Freitag, 19. April 2024

Archiv

Qualitätskontrolle von Heimen
Neue Noten für die Pflege

Das Notensystem zur Bewertung von Pflegeeinrichtungen ist gescheitert. Auch schlechte Einrichtungen bekamen in dem System gute Noten. Nun sollen Pflegeanbieter und Krankenkassen ein neues Notensystem entwickeln. Doch beide haben Vorbehalte, denn: Das letzte Wort behält der Pflegebeauftragte des Bundes, Karl-Josef Laumann.

Von Katrin Sanders | 26.04.2016
    Eine Frau mit einem Mann in einem Rollstuhl in einem Gang eines Pflegeheims.
    Eine Frau mit einem Mann in einem Rollstuhl im Gang eines Pflegeheims. (dpa/picture alliance/Frank Rumpenhorst)
    Mitten im Ort gelegen ist das Alten- und Pflegeheim, ein Bus hält fast vorm Eingang. Das Haus selbst wirkt von außen eher nüchtern: sieben Stockwerke hoch, ein typischer Siebzigerjahre-Bau. Doch für die Mutter von Tanja Schönberg stimmte der erste Eindruck:
    "Meine Mutter war völlig begeistert von den Balkonen mit den Blumen. Sie stand da und sagt: Guck mal, die haben ganz viele Balkone und Geranien (glaub ich, sind das, oder?). War der erste Eindruck, dass sie sagt: Ja. Und wir suchen ja auch keine Residenz! Wir suchen wirklich ganz bewusst ein Pflegeheim."
    Eines, in dem man sich vor allem wohlfühlen kann. Vor der Eingangstür etwa unter Bäumen und zwischen viel Grün sind jede Menge Stühle und Bänke aufgereiht. Das sieht nach einem gut genutzten Treffpunkt für die 145 betagten Bewohnerinnen und Bewohner von Theresienau in Bonn-Oberkassel aus. Gut fürs Bauchgefühl auch dies:
    "Dass man die Bewohner auch gesehen hat. Also die rollten, liefen und schlurften über die Gänge, das war sehr positiv. Es war nett, nicht so typisch altenheimmäßig."
    59 Kriterien - mit zum Teil fragwürdiger Aussagekraft
    Stimmt der erste Eindruck? Wie riecht und wirkt das Haus? Wer für sich oder einen Angehörigen das passende Pflegeheim sucht, entscheidet oft spontan und unter Zeitdruck. Weil aber auch die harten Fakten stimmen sollten, wurden 2009 die Pflegenoten eingeführt. Sie waren ein Fortschritt. Denn bis dahin war streng geheim, wie gut oder schlecht Heime arbeiten. In die Prüfberichte des Medizinischen Dienstes durften nicht einmal die Heimbewohner selbst hineinschauen. Das immerhin änderte sich. Doch mehr Transparenz über Qualität und Leistung, wie sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern versprochen wurde, brachten die Pflegenoten nicht, weiß auch Dr. Peter Pick vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen:
    "Heutzutage ist es so, dass wir 59 Kriterien haben. Und dabei sind viele wenig aussagefähig, wie zum Beispiel die Lesbarkeit des Speiseplans. Oder: Sind Ernährungsrisiken entdeckt worden? Was ja wenig aussagt, wenn man nicht weiß, ob dann auch entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden. Und dadurch werden heutzutage mit solchen nicht so wichtigen Punkten gute Noten erzielt. Und die relevanten Punkte wie zum Beispiel eine schlechte Ernährungsversorgung, die schlägt nicht in die Gesamtnote, also Pflegenote durch."
    Die Bewohnerinnen Ingeborg Kohlhauer (l, 89) und Ilse Wenz (r., 82) in Neu-Isenburg (Hessen) im Altenpflegeheim "Am Erlenbruch" im Sinnesgarten des Hauses. 
