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Prozessauftakt in Russland
Ukrainische Kampfpilotin Sawtschenko vor Gericht

In Russland beginnt heute der Prozess gegen die ukrainische Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko. Sie soll indirekt für die Tötung zweier Mitarbeiter des russischen Fernsehens verantwortlich sein. Es ist ein hoch politischer Prozess - und nicht der einzige in Russland in den letzten Wochen: Bereits im August wurde der estnische Grenzpolizist Eston Kohver verurteilt - und ist seitdem verschwunden.

Von Gesine Dornblüth | 22.09.2015
    Die ukrainische Pilotin Nadija (Nadeschda) Sawtschenko während einer Anhörung vor einem russischen Gericht.
    Die ukrainische Pilotin Nadeschda Sawtschenko während einer Anhörung vor Gericht. (Imago / ITAR-Tass / Vyacheslav Prokofyev)
    Der Prozess gegen die ukrainische Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko findet fernab von Moskau in der kleinen südrussischen Stadt Donezk statt, nicht zu verwechseln mit der Separatistenhochburg Donezk in der Ostukraine. Den Antrag der Verteidigung, den Prozess nach Moskau zu verlegen, hatte das Gericht abgelehnt.
    Sawtschenko drohen bis zu 25 Jahre Haft. Russland wirft ihr vor, sie habe während der Kämpfe im Donbass im Juni 2014 den Aufenthaltsort einer Gruppe von Zivilisten ermittelt und die Koordinaten telefonisch an das ukrainische Militär weitergegeben. Das Militär habe daraufhin Artilleriefeuer eröffnet und zwei Mitarbeiter des russischen Fernsehens getötet. Wladimir Markin, Sprecher der russischen Ermittlungsbehörde:
    "Es wurden unwiderlegbare, ich wiederhole: unwiderlegbare Beweise dafür gesammelt, dass Sawtschenko direkt an den Verbrechen beteiligt war."
    Die Verteidigung will dagegen Beweise dafür haben, dass Sawtschenko zu dem betreffenden Zeitpunkt bereits in Gefangenschaft der Separatisten war, die Daten also gar nicht weitergegeben haben kann. Ihre Anwälte sagen, Sawtschenko sei nach Russland entführt worden. Die Anklage hingegen wirft der 34-Jährigen vor, sie habe die Grenze nach Russland illegal passiert.
    Sawtschenko nimmt kein Blatt vor den Mund
    Der Prozess ist hoch politisch. Die Partei Bjut der ukrainischen Politikerin Julia Timoschenko setzte Sawtschenko im Herbst letzten Jahres zur Parlamentswahl in der Ukraine an die Spitze ihrer Parteiliste. Sawtschenko wurde in Abwesenheit gewählt, den Sitz in der Rada konnte sie freilich nie wahrnehmen. Außerdem ist Sawtschenko Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Deshalb müsse sie Immunität genießen, argumentieren ihre Verteidiger. Sawtschenko, die vor Gericht meist Kleidung mit ukrainischem Muster trägt und zu den russischen Richtern meist Ukrainisch spricht, nahm bei bisherigen Gerichtsterminen kein Blatt vor den Mund. Im Frühjahr sagte sie:
    "Ich wundere mich sehr und will eine Frage stellen: Ist der russische Präsident dumm oder ein Lump? Wenn er selbst wirklich glaubt, dass die Menschen in Russland gut leben, ist er dumm. Aber wenn sein Ziel ist, dass die Russen selbst glauben, dass sie gut leben, dann ist er ein Lump."
    Der Prozess gegen Nadeschda Sawtschenko ist bei Weitem nicht der einzige gegen ukrainische Staatsbürger in Russland. Ende August wurde der ukrainische Regisseur Oleg Senzow in Russland zu 20 Jahren Haft verurteilt - wegen angeblicher Gründung einer Terrorgruppe auf der Krim. Gleichfalls im August fiel außerdem das Urteil gegen den estnischen Grenzpolizisten Eston Kohver. Ein Gericht im nordwestrussischen Pskow verurteilte den Esten zu 15 Jahren Haft wegen angeblicher Spionage, illegalen Waffenbesitzes und unrechtmäßigen Grenzübertritts. Kohver war vor einem Jahr im estnisch-russischen Grenzgebiet verhaftet worden. Die EU-Außenbeauftragte sprach von einer Entführung und fordert Kohvers Freilassung. Auch die estnische Regierung protestiert. Paul Teesalu, politischer Direktor im Außenministerium Estlands:
    "Eston Kohver war mit der Prävention grenzüberschreitender Kriminalität befasst. Er wurde während seiner Dienstausübung entführt. Das ist ein Verstoß gegen internationales Recht."
    Estnische Regierung will Druck auf Russland ausüben
    Kohvers derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Eine Anfrage des estnischen Außenministeriums bei den russischen Behörden blieb bisher unbeantwortet. Kohver hat das Urteil gegen ihn nicht angefochten. Dazu Paul Teesalu vom estnischen Außenministerium:
    "Das war seine eigene Entscheidung. Er hatte wohl keine Hoffnungen, überhaupt einen freien und fairen Prozess zu bekommen."
    Die estnische Regierung wolle weiter Druck auf Russland ausüben, um den Beamten freizubekommen. Auch das eine Parallele zum Fall Sawtschenko, in dem gleichfalls wohl nur politischer Druck helfen könne, wie der Verteidiger der ukrainischen Pilotin, Ilja Nowikow, meint. Denn eine Verurteilung Sawtschenkos stehe eigentlich schon fest.
    "Es ist unerheblich, ob sie 20 oder 25 Jahre bekommt - wir müssen dafür kämpfen, dass sie frei kommt. Und das geht nur auf diplomatischer Ebene und mit politischem Druck. Deshalb wird unsere Arbeit erst nach dem Urteil richtig losgehen."