Samstag, 20. April 2024

Archiv


Punkrock Daddies

Punk sein heißt jung sein, Drogen nehmen und wild leben. Was aber passiert, wenn ein Punkmusiker trotzdem älter wird und dann auch noch Kinder bekommt? Dieser Frage geht der US-Dokumentarfilm "The Other F Word" nach - mit ergreifenden Einblicken.

Von Christian Berndt | 26.04.2013
    "If you wanna request a Pennywise-Song, you gotta have a fucking in that: Every single fucking day, or living for fucking today. – Peace for fucking day. – My own fucking country. – Penny-fucking-wise.”"

    Da war es wieder: das ursprüngliche, das verbotene F-Wort. Es fällt bei Auftritten der US-Punkrockband gefühlt mindestens zehnmal pro Minute. Auch wenn die Band über 20 Jahre alt ist und Frontmann Jim Lindberg auf die 50 zugeht. Statt Drogen hat er heute Haarfärbemittel auf den Touren dabei. Und außerdem ist er Vater dreier Töchter – ein Dilemma, wie er meint:

    ""Es ist schwer, ein Held des Punkrock und zugleich eine Autorität für die Kinder zu sein, fast unmöglich. Wenn Du in einer Band bist, wirst Du Dein Leben lang nie richtig erwachsen."

    Für ihren Dokumentarfilm "The Other F Word" hat Regisseurin Andrea Blaugrund Nevins ein Jahr lang Lindberg begleitet, und dabei auch zahlreiche Interviews mit Musikern von Bad Religion bis zu den Red Hot Chili Peppers geführt. In welchem Zwiespalt Lindberg steckt, bringt der Film mit geschickten Schnitten ironisch auf den Punkt:

    "If you wanna request a Pennywise-Song, you gotta have a fucking in that: Every single fucking day, or living for fucking today. – Peace for fucking day. – My own fucking country. – Penny-fucking-wise.”"

    An einer Stelle fordert Lindberg das Publikum zum kollektiven Fuck-Brüllen auf, in der nächsten Szene tadelt er seine Tochter ernsthaft, weil sie ihre Freundin Kackfresse genannt hat:

    ""Für Deine Kinder musst Du der Spießer schlechthin sein und Ihnen Benimm beibringen, während ich doch das genaue Gegenteil bin."

    Fast scheint es, als wollen die hier porträtierten Punkmusiker die Spießer manchmal übertreffen – wenn sie etwa wie Fat Mike von NOFX der Tochter ein rosafarbenes Zimmer im Stil einer Barbie-Puppenstube einrichten. Eher rührend wirken da die Spuren alten Rebellentums: schwarze Totenkopf-Frühstücksteller in der blitzsauberen Einbauküche.

    Aber die Bemühungen, wie bürgerliche Eltern zu funktionieren, haben auch noch andere Gründe. Offenherzig sprechen Musiker wie Flea von den Red Hot Chili Peppers über ihre schwierige Kindheit - auch über traumatische Erlebnisse, wie sie Art Alexakis von Everclear hatte. Diese Momente machen den Film stark und berührend:

    "Als ich sechs war, haute Dad ab nach Florida, ohne Unterhalt zu zahlen. In dem Sozialbauviertel, in dem ich lebte, wurde ich von den älteren Jungs sexuell missbraucht, vergewaltigt. In der Therapie, die ich jetzt mache, tröste ich als Erwachsener dieses Kind, das ich damals war."

    Auch wegen solcher Erfahrungen versuchen manche der Musiker, besonders gute Eltern zu sein. Und so offen wie über ihre Vergangenheit, sprechen die Punk-Veteranen in "The Other F Word" auch über aktuelle Probleme. Weil Plattenverkäufe im Download-Zeitalter nichts mehr einbringen, muss das Geld über Konzerte hereingeholt werden – das heißt für die unabhängigen Punkbands, ständig auf Tour zu sein. Lindberg möchte aber mehr Zeit für die Kinder haben, um die sich während der Touren die Mütter alleine kümmern – die dummerweise im Film nur stumme Statisten bleiben. Am Ende steht seine Entscheidung, bei Pennywise auszusteigen:

    "Vielleicht ist das der Weg, die Welt zu verändern. Nicht mit Punkrock-Songs, sondern indem wir bessere Eltern sind. Ich will für meine Kinder da sein, und das ist für mich das Punkigste von allem."

    Leider strapaziert "The Other F Word" diese Familiensehnsucht und Mittelstandsidylle etwas über – als würde man den Punkvätern sonst die Elternrolle nicht abnehmen. Punk erscheint dabei mitunter als etwas Unangemessenes für die alternden Musiker. Dabei hätte man auch stärker nachhaken können, warum ihre Konzerte bei 20-jährigen immer noch so gut ankommen. Das Bonusmaterial, unter anderem mit einigen Soloaufnahmen und einer Pressekonferenz zum Film, gibt da auch keinen tieferen Aufschluss. Trotzdem wirft "The Other F Word" einen eindringlicher Blick ins Leben der Punk-Veteranen. Der zeigt, wie schwer das Ringen um Glaubwürdigkeit sein kann.

    "The Other F Word". Der amerikanische Dokumentarfilm ist jetzt bei Arthaus auf DVD und Blu-ray erschienen und erhältlich ab 15,20 Euro.