Freitag, 29. März 2024


PS.: Busse und Bändchen

Rückreise. Die Insel Boipeba liegt hinter uns. Mein Kollege Dirk Gebhardt ist nach São Paulo weitergeflogen, ich habe vor dem Flug nach Frankfurt noch etwas Zeit in Salvador da Bahia. Zeit für einen Abstecher zu einer der berühmtesten Kirchen Brasiliens, der "Igreja de Nosso Senhor do Bonfim" aus dem 18. Jahrhundert.

Von Jörg-Christian Schillmöller | 13.08.2013
    Die Kirche liegt eine halbe Bus-Stunde außerhalb der Altstadt. "Volkwagen Volksbus" steht auf Deutsch neben der Vordertür. Der Einstieg ist hinten, dort sitzt auch der Schaffner, der die Fahrkarten verkauft. Eine Fahrt kostet 2,80 Reais, das ist etwa ein Euro. Busfahren in Brasilien: Wegen einer längst zurückgenommenen Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr hatten im Juni die landesweiten Massenproteste begonnen. Später ging es dann mehr um Gesundheit und Bildung.

    Die Busfahrt zur Kirche führt am Meer entlang - links die Bucht von Salvador mit den vielen großen Frachtschiffen, rechts (und ein gutes Stück höher) die restaurierte Altstadt, später ärmere Viertel. Der "Volksbus" rattert und quietscht, draußen ist es neun Uhr und ziemlich heiß.

    Die "Igreja de Nosso Senhor do Bonfim" ist besonders beliebt bei den Menschen hier: "Dearly beloved by the Bahian people" steht auf dem Schild neben dem Eingang. Diese Igreja ist tatsächlich etwas Besonderes, denn sie steht für Synkretismus, die Vermischung von Religionen. Gemeint ist: Die kleine Kathedrale mit den zwei Türmen ist nicht nur das Herzstück des Katholizismus im Bundesstaat Bahia. Sie ist auch verbunden mit dem Candomblé - jener Religion, die sich aus dem Glauben der afrikanischen Sklaven entwickelte.

    Die Verbindung findet in der rituellen Waschung der Treppenstufen ihren Ausdruck, die längst zu einem Großereignis geworden ist und immer im Januar stattfindet. Nach einem Festumzug von acht Kilometern Länge waschen zahlreiche Frauen in Weiß gekleidet (das ist die Farbe des Candomblé) die Stufen der Kirche. Der Brauch soll daher rühren, dass einst afrikanische Sklaven die Kirche für das katholische Bonfim-Fest reinigen mussten - und dass sich in ihrem Glauben mit der Zeit die Candomblé-Gottheit Oxalá mit dem Senhor do Bonfim (sprich: Jesus Christus) vermischte.

    Messe in der Bonfim-Kirche in Salvador
    Messe in der Bonfim-Kirche in Salvador (Bild: Jörg-Christian Schillmöller)
    Heute ist Sonntag - und gerade wird eine Messe gefeiert. Die Kirche ist so voll, dass viele Menschen draußen vor der offenen Tür mitsingen und mitbeten und sich zwischendurch ein bisschen unterhalten. Eine Frau mit weißen Pudel (und rosa Schleife) steht da, vor ihr ein Mann im Trikot (darauf die Nummer 10 und der Name "Wizard Jadson").

    Die Stimmung ist freundlich und etwas emotional. Auffällig ist, dass Hände in der Messe eine große Rolle spielen. Bei einem der Lieder hebt die ganze Gemeinde beide Hände und schwenkt sie über dem Kopf hin und her, bei einem der Gebete heben alle die rechte Hand, dann wieder fassen sich alle gegenseitig an den Händen.

    An den schmiedeeisernen Zäunen vor der Kirche flattern zehntausende bunte Armbändchen im Morgenwind - sie haben ihren Ursprung hier in Bahia. Menschen in aller Welt tragen sie am Handgelenk, denn die Bändchen sind Wunschbändchen: Drei Knoten, drei Wünsche. Jede Farbe hat ihre Bedeutung: rot steht für Leidenschaft, blau für Liebe, grün für Gesundheit, rosa für Freundschaft etc.

    Rund um die Kirche sind Händlerinnen und Händler unterwegs. Viele. Die einen verkaufen Wunschbändchen, die anderen Heiligenbildchen, wieder andere Rosenkränze. Das Geschäft mit dem Glauben ist aufdringlich - es hilft wenig, bereits gekaufte Devotionalien gut sichtbar in der Hand zu halten.

    Auch Karlo arbeitet vor der Kirche. Er ist 40, hat nach eigenen Worten neun Kinder (sechs Jungen, drei Mädchen) und trägt ein grünes Muskelshirt. Auf der Brust steht die Nummer 16, und auf dem Rücken ist zu lesen: "Vendedor ambulante do Bonfim". Das heißt: Karlo ist "fliegender Händler" und darf ausschließlich Bändchen verkaufen. "Es gibt 18 bis 20 von uns", sagt er, "und ich bin registriert". Er deutet hinüber zu einem Polizeiposten.

    Bändchenverkäufer Karlo
    Bändchenverkäufer Karlo (Foto: Jörg-Christian Schillmöller)
    Karlo erklärt, dass er fünf Reais für ein Büschel seiner Wunschbändchen in allen Farben verlangt. 1,60 Euro: das ist viel. In den Hotels der Altstadt gibt es die Bändchen beim Frühstücksbüffet gratis (dort hängen sie an den Körbchen, in denen die Zuckertüten stecken). 40 Reais verdiene er am Tag, (gut 13 Euro), sagt Karlo. Bei dem Preis, den er nennt, wären das gerade einmal acht Büschel am Tag.
    Wer das will, kann sich hier vor der Kirche auch von (echten oder vermeintlichen) Candomblé-Priesterinnen "reinigen" lassen: Dazu klopft die Frau einem mit einem kleinen Strauß aus getrockneten Blättern auf die Brust, streut Getreidekörner über den Kopf und malt zwei Kreuze aus Kreide auf die Pulsadern. Fünf Reais.
    Rituelle (und touristische) Reinigung vor der Kirche
    Rituelle (und touristische) Reinigung vor der Kirche (Foto: Jörg-Christian Schillmöller)
    Ich frage mich, ob es einen bestimmten Grund dafür gibt, dass heute so viel los ist. Die Antwort bekomme ich von Jerusa, einer Frau, die mich (vergeblich) nach dem Weg fragt. "Wissen Sie denn nicht, dass heute Vatertag ist?", meint sie. Ich verneine und denke bei Vatertag an betrunkene Männer im deutschen Frühsommer. Jerusa legt nach: "Der größte Vater, das ist doch der Senhor do Bonfim, darum ist heute die Kirche so voll".

    Knapp eine Stunde später, zurück im Bus. Ich vergesse nachzuschauen, ob das Fahrzeug wieder ein "Volksbus" ist. Es rattert jedenfalls genauso laut wie auf der Hinfahrt, dafür gibt es diesmal für die 2,80 Reais drinnen zwei Flachbildschirme. Im Fernsehen laufen "AFP News" mit einem Bericht über Greenpeace und einer Protestaktion in London. Europa rückt ein Stückchen näher. In wenigen Stunden geht der Flieger.

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    Jörg-Christian Schillmöller
    ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.
    Karte von Boipeba