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Proteste in den USA
Trump will "weiter spalten"

Nach den massiven Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA droht Präsident Donald Trump unter anderem mit einem Militäreinsatz. Das sei "hohes politisches Theater, mit dem der Präsident seine Anhänger an sich binden möchte", sagte die Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook im Dlf.

Cathryn Clüver Ashbrook im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 03.06.2020
Ein Mann umarmt einen Polizisten
Bei einer Demonstration in Los Angeles gegen Rassismus umarmt ein Pfarrer einen Polizisten (imago images / ZUMA Wire)
Am 25. Mai 2020 kam der Afroamerikaner George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in den USA ums Leben. Seitdem gibt es in landesweit Proteste und Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Der größte Teil verlief bisher friedlich - doch es kam auch zu massiven Ausschreitungen, Gewalt und Plünderungen.
Protesters hold up signs as they demonstrate in outrage over the death of George Floyd by a Minneapolis police officer at a rally in lower Manhattan in New York, United States.
US-Journalist zu Unruhen: "Eine Explosion, auf die wir hätten vorbereitet sein müssen"
Die Polizeigewalt in den USA habe viel mit der dortigen Polizeikultur zu tun – das sei auch unter anderen US-Präsidenten ein Problem gewesen, sagte US-Journalist Jim Amos im Dlf.
US-Präsident Donald Trump droht nun mit dem Einsatz des Militärs gegen die eigene Bevölkerung. Die Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook von der Harvard Kennedy School erklärt, ob das rechtlich möglich ist und analysiert, ob in den USA gerade eine neue Bürgerrechtsbewegung entstehen könnte.

Das Interview in volle Länge:
Jörg Münchenberg: Frau Clüver Ashbrook, manche Beobachter sprechen ja längst von der schwersten innenpolitischen Krise in den USA seit der Ermordung von Martin Luther King 1968. Auch damals gab es ja einen massiven Gewaltausbruch, gab es umfangreiche Proteste. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Cathryn Clüver Ashbrook: Es ist mit Sicherheit ähnlich brisant. In den 60er-Jahren haben wir natürlich noch einen zusätzlichen politischen Mord in kurzer Folge gehabt, nämlich die Ermordung von Robert Kennedy. Das heißt, wir sind zum Glück noch nicht bei diesem Niveau einer schrecklichen und menschenverachtenden politischen Gewalt angekommen. Aber das hat Herr Teichmann in seinem Beitrag eben schon betont: Die Andeutung einer höheren Ebene von politischer Gewalt durch gerade diese Militarisierung der Polizei, nicht nur des Narrativs, aber dann auch die Androhung der Nutzung des amerikanischen Militärs de facto gegen das eigene Volk, das kann der Präsident in diesem Sinne jedenfalls legal, so wie die Faktenlage jetzt ist, nur in Washington DC verfügen.
Flammen schlagen in der Nacht aus Geschäften in Minneapolis, Minnesota
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Berechtigte Proteste wandelten sich in den USA häufig in Gewalt, sagte der USA-Experte Michael Dreyer im Dlf. Diese sei bei den aktuellen Ausschreitungen auf beiden Seiten vorhanden – bei Demonstranten und Polizei.
Es gäbe natürlich verschiedene Gesetzesregelungen, mit denen er das auch auf das ganze Land ausweiten könnte. Das war heute der große Punkt der Reaktionen in der politischen Presse in den USA, aber auch, wie Sie es schon erwähnt haben oder der Korrespondent es schon erwähnt hat, von früheren US-Präsidenten, dem Einhalt zu gebieten, um genau diese Krise oder eine Hochpeitschung, ein hochpeitschendes Element doch einzuschränken. Die Leute sehen schon, dass es durchaus ein ganz wichtiger kulminanter Moment sein könnte, und da entsteht jetzt ein Gegendruck auf der politischen Seite.
Möglichkeiten, einen Militäreinsatz im Inland zu verhindern
Münchenberg: Noch mal zur Präzisierung vielleicht. Der Präsident droht mit dem Einsatz des Militärs im Inneren. Sie sagen, verfassungsrechtlich ist das möglich, auch wenn die Gouverneure sich verweigern?
Clüver Ashbrook: Es müssten zwei Regelungen zusammenspielen. Erst müsste der sogenannte Insurrection Act von 1807, der in der Geschichte der USA nur viermal genutzt worden ist, per Dekret ausgerufen werden. Dann müsste quasi eine Zusatzregelungen mit einbezogen werden. Das ist der sogenannte Posse Comitatus Act, ein weiterer legaler Teil, der dann dafür sorgen würde, dass genau die Hürde, die der amerikanische Föderalismus einbaut, um diese Kontrollfunktion auf die Exekutivgewalt zu haben, auszusetzen.
