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Psycho-Rock für das 21. Jahrhundert

Auch auf ihrem neuen Album spielt die britische Band Gravenhurst mit dem unheimlich Schönen und dem schönen Unheimlichen. Auf "The Ghost In Daylight" geht es dabei deutlich elektronischer als auf den Vorgängern zu.

Von Andreas Dewald | 05.05.2012
    Nick Talbot wirkt erschöpft und müde. Er will auf dem Bett des Hotels liegen bleiben, um über das neue, nunmehr sechste Album seines Bandprojekts Gravenhurst zu reden. So als befände er auf der Couch eines Psychiaters. Harte fünf Jahre hat er hinter sich, sagt der blasse Brite aus Bristol: Ehe kaputt, gesundheitliche Probleme, die letzte Tournee ein Desaster, finanzielle Schwierigkeiten und das Ausbleiben kreativer Ideen. Auf gewisse Weise spiegelt die Musik auf "The Ghost In Daylight" Nick Talbots düstere seelische Verfassung. Die Songs und Soundscapes auf dem Album sind ihm noch eine Spur schwermütiger geraten als auf den Vorgängern. Aber sie besitzen einen bittersüßen Zauber, der immer wieder Licht ins Dunkel dringen lässt.

    "Als ich unterwegs war, um mein letztes Album "The Western Lands" live zu präsentieren, war ich sehr unglücklich. Ich spielte mit meiner Band und verlor meine Stimme, weil die Musik auf der Bühne so laut war. Ich bekam eine Kehlkopfentzündung und musste Shows absagen. Also wollte ich auf diesem Album Musik machen, die ich auch allein auf die Bühne bringen konnte."

    "Ich habe meine Musik schon lange gemacht, bevor ich Nick Drake zum ersten Mal hörte. Mein Gitarrenspiel ist von Simon & Garfunkel inspiriert und der Harmoniegesang auf allen meinen Songs ebenso. Das Fingerpicking lernte ich von Simon & Garfunkel und von Mark Knopfler von den Dire Straits, er ist ein großer Einfluss."

    Auf "The Ghost In Daylight" lässt Nick Talbot die Welten von Folk und Electronica äußerst reizvoll verschmelzen. Faszinierend ist ihm hier die Symbiose von akustischen Gitarren und atmosphärischen Klangbildern gelungen, in denen die Ambient Music von Brian Eno ebenso nachhallt wie das rauschhafte Drone-Gewitter von My Bloody Valentine. Und zum ersten Mal vernimmt man elegische Streicher in der gespenstischen Weite dieser Musik. Das ist psychedelische Rockmusik für’s 21. Jahrhundert, weit weg von den Hippie-Tripps alter Tage, und unter dem Einfluss neuerer Entwicklungen wie Dub-Step elektronischer gehalten, als man es bisher von Gravenhurst kannte:

    "Ich wollte Klänge kreieren, die mit keinem speziellen Instrument identifiziert werden können. Auf einer Autechre-Platte klingt zum Beispiel auch nichts nach einem herkömmlichen Instrument. Man sollte den Eindruck haben, da wird auf außerirdischen Instrumenten gespielt, die erst noch entdeckt werden müssen, auf unbekannten Instrumenten von einem fernen Planeten. Diese surrenden, brummenden Klänge, diese Drone-Sounds, findet man ja auch in religiöser Musik, im Gesang tibetischer Mönche etwa und in indischer Musik. Solche Klänge herzustellen hat etwas sehr Ursprüngliches."

    "Mit Gravenhurst schaffe ich mir meine eigene kleine Welt. Es ist eine sehr dunkle, geheimnisvolle Welt, in die ich mich ab und zu flüchte. Ich versuche, sie so klingen zu lassen, dass sie sich echt anfühlt. Am besten ist es, wenn ich um zwei Uhr morgens mit Kopfhörern da sitze und die Songs mixe. Den Gesang aufzunehmen, ist immer der komplizierteste Teil. Wenn ich dann aber all die seltsamen Sounds mit der Gitarre, der Orgel und den elektronischen Geräten einspiele und die Arrangements ausarbeite, dann verliere ich mich total im Moment und gehe vollkommen in dem auf, was ich tue."

    Bei aller melancholischen Schönheit, die die Musik von Gravenhurst auf "The Ghost In Daylight" ausstrahlt, scheint hinter ihrem Wohlklang stets etwas Unheimliches und Bedrohliches zu lauern. In der Tat hegt Nick Talbot als Fan gruseliger Mörder- und Geistergeschichten eine Vorliebe für’s Mysteriöse, versetzt sich in seinen Texten immer wieder in die Psyche von Kriminellen und Gewalttätern und lotet seelische Abgründe aus, die erschrecken und beunruhigen. Es ist ein Spiel mit dunklen Mächten, den Schatten, der Nacht und all ihren Geistern, die im Hellen nicht nur für Nick Talbot ihren Schrecken verlieren. Denn viele seiner Lieder sind eben unheimlich schön:

    "Wir sehen ja nie Geister bei Tageslicht, sondern nur nachts, wenn wir sowieso Angst haben. Wenn man nun seine Geister ans Tageslicht zerrt, wie würden sie aussehen? Ich offenbare in diesen Songs Dinge über mich selbst, ziemlich offen und ehrlich, und dann mache ich sie mehrdeutig und verwirrend, um nicht zuviel über mich zu verraten. Ich backe sozusagen meinen Kuchen und esse ihn, sodass ich den Prozess der Katharsis, der Befreiung von meinen Dämonen, genießen kann."