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Psychoanalyse und Arbeiterkampf

Paolo Carignani und Olivier Py haben sich mit ihrer Interpretation von Verdis "Troubadour" viel vorgenommen. Azucenas Liebe zu ihrem Ziehsohn Manrico bekommt einen psychoanalytischen Anstrich, während die "Zigeuner" als Malocher in der Schwerindustrie schuften.

Von Christoph Schmitz | 28.06.2013
    Der neue "Troubadour" in München hat es in sich. Er soll alles zeigen, was das Stück über Mensch, Gesellschaft und Mythos zu sagen hat. Sämtliche Deutungsmöglichkeiten, sogar die Rezeptionsgeschichte des Werkes sollen, wenn nicht ausgelegt, so zumindest angedeutet werden. Das ist ein großes Unterfangen und vermutlich als Paukenschlag gedacht für den Auftakt der Münchner Opernfestspiele. Mit spektakulären Großereignissen sind diese Festspiele ja auch gespickt, etwa mit einem Kampf der Giganten Verdi und Wagner im Jubiläumsjahr unter freiem Himmel mit Monumentalskulpturen von La Fura dels Baus. In Sachen Spektakel hat Verdis "Troubadour" ja auch eine Menge zu bieten, von schockierenden bis rührenden musikalischen und szenischen Effekten. Mit denen und mit dem "Rigoletto" davor und der "Traviata" danach hatte Giuseppe Verdi schließlich um 1850 seinen Durchbruch als einer der größten Opernkomponisten des Jahrhunderts geschafft.

    "Es lodern die Flammen! Eine wilde Menge eilt zum Feuer, glückstrahlend die Gesichter; Freudenschreie erschallen ringsum. Von Schergen umringt, naht eine Frau!"

    Die russische Mezzosopranistin Elena Manistina verleiht der Zigeunerin Azucena all die dunkle Tinte, die ihr die Schauerromantik zuschreibt. Die Schockstarre, nachdem Azucena ihr eigenes Kind im Wahn verbrannte und die eigene Mutter auf dem Scheiterhaufen hat sterben sehen, steht der Alkoholikerin ins blasse Gesicht geschrieben. Die nackte alte Mutter, blutige Kleinkinderpuppen erscheinen immer wieder in den schwarzen Industrieaufbauten. Die Obsessionen, von denen die Figuren geplagt sind, könnten nicht sinnfälliger werden. Zugleich bekommt Azucenas Liebe zu ihrem Ziehsohn Manrico noch einen psychoanalytischen Anstrich. Sie pflegt den verletzten Krieger nicht nur, sondern legt sich zu ihm ins Krankenbett und küsst ihn sehr lange auf den Mund. All das zieht Bühnenbildner Pierre-André Weitz zusätzlich in eine Art triviales Jahrmarktstheater. Eine kleine Bühne auf der Bühne zeigt die gnadenlose Kolportage. Verdi wollte ja wirken und unterhalten, seine Kunst war italienisches Volkstheater, das Um-ta-ta im Dreivierteltakt selbst zu hochdramatischen Momenten hat der Komponist bis zum Schluss nicht gescheut. Darum hat es Jahrzehnte gedauert, bis der Italiener in Deutschland aus der Ecke des Trivialen wieder herausgeholt wurde. Auch das spiegelt sich in der Regiearbeit von Olivier Py wieder. Dazu kommt eine sozialkritische Schicht, die im Mittelalterstoff angelegt ist. Die Zigeuner sind bei Py Malocher in der Schwerindustrie während der industriellen Revolution.

    "Wer verschönt die Tage des Zigeuners? Das Zigeunermädchen!"

    Die Arbeiter des starken Bayerischen Staatsopernchors feiern hier zwar um und auf einem Dampflokomotivenkoloss, später aber politisieren sie sich, Männer mit roten Fahnen laufen dann über den Platz, der bewaffnete Kampf beginnt. Und schließlich kann man die Auseinandersetzung der beiden Brüder Luna und Manrico als archaischen Kampf verstehen. Luna und Manrico sind wie Kain und Abel. Der eine erschlägt den anderen. Die Mythosebene zeigt die Münchner Aufführung in der Bühne auf der Bühne, als Schwertkampf in Zeitlupe zwischen zwei Männern mit nacktem Oberkörper und Tiermasken auf dem Kopf. Die Liebesgeschichte gerät bei dem üppigen Aufgebot an Motiven und Deutungen jedoch etwas in den Hintergrund, auch wenn Jonas Kaufmann als Manrico für tenorale Strahlkraft sorgt.

    "Ja, meine Liebste, vereint mir dir, du meine Gefährtin, wird noch furchtloser meine Seele sein, und noch starker mein Arm.”"

    So reich und bewundernswert Kaufmann im Forte sein Frequenzspektrum entfaltet, so schmal und stumpf bleibt es, sobald er sich unterhalb des Mezzoforte bewegt. Anja Harteros als Leonora aber ist zusammen mit dem fabelhaften Orchester unter Paolo Carignani der Glutkern des Münchner "Troubadour". Harteros Stimme und die Intensität ihrer Bühnenpräsenz tragen alles, bis in die feinsten und zerbrechlichsten Momente.

    ""Eingehüllt ins Dunkel der Nacht bin ich bei dir, und du weißt es nicht!"

    Trotz Anja Harteros und trotz der szenischen und interpretatorischen Fülle, die das Regieteam anbietet, bleibt ein zwiespältiger Gesamteindruck. Vieles wirkt nur bebildert, angedacht, verdoppelt, aber nicht so recht durchgearbeitet oder ausgereift. Zudem verliert das Spiel auf der anfangs sich permanent bewegenden Drehbühne an Dynamik. Etwas Statisches schleicht sich ein. Vielleicht hat man zu viel gewollt, ist zu schnell in die Kurve gefahren und hat sie nicht mehr so ganz gekriegt. Aber das müsste noch auszubessern sein.