Das heißt, es ist ein mehrstufiger Prozess, und wir können uns vorstellen – und glücklicherweise ist es insofern natürlich ein Fortschritt zu 1968 und zu den früheren Protesten 1964, 1965, dem Civil Rights Act, dem Voting Act, den politischen Erfolgen, die durchgesetzt worden sind durch Bürgerrechtsproteste -, wir sind weiter in der Entwicklung in der Geschichte der USA und da gibt es auch gerichtliche Arten und Weisen, gegen solche Vorhaben vorzugehen, selbst wenn wir einen Präsidenten erleben, der seit drei Jahren versucht, das amerikanische Justizsystem von innen auszuhöhlen.
"Das ist hohes politisches Theater"
Münchenberg: Frau Clüver Ashbrook, der Präsident gibt den rhetorischen Scharfmacher. Welches Kalkül steckt dahinter, gerade wenn es auch um die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen geht?
Clüver Ashbrook: Ja, Sie sprechen es schon an. Heute war Vorwahltag in den USA und wir haben schon ein bisschen einerseits natürlich dieses für den Präsidenten "großartige" Medienspektakel, das brutale Freiräumen des Lafayette Parks und das Hochhalten einer Bibel, ohne in irgendeiner Weise die Symbolik der Christenheit, nämlich die Nächstenliebe, die Empathie – das ist das, was George W. Bush in seinem Statement immer wieder hervorgehoben hat – zu bedienen oder irgendein Verständnis für wirkliche christliche Werte an den Tag zu legen.
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Das ist hohes politisches Theater, mit dem der Präsident seine Anhänger an sich binden möchte. Aber wir sehen natürlich schon in den Zahlen, in den Umfragezahlen, wie sie anfangen zu bröckeln. 55 Prozent der Amerikaner – so eine neue Reuters- Umfrage – sehen den Umgang des Präsidenten mit den Protesten extrem kritisch. Seine Zuläuferzahlen sind um circa sechs Prozent in den letzten Tagen zurückgegangen. Das heißt, wir können erwarten, dass er weiterhin versuchen wird, großes politisches Theater zu spielen, Ablenkungsmanöver im höchsten Sinne, die aber sehr, sehr gefährlich sein können. Das haben Sie schon angesprochen. Und wir können sehen – das haben wir heute schon gesehen -, da kommen mehrere Faktoren zusammen: Natürlich Corona-Krise, Straßensperren haben Sie angesprochen, wie das Wahlrecht zurzeit aktiv behindert wird. Wir hatten in mehreren Staaten Vorwahlen heute und wir haben gesehen, dass zum Beispiel in Philadelphia, wo Vizepräsident Biden heute seine Rede gehalten hat, normalerweise 830 Wahllokale auf sind. Heute waren es nicht mal mehr als 200.
Münchenberg: Trotzdem noch mal der historische Vergleich. Nixon hatte ja mit der Politik der harten Hand durchaus Erfolg 1968 bei den Präsidentschaftswahlen. Könnte das am Ende nicht doch wieder verfangen?
Clüver Ashbrook: Da kommt es auf viele, viele einzelne Schritte jetzt an. Wir sehen einen Kongress, der langsam anfängt, sagen wir, politisch aufzuwachen und zurück zu argumentieren, zu drücken. Die Frage ist, inwieweit kann das, was ein Kongress ausrichten kann, erfolgreich sein. Der Ansatz – das haben Sie genau richtig beschrieben -, das ist genau seine Strategie: Weiter spalten, großes politisches Theater, Law and Order, harte Hand.
Aber die Frage ist, wird das reichen, geht das numerisch auf. Weil dieses politische Spektakel, dieses gefährliche Spektakel mitten in die Corona-Krise fällt, indem schon ältere Amerikaner, auch langzeitige republikanische Wähler anfangen, sich von einem Präsidenten abzuwenden, der deren Generation für verzichtbar hält, indem er Gouverneure zwingt, vorzeitig wieder zu öffnen etc. etc., da sehen wir schon gegebenenfalls, dass sich etwas bewegt im Sinne eines demokratischen Kandidaten in Vizepräsident Biden, oder dass zumindest Leute sich abwenden und eher sehen können, welches politische Theater dieser Präsident aufführt. Das ist brandgefährlich!
"Wir erleben auch unglaublich bewegende Solidaritätsmomente"
Münchenberg: Lassen Sie mich da kurz vielleicht einhaken. Gerade der Punkt US-Demokraten. Sie haben die Proteste der US-Demokraten nach Floyds Tod unterstützt. Aber von den Ausschreitungen haben sie sich ebenso ganz schnell distanziert.
