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Psychiater warnen vor Warnschussarrest

Gerade hat die Bundesregierung den Warnschussarrest beschlossen: Kriminelle Jugendliche sollen in Zukunft für bis zu vier Wochen ins Gefängnis gesteckt werden - zur Abschreckung. Eine Maßnahme, die nicht nur Polizei und Richter kritisch sehen, sondern auch Jugendpsychiater.

Von Marieke Degen | 13.03.2012
    Gewalttätige Jugendliche gehören für Michael Kölch zum Alltag. Er ist Chefarzt der Vivantes-Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin.

    "Das fängt bei den ganz kleinen Kindern mit Gewalttaten insofern an, als dass das Kinder sind, die in der Grundschule oder Schule wirklich massiv andere Kinder schlagen oder verletzen, hauen und Ähnliches. Und das geht dann im jugendlichen Bereich dahingehend weiter, dass es wirklich zu massiven Prügeleien, Bedrohungen, schweren Körperverletzungen auch kommen kann, wobei da auch immer ein großer Anteil Täter dabei ist, wo zusätzlich noch ein Drogenkonsum, Alkoholkonsum im Rahmen der Tat eine Rolle gespielt hat."

    Für die Entstehung von Gewalt, von aggressivem Verhalten gibt es viele Gründe. Die Lebensumstände spielen eine Rolle, die eigene Persönlichkeit – und psychische Störungen. Zwei Drittel aller jugendlichen Straftäter leiden an einer psychischen Störung, das haben internationale Studien gezeigt. Und nur, wenn man diese Störungen erkennt und behandelt, dann kann sich der Patient stabilisieren und in Zukunft vielleicht ein sozialverträglicheres Leben führen, sagen Jugendpsychiater.

    "Die psychischen Störungen reichen von der sogenannten Störung des Sozialverhaltens, also dissoziales Verhalten mit Störung der Impulskontrolle und ähnlichem über ADHS, also Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, bis hin zu depressiven Störungen. Aber auch - und das dann im höheren Alter, mit 14, 15 - zu beginnenden Persönlichkeitsstörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, antisoziale Persönlichkeitsstörung und ähnliches."

    Gerade das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom scheint bei jugendlichen Straftätern eine große Rolle zu spielen. Forscher schätzen, dass jeder zweite Insasse in einem Jugendgefängnis an ADHS leidet.
    "Ein konkretes Beispiel ist ein Jugendlicher, der zur Begutachtung kommt und mehrere Straftaten mit gewalttätigem Einbruch auch begangen hatte."

    Michael Kölch hat herausgefunden, dass der junge Mann an ADHS litt, sich aber nie behandeln lassen wollte.

    "Was zum Beispiel dazu geführt hat, dass er über Jahre nicht konsequent in die Schule gegangen ist und dementsprechend natürlich auch keine Lernerfolge hatte, und von daher die Verstärkerschiene für ihn eher über seine Straftaten, über seine Clique lief als über sozial angepasstes Verhalten in der Schule, über Leistung oder Ähnliches."

    Eine ganze Reihe der jugendlichen Gewalttäter war früher einmal selbst Opfer und dadurch schwer traumatisiert. Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, solche Patienten zu behandeln. Medikamente gehören dazu, aber auch strenge pädagogische Maßnahmen. Zum Beispiel klare Regeln, an die sich der Patient halten muss.

    "Ein Patient, der eine unbehandelte ADHS zum Beispiel, den kann ich durch eine Behandlung der ADHS besser wieder in den Schulalltag integrieren und kann versuchen, dass er einen Schulabschluss machen kann. Genauso gut kann ich einem Patienten, der überhaupt keine Kontrolle über seine Impulse hat, durch eine Behandlung erstmal wieder befähigen, wieder sozial akzeptabel zu sein."

    Die Bundesregierung will jetzt einen Warnschussarrest für Jugendliche einführen. Junge Intensivtäter, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sind, sollen ein paar Wochen inhaftiert werden. Zur Abschreckung. Kinder- und Jugendpsychiater halten davon gar nichts: Im Gefängnis knüpfen die Jugendlichen nur Kontakt zu anderen Straftätern, und in ihrer Clique würden sie dafür eher gefeiert. Michael Kölch hat nichts gegen harte Maßnahmen. Er weiß aber auch, was die Jugendlichen, die zu ihm kommen, am meisten fürchten: dass sie eine Therapie machen müssen.

    "Sicherlich ist es sinnvoll, harte Maßnahmen insofern zu installieren, die zu einer Konfrontierung mit der Tat, mit einer Konfrontierung der eigenen Biografie – warum bin ich Täter, und warum tue ich das – mit der gleichzeitigen natürlich Perspektivöffnung - was kann ich anders machen - wenn wir so etwas Tätern anbieten, ich halte das dann für sinnvoller."

    Davon würden auch die Opfer mehr profitieren. Für sie ist es wichtig zu wissen, dass ihre Peiniger begreifen, was sie angerichtet haben. Denn eines ist klar: Die Tat selbst lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber man kann versuchen zu verhindern, dass es wieder passiert.