorff: Nein, das glaube ich nicht. Ich meine, wenn man sich anschaut, wie dieses Verfassungsreferendum abgelaufen ist, ohne Wahlbeobachter aus dem Ausland, was sehr untypisch ist – eigentlich gehört das zu den Standards, dass so was beobachtet werden kann. Die Wahllokale waren eine Woche geöffnet. Es wurden die sogenannten abhängigen Wähler, Lehrer, Mitarbeiter von Staatsbetrieben, aus der Verwaltung und so weiter, alle in die Wahllokale gejagt, um dort ihr Kreuz zu machen. Es gab eine Lotterie: Wer teilnahm, kriegte ein Los und konnte vom Fußball bis zur Reise nach Sotschi alles Mögliche gewinnen. Das war schon ein ziemlicher Krampf, dieses Referendum über die Bühne zu bringen, und von daher glaube ich nicht, dass das eine Fehleinschätzung ist.
Leonid Wolkow, der Wahlkampfleiter von Nawalny, hat das gesagt. Die Wahlen, diese Regionalwahlen erneut hier gerade in Nowosibirsk, der dritten großen Stadt Russlands, zeigen, dass das, was aus Moskau vom Kreml immer wieder behauptet wird, es gäbe große Unterstützung und höchstens zwei Prozent unzufriedene Liberale im Land, einfach nicht stimmt.
EU-Parlamentarier David McAllister bei einer Pressekonferenz im APril 2020
EU-Politiker David McAllister (CDU): „Politische Frage, ob man Nord Stream 2 vollenden will oder nicht“
Nord Stream 2 befinde sich in Einklang mit nationalem und internationalem Recht, sagte EU-Parlamentarier David McAllister (CDU) im Dlf. Wie es weitergehe, müsse die deutsche Bundesregierung entscheiden.
Heckmann: Seit der Vergiftung Nawalnys wird ja in Deutschland über Sanktionen diskutiert, und da richtet sich der Blick auf Nord Stream zwei. Selbst Wirtschaftsminister Altmaier hat gesagt, die Versorgungssicherheit wäre nicht gefährdet, wenn man da einen Baustopp verhängen würde. Wäre es Zeit, die Notbremse zu ziehen? Sie haben ja ein Moratorium gefordert, aber passiert ist nichts.
Graf Lambsdorff: Na ja. Bei einem Moratorium ist es so, dass man jetzt nicht den Rückbau veranlasst. Das ist ein Infrastrukturprojekt großen Ausmaßes, das man nicht einfach so abbricht. Aber was wir schon brauchen ist eine Neujustierung der deutsch-russischen und der europäisch-russischen Beziehungen nach den Vorgängen um Nawalny, und deswegen sagen wir als FDP, nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, nicht den Rückbau dieser gesamten Pipeline anstreben, sondern einen Baustopp so lange, bis wir diese Neujustierung hinbekommen haben, und da gibt es zwei Hauptelemente. Das eine ist die Aufklärung des Falles Nawalny und das andere ist eine geopolitische Antwort Westeuropas auf das, was Russland beabsichtigt. Nord Stream zwei ist ja nur zusammen auch mit dem südlichen Pipeline-System verständlich. Das ist ein System, das im Süden über die Türkei nach Bulgarien geht. Alles dient dazu, die Ukraine zu schwächen, und die Frage ist, was können wir tun, was müssen wir tun, um die Ukraine zu stabilisieren. Vorher kann Nord Stream zwei definitiv nicht zu Ende gebaut werden nach unserer Auffassung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.