Clüver Ashbrook: Sie müssen sich natürlich distanzieren gerade von den brutalen Übergriffen und den Plünderungen. Das ist auch wirklich undemokratisch, was sich zum Teil auf den amerikanischen Straßen abspielt. Umgekehrt erleben wir auch unglaublich bewegende Solidaritätsmomente von amerikanischen Politikern, aber auch wirklich von einzelnen Menschen auf der Straße. Es ist wirklich extrem bewegend. Wenn man ganz oft den Blick auf das verliert, was Amerikaner eigentlich eint, dann muss man genau auf diese einzelnen Situationen gucken, denn in diesen einzelnen Minuten, in diesen einzelnen Momenten scheint der Melting Pott USA doch noch zu funktionieren, selbst wenn wir einen Spalter par Excellence im Weißen Haus sitzen haben.
Mehrere Teilnehmer einer Demonstration stehen in Chicago einer Gruppe von Polizisten gegenüber
Kommentar zu Unruhen: Druck, der sich über Jahre aufgebaut hat
Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz hat in den USA zu einer Welle von Protesten geführt. Oft würden solche Fälle von Gewalt nicht geahndet, Fehlverhalten werde sogar belohnt, kommentiert Jan Bösche.
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Die strukturelle Benachteiligung der Schwarzen in den USA, daran hat sich auch unter demokratischen Präsidenten in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert. Was könnte das heißen für Joe Biden, der ja auf die Stimmen der Afroamerikaner dringend angewiesen ist?
Clüver Ashbrook: Er hat heute in seiner Rede in Philadelphia schon gesagt, er will sofort im Grunde genommen ein Gesetzesvorhaben schon vorgefertigt haben, bevor er im Weißen Haus einzieht, zu einer umfassenden Polizei- und Justizreform. Nancy Pelosi, die Führerin des demokratischen Unterhauses, hat gesagt, sie würde es dem afroamerikanischen Black Caucus überlassen, im Unterhaus ein neues Gesetzespaket zu gerade diesen institutionellen Fragen vorzulegen. Das finde ich persönlich etwas paternalistisch. Das sollte viel mehr eine Einheitsgeste sein, indem sich ein ganzer demokratischer Caucus zusammensetzt und wirklich noch mal in die Tiefe gehend über diese institutionellen Probleme nachdenkt, denn es geht nicht nur – das haben Sie schon angesetzt – um den Umgang mit der Polizei und der Staatsgewalt, die dann doch föderal, auf der lokalen Ebene ganz oft angehängt ist, sondern es geht um die strukturellen Fragen. Es geht um banale Dinge fast wie Infrastrukturausbau. Das scheint banal im ersten Moment. Oder, wie wir es jetzt in der Corona-Krise sehen, Gesundheitsvorsorge, denn wir sehen, Afroamerikaner sterben dreimal so schnell und mit einer dreimal so hohen Zahl am Corona-Virus wie ihre weißen Nachbarn. Da gilt es unglaublich schnell in einer Art und Weise flächendeckend nachzuarbeiten, dass ein ganz großer Teil der Amerikaner das Gefühl hat, sie werden vom System gerecht behandelt. Darum geht es jetzt hier im Kern.
"Da ist die Bewegung immer noch zu kopflos"
Münchenberg: Noch eine abschließende Frage. Könnte aus den Protesten sogar eine neue politische Bewegung entstehen?
Clüver Ashbrook: Das ist jetzt die ganz, ganz große Frage. Das ist das, wozu Präsident Obama in seinem verschriftlichen Statement gestern aufgerufen hatte. Er hat gesagt, das muss münden in eine neuartige politische Bewegung. Sie haben Martin Luther King Junior angesprochen. Das war eine politische Ikone. Dahinter stand ein organisiertes politisches System mit bestimmten politischen Zielen. Das sehen wir natürlich in dieser Bewegung nicht. Das würde man sich wünschen im Sinne einer integriert funktionierenden Demokratie. Das sehen wir noch nicht mit dieser Klarheit. Wir sehen nicht die Einzelpersonen, die sich zum Beispiel dann – und da müsste man überlegen, welche Auswirkungen das auch haben würde – mit einem Trump an den Tisch setzen würden, wenn er denn doch eine zweite Amtszeit gewinnt, um wirklich auszuhandeln, oder mit einem amerikanischen Kongress, mit Kongressabgeordneten an einen Tisch setzt und dann ausmacht, welche Ziele denn wirklich zu verfolgen wären. Da ist die Bewegung immer noch (zurzeit jedenfalls) zu kopflos.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und