Donnerstag, 18. April 2024

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Prozess um Brand in Textilfabrik
"Eine Globalisierung der Verantwortungslosigkeit"

In Dortmund hat der Prozess gegen Textil-Discounter Kik wegen eines Fabrikbrands in Pakistan begonnen. Ein Prozess von hoher Bedeutung, sagte die Grünen-Politikerin Katharina Dröge im Dlf. Denn erstmals stehe in einem solchen Fall ein Unternehmen in der Verantwortung. Sie forderte von der EU Standards für die Textilproduktion im Ausland.

Katharina Dröge im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.11.2018
    Die Abgeordnete Katharina Dröge spricht im Bundestag.
    Grünen-Politikerin Katharina Dröge fordert EU-Produktionsstandards für die Textilbranche (imago stock&people)
    Sandra Schulz: Im Frühjahr 2013 sterben mehr als 1.100 Menschen beim Zusammenbruch der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. Etwa ein halbes Jahr vorher, im September 2013, sterben mehr als 250 Menschen, die allermeisten von ihnen Näherinnen, nach einer Explosion nach einem schweren Brand in einer Textilfabrik in Pakistan. Welche juristische Verantwortung trifft die Unternehmen, die dort produzieren lassen? Dieser Frage geht ab heute das Landgericht Dortmund nach. Vier Betroffene fordern Schmerzensgeld vom Textil-Discounter Kik, weil das Unternehmen der wichtigste Abnehmer der Fabrik im pakistanischen Karachi war.
    Mitgehört hat Katharina Dröge, für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied und Obfrau im Wirtschaftsausschuss des Bundestages. Schönen guten Tag.
    Katharina Dröge: Schönen guten Tag.
    Schulz: Wie wichtig ist der Prozess heute?
    Dröge: Aus meiner Sicht kann man die Bedeutung dieses Prozesses gar nicht überschätzen. Es ist ein extrem wichtiges Thema, das hier gerade verhandelt wird, nämlich die Verantwortung von Unternehmen, auch deutschen Unternehmen für das, was sie im Ausland in der Produktion tun. Und was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, war eine Globalisierung von Verantwortungslosigkeit. Gerade die Unternehmen der Textil-Industrie sind in Länder gegangen, die extrem niedrige Löhne gezahlt haben, die auch schlechte Umwelt- und Sozialstandards hatten, und das war ein Stück weit das Geschäftsmodell. Und da haben die Unternehmen immer wieder auch versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen, indem sie gesagt haben, wir beschäftigen Zulieferer, was die machen, das ist nicht unser Business, und auch die Produktionsstätten, das können wir nicht richtig kontrollieren. Heute wird zum ersten Mal durch ein Verfahren verhandelt, dass das anders ist, und das ist genau richtig, denn die Unternehmen tragen da die Verantwortung.
    Schulz: Jetzt beruft sich Kik in diesem konkreten Fall darauf, dass es offenbar Brandstiftung war. Wieso sollte das Unternehmen, warum sollte ein Unternehmen hier in Deutschland zur Verantwortung gezogen werden für eine – man kann es ja nicht anders sagen – so wahnwitzige Tat eines anderen?
    Dröge: Das, worauf sich die Kläger ja beziehen, ist das Einhalten von Bauvorschriften und Brandschutzbestimmungen, und da wiegen die Vorwürfe gegen Kik ja sehr schwer. Es gab zu wenig Treppenaufgänge, es wurden statt Beton-Zwischengeschossen Holz-Zwischengeschosse verwendet. Fluchttüren waren verschlossen und so konnten die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht fliehen, als das Gebäude brannte. Das Ganze wurde ja sogar dokumentiert. Bevor es zu diesem schweren Brand kam, gab es ja eine Firma im Auftrag von Kik, die Kik viermal darauf hingewiesen hat, dass dieser Standort als Hochrisiko-Standort eingeschätzt werden muss, und dabei auch auf Brandschutzmängel hingewiesen hatte.