    Garten im Altenpflegeheim "Am Erlenbruch" in Neu-Isenburg (Hessen): Freizeitangebote und Ambieten sind auch Kriterien für die Wahl eines Heimes. (dpa/picture alliance/Frank Rumpenhorst)
    Die Pflegeheime müssen nur den blau-weiß-gelben Notenspiegel gut sichtbar veröffentlichen. Wer sehen will, welche Teilnoten dahinter stehen, muss sich im Internet oder über seine Krankenkasse den fünfseitigen Bericht holen. Verbraucherfreundlich ist daran auch dies nicht: Ähnlich wie bei den Schulnoten, wo man einen schwachen Aufsatz durch saubere Schrift wettmachen kann, führen Durchschnittsnoten auch in der Pflege zu einem schiefen Bild. Schöne Herbstdeko im Eingangsbereich kann da schon mal gegen bloß ausreichende Wundversorgung aufgerechnet werden. Am Ende ergibt das dann auch eine Zwei.
    Entstanden sei so vor allem ein Marketinginstrument für Pflegeheime, so Elisabeth Scharfenberg, für Bündnis90/die Grünen im Bundestag:
    "Man wollte natürlich eine wahnsinnig gute Note im Foyer hängen haben, und dann begann man, sich fit zu machen für die Prüfung. Ich habe das zuhauf erlebt, dass die Verbände die Pflegeheime fit gemacht haben für die Prüfung. Das heißt, wie schaffen wir es, eine gute Prüfung und dann auch eine gute Pflege-TÜV-Note hinzukriegen. Und das andere war, dass man dann auch zuhauf geklagt hat, wenn man das Gefühl hatte, wir sind hier ungerecht schlecht bewertet worden. Weil - wir haben nur eine 1,8, und eigentlich verdienen wir eine 1,3."
    Weniger als "sehr gut" geht schon lange nicht mehr. Höchstnoten sind Pflicht. 1,3 - auf diesen Notendurchschnitt kommen zurzeit die rund 12.000 Pflegeheime bundesweit. Dass solche Noten bei der Entscheidung für oder gegen ein Heim nicht viel helfen, bestätigt Peter Pick vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen MDS, dessen Prüfberichte die Grundlagen der Pflegenoten bilden:
    "Die Pflegenoten haben nicht das gebracht, was wir uns von ihnen versprochen haben. Und was wir als Medizinische Dienste immer kritisiert haben: Auch die Einrichtungen, bei denen wir manifeste Defizite festgestellt haben, das wird in den Noten nicht ausreichend deutlich. Man kann es bei den Einzelkriterien entdecken, aber nicht in der Gesamtnote; und deshalb brauchen wir aussagefähigere Noten."
    Skandal in Dottendorf offenbart Fehler
    Ein trauriger Beleg dafür ist ein Alten- und Pflegeheim in Bonn-Dottendorf. Mit der Traumnote 1,0 bewertet, musste es 2015 wegen schwerer Pflegemängel, Fehlern bei der Medikamentenversorgung und eines ungeklärten Todesfalles geschlossen werden. Manfred Stegger von der BIVA, der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen, hat noch weitere Mängel gefunden:
    "Also Dottendorf ist in irgendeiner Weise ein besonderer Fall. Dottendorf hatte ja eine 1,0. Und als der Skandal in Dottendorf hochkam, haben wir uns gefragt, wie kann denn ein Heim eine 1,0 haben. So oberflächlich und schwach können die Pflegenoten ja gar nicht sein. Wir haben uns dann den Prüfbericht angeguckt, und der war keinesfalls 1,0, sondern die Fragen zeigten, dass da insgesamt eine 2 oder 3 hätte rauskommen müssen. Es gab also einen Rechenfehler bei der Berechnung, die der MDK vorgenommen hat. Wir haben das zum Anlass genommen, sämtliche 12.000 Heime noch mal zu überprüfen, und haben dann weitere paar Dutzend Berechnungsfehler festgestellt. Haben dem MDK das mitgeteilt, und ich gehe davon aus, dass das inzwischen korrigiert ist."
    Ein weißes Gebäude mit der Aufschrift "Seniorenwohnzentrum Haus Dottendorf", im Vordergrund parkende Autos.
