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Putin will den russischen Inlandsgeheimdienst stärken

In Russland machen Oppositionelle Front gegen das sogenannte Extremismus-Vorbeugegesetz, das dem Geheimdienst FBS größere Vollmachten einräumen soll. Sie sehen das Gesetz als eine Möglichkeit, die Gegner der aktuellen Regierungspolitik noch härter angehen zu können. Unterstützung finden sie wenig.

Von Robert Baag | 07.07.2010
    "Ich komme zu spät", brummelt der Mittvierziger im dunklen Anzug unwirsch und schiebt die Unterschriftenliste beiseite, die ihm Kirill entgegenhält. Hastig, mit eingezogenem Kopf drängelt er sich in die Sicherheitsschleuse vor dem Haupteingang der Duma, dem russischen Parlament, verschwindet im Halbdunkel.

    "Angst haben sie, diese Duma-Bewohner. Sie fürchten mögliche Konsequenzen. In den Gulag müssten sie für so eine Unterschrift sicher nicht. Aber der Karriere könnt's vielleicht schaden. Also lässt man das dann besser - für alle Fälle ..."

    Klein ist das Häuflein der Aktivisten der außerparlamentarischen Partei "Jabloko", die wie Soja Shargatova oder der Student Kirill Unterschriften gegen einen ganz speziellen Gesetzentwurf der Regierung sammeln: Danach soll der Inlandsgeheimdienst FSB künftig schneller und einfacher gegen alles und jeden einschreiten, gar festnehmen dürfen, was oder wer als "extrem" gilt. Die erste Lesung hat das Parlament inzwischen passiert. Demnächst soll nach geringfügigen Änderungen die zweite Lesung folgen. - Grigorij Javlinskij ist plötzlich da - begleitet von einem Leibwächter; vor einigen Jahren noch ein auch im Westen bekannter Oppositionspolitiker, Chef der sich sozial-liberal fühlenden "Jabloko"-Partei. Er unterschreibt auf der Protest-Liste seines jungen Parteimitglieds Kirill:

    "Der Sinn dieser Änderungen besteht nur darin, dass sie den FSB an nichts binden! Der FSB muss nichts beweisen, er muss nichts untersuchen ... er kann jeden x-beliebigen Bürger verwarnen, man vertrete die Ansicht, dass er, der Bürger, beabsichtige, der Sicherheit des Staates zu schaden."

    Dies folge nur einer immanenten Logik, erklärt Javlinskij:
    "Die russischen Beamten meinen, dass schon jede Kritik an ihnen einen Verlust für die Staatssicherheit bedeutet. Sie bereiten sich mit diesem Gesetz schon jetzt auf die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2011/2012 vor. Mit solch einem Gesetz kann man Oppositionelle noch härter unterdrücken, alle, die mit der gegenwärtigen Politik nicht einverstanden sind."

    Sergej Mitrochin, geschäftsführender "Jabloko"-Vorsitzender, zögert keinen Augenblick den geistigen Vater dieses Gesetzentwurfs beim Namen zu nennen. Verantwortlich für diesen Gesetzentwurf sei Premierminister Putin als Chef der russischen Regierung. Die habe diesen Gesetzentwurf samt Änderungsvorschlägen im Parlament eingebracht.

    Ein bulliger Mittfünfziger schiebt sich heran - der Abgeordnete Selimchan Gutsoev von der Putin-Partei "Geeintes Russland":

    "Kinder", schnauft er, "beschäftigt euch doch lieber mit was Nützlichem anstatt hier rumzustehen. So wie ich das gleich machen werde. Wozu sind unsere Geheimdienste denn da? Doch um euch, um den Staat zu schützen!"

    Die Leute immer mit der Vergangenheit zu ängstigen, das sei doch nicht richtig. Immer nur die Geschichte, das werfe doch nur zurück ... Die Lehren daraus seien doch längst gezogen ... Und irgendwie klingt der Abgeordnete Gutsoev dabei ein wenig doppeldeutig ...

    Student Kirill, der nach anderthalb Stunden gerade mal ein knappes Dutzend Unterschriften - meist von vorbei eilenden Passanten - hat einsammeln können, ist sich bewusst, weshalb er hier in der glühenden Moskauer Sommer-Hitze vor der Duma steht. Immerhin, diesmal wenigstens habe sie die Miliz nicht wieder vertrieben.

    "Wollten wohl kein Aufsehen erregen", grinst er - meint dann aber:
    "Das ist unsere einzige Chance, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass dieses sogenannte 'Extremismus-Vorbeuge-Gesetz' Russland in seine totalitäre Vergangenheit zurückwerfen wird."