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Putin-Erdogan-Abkommen zu Nordsyrien
Friedens-Sehnsucht in der Grenzregion

Die Waffenruhe in Nordsyrien ist verlängert worden. Darauf haben sich der türkische Präsident Erdogan und sein russischer Amtskollege Putin verständigt. Die Menschen in der Region auf türkischer Seite reagieren erleichtert. Das Abkommen selbst wird als Sieg Erdogans wahrgenommen.

Von Karin Senz | 23.10.2019
Rauch steigt nach einem Beschuss in der syrischen Stadt Ras al-Ain auf.
Nach dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien - wie geht es politisch weiter? (OZAN KOSE / AFP)
An der türkisch-syrischen Grenze herrscht weitgehend Ruhe - und das soll mindestens bis nächsten Dienstag so bleiben. Das haben die beiden Präsidenten Putin und Erdogan gestern in Sotschi vereinbart. Für die Menschen in der Region auf türkischer Seite heißt das erstmal: aufatmen. Hier wünschen sich alle schnell wieder Frieden. Das Abkommen selbst wird bei vielen als Sieg Erdogans aufgenommen.
In einem Park in Sanliurfa sitzen Cemil Cadak und Hüseyin Korkmaz bei einem Tee - ganz entspannt. Cadak ist Berater der Provinzverwaltung. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Natürlich hat er die Verhandlungen und das Ergebnis gestern in Sotschi mitverfolgt:
"Wir begrüßen, was rausgekommen ist, vor allem respektieren wir die Sensibilität und die Bemühungen unseres Staatspräsidenten im Hinblick auf den Terrorismus."
Die Türkei sieht die syrische Kurdenmiliz YPG als Terrororganisation an, eng verbunden mit der kurdischen PKK in der Türkei. Ihr galt die Offensive in den letzten Tagen in Nordsyrien. Sie soll sich nach dem Abkommen zwischen Erdogan und Putin von der türkisch-syrischen Grenze zurückziehen, 30 Kilometer ins Landesinnere.
Ganz auf Linie der Regierung
In der Grenzregion um Sanliurfa leben auch viele Kurden. Dogan ist einer von ihnen. Er sitzt auf einer Mauer in einem Park, äußert vorsichtig Kritik am Abkommen von gestern:
"Wir als Kurden wollen nur unser Recht. Die Kurden haben ihr Blut dort vergossen. Sie wollen sich nicht zurückziehen. Aber die Türkei will die Flüchtlinge da ansiedeln. Sie sollen in ihr Land zurückgehen. Die Türkei versucht Frieden schaffen, um sie da anzusiedeln."
Immer wieder beißt er sich auf die Unterlippe. Er fühlt sich nicht wohl in der Öffentlichkeit darüber zu reden. Ganz anders der Berater der Provinzregierung:
"Nichts ist so schwierig, wie sein eigenes Land verlassen zu müssen. Wir haben in Urfa schon seit vielen Jahren etwa 600.000 Flüchtlinge, ehh... Gäste. Das tut uns weh, mit zu ansehen, wie sie hier leben müssen. Wir wünschen uns, dass sie so bald wie möglich in ihr Heimatland zurückkehren und für ihre Kinder bessere Bedingungen schaffen können. Die in Socchi getroffenen Entscheidungen werden umgesetzt, daran zweifeln wir nicht".
Erdogan hatte gestern noch mal bekräftigt, dass er erst eine Million dort ansiedeln will, später noch mal eine Million Flüchtlinge. Hüseyin Korkmaz ist Verwalter in einem Stadtteil Sanliurfa. Erst nachdem der Berater seine Meinung gesagt hat, äußert er sich – ganz auf Linie der Regierung. Erdogan habe sich voll durchgesetzt bei Putin findet er:
"Die Türkei hat gezeigt, dass sie eine große Rolle spielt, Recep Tayyip Erdogan hat für die ganze Welt, für die Türkei, für Syrien, für Europa eigentlich die wichtigste, und eine konstruktive und humanitäre Rolle übernommen - und dadurch, dass er die Integrität Syriens garantiert, dafür gesorgt hat, dass Menschen nicht sterben müssen. Er hat demokratische Reife und Respekt gegenüber Menschenrechten bewiesen".
"Wir wollen nur Frieden"
Putin hat Erdogan allerdings Grenzen gesetzt. Er darf die Grenze auf der kompletten Länge zwischen dem Fluss Euphrat und dem Irak nicht alleine kontrollieren. Erst überwachen Russland und das syrische Regime den Anzug der YPG. Danch soll es, ab nächster Woche, gemeinsame türkische-russische Patroullien geben.
Die Befürchtungen, dass die Türkei dauerhaft in Nordsyrien bleiben will, weisen beide zurück:
"Der Türkei geht es ausschließlich um die Landeseinheit Syriens und darum, dass seine Bevölkerung zurückkehren kann. Sonst nichts".
"Die Türkei wird die Sicherheitszone erstmal kontrollieren. Sie hat aber nicht die Absicht, in Syrien zu bleiben, wenn dort wieder normaler Alltag einkehrt. Die Türkei will da keinen Boden gewinnen bei ihren Nachbarn".
Für Dogan, den jungen Kurden, ist das alles schon zu hohe Politik. Wer am Ende der Gewinner ist, ob Putin als Vermittler und Strippenzieher, ob der syrische Machthaber Assad, der jetzt durch Putins Gnaden wieder Einfluss im Norden seines Landes bekommt, oder Erdogan - das interessiert ihn wenig. Er spricht für viele Kurden in der Region wenn er sagt, dass sie wieder die Verlierer sind. Aber auch das ist noch zweitrangig. Für ihn zählt vor allem eines:
"Wir wollen keinen Krieg in der Region. Wir wollen nur Frieden. Die Menschen haben genug gelitten. Der Winter kommt. Wir wollen nur Frieden und unsere Ruhe."