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Prunkgrab für Priesterin

Archäologie. - Das Schiff von Oseberg ist das Prunkstück des Wikingermuseums in Oslo. Vor 1000 Jahren wurde darin eine hochgestellte Frau beigesetzt, bislang hatte man vermutet, dass sie eine Königin sei. Jetzt stellten Pathologen fest, dass sie vermutlich geistig verwirrt war. Die Frau dürfte daher eher so etwas wie eine Priesterin gewesen sein.

Von Jens Wellhöner | 21.10.2010
    Es ist das Jahr 1904: Bei Oslo entdecken Forscher den bis jetzt spektakulärsten Fund aus der Wikingerzeit: Das Schiff von Oseberg. Es stammt aus der Zeit kurz nach 800, ist fast vollständig erhalten, prächtig mit Schnitzereien verziert. Im Schiff entdeckten die Forscher die Skelette von zwei Frauen. Schiffsgräber waren in der Wikingerzeit den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Dafür wurde ein Schiff an Land gezogen und unter einem Erdhügel begraben, mitsamt den Toten und Grabbeigaben. In Oseberg entdeckten die Archäologen sehr wertvolle Beigaben, zum Beispiel Seide, Möbelstücke und noch vieles mehr:

    "Da gibt es einen reich verzierten Schlitten aus dem Grab von Oseberg. Ein sehr hochwertiges Produkt. Was als Fahrzeug gedient hat, man kann sich das gut vorstellen. Sozusagen eine Luxus-Limousine in einer Gesellschaft, die auch im Winter mobil sein muss","

    sagt der Kieler Archäologe Ulrich Müller, Experte für das frühe Mittelalter. Die Norweger waren 1904 begeistert von diesem Fund: Denn für sie war die ältere der beiden Toten keine Geringere als Asa, die legendäre Stammmutter der norwegischen Könige. Beide Frauenskelette wurden nach ihrer Entdeckung noch einmal feierlich bestattet. In einem eigens errichten Monument. Dieses Grab ist mittlerweile aber auch in die Jahre gekommen. Um die Skelette vor dem Verfall zu retten, wurden sie 2007 noch einmal exhumiert. Der norwegische Pathologe Per Holck nutzte die Gelegenheit: Mit modernsten Methoden untersuchte er die Skelette. Auf ihr Alter und mögliche Krankheiten. Seine Ergebnisse hat er jetzt veröffentlicht. Die sogenannte Königin wurde 80 Jahre alt. Beinahe unglaublich für eine Frau in der Wikingerzeit. Die alte Dame litt aber unter ein paar sehr unerfreulichen Krankheiten. Das entdeckte Per Holck bei der Untersuchung mit dem Raster-Elektronen-Mikroskop:

    ""Die alte Frau war natürlich osteoporotisch. So wie man es häufig sieht an Skeletten von sehr alten Menschen, vor allem Frauen. Aber auf der Innenseite von ihrem Stirnbein war eine Verdickung im Schädel. Das ist ein Symptom einer hormonellen Störung, die zu Bartwuchs führt. Hängt auch zusammen mit geistiger....also sie war ein bisschen blöd."

    Die Tote von Oseberg litt sehr wahrscheinlich unter dem sogenannten Morgagni-Syndrom: Es kann zu Ohnmachtsanfällen führen, zu Kopfschmerzen und Halluzinationen. Die sogenannte Königin war also wahrscheinlich geistig verwirrt. Nicht gerade passend für die Stammmutter der norwegischen Herrscher. Per Holck glaubt allerdings nicht, dass es sich bei der Toten um die legendäre Königin Asa handelt. Er hat eine andere Vermutung, wer die Tote wirklich war:

    "Es könnte sein, dass sie durch ihre Eigenart als Priesterin gedient hat."

    Archäologe Ulrich Müller hält das auch für wahrscheinlich. Er hat studiert, wie Naturvölker mit geistig verwirrten Menschen umgehen:

    "Und da kann man feststellen, dass Leute, die etwas außerhalb der gesellschaftlichen Strukturen stehen, immer ein besonderes Medium darstellten. Dass man ihnen schon besondere Kräfte zugeschrieben hat. Oder dass sie eben die Schnittstellen zwischen dem Profanen und dem Göttlichen waren. Das mag sicherlich für die alte Dame, die im Oseberg-Schiff bestattet wurde, eine Rolle gespielt haben."

    Eine Frau mit Halluzinationen als Brücke in die Götterwelt: In alten Wikinger-Sagen ist tatsächlich von Seherinnen die Rede, die die Zukunft vorhersagen konnten. Wahrscheinlich war die Tote von Oseberg also eine Hohepriesterin, die wie eine Königin bestattet wurde. Schiffsgräber waren in der Wikingerzeit ja nur den Mächtigen vorbehalten.