    "Wir brauchen eine Umstellung des Rechtes"
    Schulz: Jetzt haben wir es gerade noch mal gehört, Frau Dröge. Ein Urteil gegen Kik könnte ja an einer Verjährungsfrist im pakistanischen Recht scheitern. Was würde das bedeuten?
    Dröge: Aus meiner Sicht zeigt es, dass wir an dieser Stelle noch mal ganz grundsätzlich über das Thema Unternehmensverantwortung und Stärkung von Rechten von Menschen in der Welt, die für deutsche Unternehmen arbeiten, sprechen müssen. Ich hoffe, dass es an dieser Stelle nicht zu dieser Entscheidung kommt. Aber wir Grünen sagen auch deshalb ganz grundsätzlich, wir brauchen da eine Umstellung des Rechtes, und wir machen einen Vorschlag für einen multilateralen Gerichtshof, wo es dann auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages künftig auch für gesellschaftliche Gruppen möglich wäre, deutsche Konzerne zu verklagen.
    Wir haben momentan die absurde Situation im internationalen Recht, dass wir Investitionsschutz-Verträge haben, die deutschen Unternehmen Klagemöglichkeiten im Ausland zusichern, aber es nicht möglich ist, dass diese Unternehmen gleichzeitig auf Grundlage von Investitionsschutz-Verträgen verklagt werden. Da bräuchten wir endlich Augenhöhe und deswegen, sagen wir, müssten wir eigentlich ganz grundsätzlich an diese Frage herangehen.
    "Man spielt am Ende noch die ärmsten Länder der Welt gegeneinander aus"
    Schulz: Jetzt liegt Karachi, jetzt liegt auch der Großbrand in Bangladesch im Rana Plaza mit mehr als tausend Toten, beide Fälle liegen ja schon einige Jahre zurück. Wie ist die Lage? Wie sind die Produktionsbedingungen aktuell? Hat sich da was verändert?
    Dröge: Es hat sich zum Teil etwas verändert. Es gab ja dann ein Textilbündnis, wo am Ende die großen Textilhersteller auch mit beigetreten sind – allerdings erst, nachdem Herr Müller, der Entwicklungsminister, noch mal die Standards absenken musste. Dieses Textilbündnis soll jetzt seit diesem Jahr auch selbstgesetzte verbindliche Ziele enthalten. Aber das Ganze reicht bei weitem nicht aus, weil es sind immer nur selbstgesetzte Ziele, die die Unternehmen erfüllen müssen. Damit ist es für die Verbraucher komplett intransparent, welche Ziele das sind.
    Im Falle von Bangladesch erleben wir gerade: Da wurde ein Accord mit Bangladesch vereinbart zum Thema Gebäudesicherheit nach dem furchtbaren Unglück von Rana Plaza und der steht möglicherweise morgen vor dem Aus, weil Bangladesch den kündigen möchte. Dann kommen wir zu einer völlig absurden Situation, die wir global erleben. Bangladesch muss fürchten, wenn sie höhere Standards im Bereich der Menschenrechte, Arbeitssicherheit, Arbeitsschutz haben, dass die Unternehmen dann abwandern in andere Länder, die diese Standards nicht haben. Deswegen wehren die sich dagegen, obwohl es eigentlich in ihrem eigenen Interesse wäre, diesen Accord zu behalten. Das ist das Problem. Solange die EU nicht ein grundsätzliches Recht schafft, grundsätzliche Standards setzt, spielt man am Ende noch die ärmsten Länder der Welt gegeneinander aus.
    Schulz: Der Vorwurf, wenn nicht wir, dann machen es andere, der stimmt für alle praktischen Zwecke?