    Das Seniorenheim Haus Dottendorf in Bonn: Nach dem Tod von zwei Bewohnern des Bonner Seniorenheimes hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen.  (dpa/picture alliance/Oliver Berg)
    Nicht korrigiert wurde allerdings das Prinzip Durchschnittsnote. Entwickelt wurde es von der Selbstverwaltung - im Gesundheits- und Pflegesystem sind das die beiden sogenannten Bänke: Da sind auf der einen Seite die Leistungserbringer, sprich Alten- und Pflegeheime sowie ambulante Pflegedienste, deren Leistung benotet wird. Und auf der anderen Seite sitzen die Kostenträger, sprich: Krankenkassen, die via Pflegenote festlegen, was sie für Heimqualität halten. Da beide Seiten nur einvernehmliche Entscheidungen treffen durften, endeten strittige Punkte in Sachen Qualität und Transparenz regelmäßig im Patt. Manfred Stegger:
    "Man hat hier den Bock zum Gärtner gemacht. Wir haben hier einen völlig intransparenten Markt. Wir haben 12.000 verschiedene Heime. Wir haben eine Situation, die für den einzelnen Verbraucher nicht mehr überschaubar ist. Also brauchen wir eine objektive Messung von Qualität. Der Gesetzgeber hat es sich einfach gemacht und hat gesagt: Ihr Pflegekassen und Pflegeanbieter regelt das mal untereinander. Und dann ist dabei herausgekommen das, was Herr Laumann "weich gespülte Lösungen, die keinem wehtun" genannt hat. Dem kann ich mich nur anschließen."
    "Die Pflegenoten sind in ihrer jetzigen Form für einen Qualitätsvergleich vollkommen ungeeignet und müssen schnellstmöglich ausgesetzt werden." Mit starken Worten läutete Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU), der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, dann auch im letzten Jahr folgerichtig das Aus für die Pflegenoten ein. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II beschloss die Große Koalition die Reform der Noten. Denn:
    "Jeder, der an den Noten festhält, macht sich zum Fürsprecher von Tricksen, Tarnen und Täuschen. Echte Transparenz und ein funktionierender Verbraucherschutz bleiben dabei auf der Strecke. Die Noten sind nichts als Nebelkerzen und müssen verschwinden, damit wir endlich klare Sicht haben."
    Heime und Kassen sollen neue Kriterien aushandeln
    Für klare Sicht soll eigentlich schon seit Januar allerdings dasselbe Gremium sorgen, das mit dem alten System bereits eine Bauchlandung hingelegt hat. Im neuen Pflege-Qualitätsausschuss sitzen dieselben Akteure wieder an einem Tisch, die bereits die Pflegenoten gemeinsam erdacht haben. Kein Wunder, dass es schon jetzt Kritik an der Zusammensetzung gibt, noch bevor das Gremium ein erstes Mal getagt hat: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen, Pflegeverbände und die BIVA sehen einen groben Strickfehler beim neuen Pflege-Qualitätsausschuss. Manfred Stegger:
    "Diese Organisationen der Betroffenen sind im neuen Pflegequalitätsausschuss, der jetzt ja die neuen Kriterien der Pflegenoten festlegen soll, überhaupt nicht mit Stimmrecht vertreten. Sie sitzen am Katzentisch. Sie dürfen zuhören, ich glaube sie dürfen auch Anträge stellen. Aber sie dürfen nicht mit entscheiden. Die Entscheidungsgewalt liegt allein bei den Kassen und bei den Anbietern."
    Heime und Kassen sollen nun also aushandeln, nach welchen Kriterien künftig die Qualität der Pflege bemessen werden soll. Mit am Tisch sitzt auch Dr. Gerhard Timm für die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege. Sie vertritt gut die Hälfte der Anbieter bundesweit, insgesamt 12.000 Einrichtungen der ambulanten und stationären Altenpflege. Seine BAG habe nicht dafür gestimmt, die Verbraucher außen vor zu lassen, sagt Timm. Seinetwegen könnten sie auch ein Stimmrecht haben:
    "Es ist eben immer die Frage: Hier geht’s ja auch um die Erbringung von konkreten Leistungen. Im Prinzip übernehmen die Leistungsanbieter die Verantwortung und das Risiko, diese Leistung anzubieten, und die Kostenträger stellen dafür das Geld zur Verfügung. Und die Nutzer übernehmen weder in der einen noch in der anderen Richtung eine Verantwortung. Und das ist, glaube ich, die übergeordnete Begründung, wo man gesagt hat, man kann denen nicht wirklich ein Stimmrecht geben. Dann würden sie Verträge zulasten Dritter mitbestimmen, und das geht nicht."
