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Pulverfass Lateinamerika
Politologe: Konflikte haben "völlig unterschiedliche Ursachen"

In vielen Ländern Lateinamerikas brodelt es, dennoch müsse man jedes Land einzeln in den Blick nehmen, sagte der Politikwissenschaftler Peter Birle im Dlf. Die gewaltsamen Konflikte in Chile und Bolivien beispielsweise hätten komplett unterschiedliche Ursachen.

Peter Birle im Gespräch mit Michael Köhler | 17.11.2019
Demonstranten nehmen an einem Protest in Santiago teil.
Proteste in der Hauptstadt von Chile (dpa-Bildfunk / Agencia Uno / Cristobal Escobar)
So seien die Proteste in Chile kaum mit denen in anderen Ländern vergleichbar, sagte der Politikwissenschaftler Peter Birle vom Ibero-Amerikanischen Institut im Deutschlandfunk. Die Bevölkerung gehe gegen das neoliberale Modell auf die Straße, das während der Pinochet-Diktatur dort installiert worden sei. Die angekündigten Fahrpreiserhöhungen für den Nahverkehr seien nur der Auslöser gewesen. Und in dem Aufruhr liege auch eine Chance: Komme es zu den inzwischen angekündigten Änderungen an der Verfassung von 1980, könne das dem Land den Weg zu ruhigeren Zeiten ebnen. Denn diese schon in der Diktatur erlassene Verfassung habe schon durch ihre Entstehung keine Legitimation und sei ein Symbol für den nicht abgeschlossenen Übergang zur Demokratie.
Zudem gebe es zwar in vielen Ländern einem gemeinsamen Trend hin zu konservativen bis hin zu extrem rechten Regierungen, doch das bewege sich innerhalb der Normalität von Demokratien, in denen es einen Wechsel zwischen links und rechts gebe. In der Vergangenheit habe es einen Linksruck gegeben. Für eine Analyse der Zustände helfe der Blick auf den aktuellen Rechtsruck nicht weiter. In Chile gebe es zudem auch wieder eine entgegengesetzte Bewegung nach links.
Europa verliert an Einfluss
Stattdessen müsse man sich die Bevölkerungsstrukturen und auch die sozialen Strukturen anschauen. So habe Chile zwar makroökonomisch gute Zahlen, doch die Ungleichheit sei so massiv, "dass den Leuten jetzt einfach auch der Kragen geplatzt ist", so Birle.
Auch der Blick auf Abhängigkeiten von mächtigeren Ländern sei wichtig. So sei China inzwischen in Lateinamerika ein extrem wichtiger Handelspartner für Rohstoffe. Chinesische Investitionen und auch kulturelle Angebote, Sprachkurse und Austauschprogramme festigten den Einfluss zudem. "Jüngere Generationen schauen immer mehr nach China und weniger nach Europa", sagte Birle. Der russische Einfluss sei hingegen in Venezuela, Nicaragua oder Kuba noch stark, insbesondere über Verflechtungen durch Waffenkäufe.
Es lohne sich auch, den Blick stärker auf Details zu richten, statt das politische System in den Blick zu nehmen. Einige Fragestellungen seien eher technisch, schon eine Steuerreform könne in einigen Ländern viele Probleme lösen, sagte Birle.