    Dröge: Das ist das Problem. Wir müssen Regeln treffen als Europäische Union, und das ist meine zweite Forderung. Wir verhandeln mit der ganzen Welt Handelsverträge und wir regeln, was ist drin in den Produkten, die auf unsere Märkte dürfen, Chemikalien oder Inhaltsangaben bei Lebensmitteln. Was wir nicht regeln ist, wie werden die Produkte hergestellt, und das finde ich fatal. Genau das dürfen wir nicht mehr tun und wir sind der größte Wirtschaftsraum der Welt. Wir könnten sagen, wir lassen nur Produkte rein, die bestimmten Mindestschutz-Standards genügen. Das würde dann für die gesamte Welt gelten und eben nicht dazu führen, dass die ärmsten Länder der Welt gegeneinander ausgespielt werden.
    Schulz: Was raten Sie Verbrauchern, die beim Klamottenkauf auf Textilien zurückgreifen wollen, an denen – ich sage es jetzt zugespitzt – nicht Blut klebt, an denen diese Produktionsbedingungen vielleicht andere sind?
    Dröge: Für den Verbraucher ist es momentan extrem schwer, zumindest im Bereich der konventionellen Textilerzeuger zu unterscheiden, wer macht es ein bisschen besser als die anderen. Sie können natürlich fair und ökologisch gehandelte Textilien kaufen. Da gibt es ja auch mittlerweile eine ganze Reihe von Anbietern, die sich darauf spezialisiert haben und die wirklich auch sehr gute Kontrollmechanismen entlang ihrer Lieferkette haben und das wirklich einhalten.
    Aber am Ende nutzt es noch nicht mal, auf den Preis zu schauen, wenn man sich im konventionellen Bereich bewegt, weil nicht nur die Billiganbieter in der Fabrik beispielsweise in Rana Plaza produziert haben. Trotzdem muss sich aus meiner Sicht jeder Verbraucher fragen, ob ein T-Shirt, das zwei Euro kostet, zu vernünftigen Bedingungen hergestellt werden kann. Ich glaube das nicht.
    "Wenn wir Produktstandards fordern, dann ist das im Endeffekt ein Verbot"
    Schulz: Sie haben gerade gesagt, dass ein teures T-Shirt nicht unbedingt ein fair produziertes sein muss. Umgekehrt stimmt die Rechnung aber ja durchaus, dass die fair produzierten teurer sind, dass die einige oder auch viele Euro mehr kosten. Was sagen Sie denen, die dieses Geld, dieses zusätzliche Geld nicht haben?
    Dröge: Grundsätzlich ist es so, dass auch im Niedrigpreis-Segment beispielsweise der Lohnanteil der Näherinnen bei zwei Prozent des Preises liegt. Und wir Deutschen, wir gaben noch nie in unserem Leben so wenig Geld für Textilien aus wie heute, und gleichzeitig kaufen wir mehr als jemals zuvor. Es ist nicht so, dass das alleine eine Frage der Bezahlbarkeit ist, sondern es ist schon auch eine Frage des Konsumverhaltens, dass wir mittlerweile den Trend haben, alle paar Monate einer neuen Modelinie folgen zu müssen und auch immer mehr Klamotten kaufen müssen, statt einige zu kaufen, die länger haltbar sind.
    Das, finde ich, ist schon auch eine Einstellungsfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher. Trotzdem ist es aus meiner Sicht möglich, Sachen anständig zu produzieren, selbst wenn sie dann nicht den hohen Standards der bio- und fair gehandelten Produkte entsprechen, die dann nicht extrem viel teurer sind. Für dieses Zwischensegment, dafür braucht man klare Signale, klare Siegel, die das den Verbrauchern auch erklären.
    Schulz: Und im Gespräch mit einer Grünen-Politikerin auch die naheliegende Frage: Warum fordern Sie dann kein Verbot?
    Dröge: Wenn wir Produktstandards fordern, dann ist das im Endeffekt ein Verbot. Dann sagen wir: Produkte, die diesen Standards nicht entsprechen, dürfen auf dem europäischen Markt nicht mehr verkauft werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.