    Für die Interessenvertretung der alten und pflegebetroffenen Menschen BIVA ist das kein Argument. Die Kassen, sagt Manfred Stegger, zahlen etwa 43 Prozent der Heimkosten. Den Löwenanteil zahlen die Bewohner selbst:
    "Wenn Sie heutzutage ein Heim suchen, müssen Sie sich eins klar machen: Sie kommen nicht als Bittsteller, sondern Sie kommen als Kunde. Für das Heim sind Sie wichtig. Durchschnittlich kostet ein Heimplatz 30.000 bis 40.000 Euro im Jahr - also Umsatz für das Heim. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass wir zurzeit mehr Heimplätze haben als Nachfrage. Es gibt also Leerstand, und die Heime stehen untereinander in Konkurrenz."
    Krasse Abweichungen zwischen Note und Realität
    Gute Heime werben schon aus diesem Grund nicht gern mit den Pflegenoten. Bei durchgehend sehr guten Noten - unterscheiden sich gute Anbieter nicht von bloß durchschnittlichen Häusern. Für künftige Bewohner zählt ohnehin mehr als guter Pflegestandard, den sie für selbstverständlich halten. Als zahlende Kunden wollen sie auch gern hinter die Fassade gucken. Manche Heime machen bieten zum Beispiel ein paar Tage Probewohnen an. Gespräche mit Ehrenamtlichen oder dem Bewohnerbeirat sind immer aufschlussreich. Und besonders wichtig ist die Frage, wie das Essen schmeckt. In Theresienau in Oberkassel kann man es testen. Der Mittagstisch dort ist für täglich für jedermann frei zugänglich. "Wir sind ein offenes Haus", sagt Heimleiter Michael Thelen. Man darf ihn beim Wort nehmen:
    "Indem Sie zunächst einfach vorbeikommen und sich im Hause bewegen. Sich das Haus von innen anschauen und es auf sich wirken lassen. Das ist jederzeit möglich. Auch ohne Voranmeldung. Mit den Mitarbeitern, anderen Bewohnern sprechen, offene Fragen klären..."
    Vor allem zu dem, was einem persönlich wichtig ist. Für Peter Künster, Heimbeirat in Theresienau, kam es genau auf solche Punkte an. Er schätzt sein Einzelzimmer - Rauchen erlaubt - liebt den eigenen Rhythmus und mag keinen sozialen Druck:
    "Es gibt ja diese Gymnastikstunde. Evangelischen, katholischen Gottesdienst. Dann gibt es Singstunde oder eine Lesestunde. Die geben sich sehr viel Mühe. Unwahrscheinlich! Ich beneide die auch, die das machen. Ich fühl mich da nicht wohl."
    Doch Wohlfühlkriterien werden auch die neuen Pflegenoten kaum erfassen können. Auch, weil Bewohnerbefragungen oft nicht viel aussagen. Selbst schlechte Heime bekommen regelmäßig sehr gute Noten. Wer gepflegt wird, fühlt sich wohl oft zu abhängig, um kritische Worte zu äußern.
    Der neue Pflege-TÜV muss es schaffen, diesen Knoten zu lösen, und mehr von dem zeigen, was für die Bewohner durch die Pflege erreicht wurde. Bislang wird vor allem bewertet, ob jeder Pflegeschritt ordnungsgemäß aufgeschrieben wurde. So kam es auch zu den krassen Abweichungen zwischen Note und Realität. Das soll sich ändern, sagt Gerhard Timm von der Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege:
    "Es kommt für denjenigen, der diese Leistung in Anspruch nimmt, letztendlich nicht darauf an, ob das gut dokumentiert ist, was da an Leistung erbracht wird, sondern darauf, dass er gut gepflegt wird. In seinem subjektiven Empfinden gut gepflegt, und natürlich auch in einem objektiven Sinne, also medizinische Kriterien spielen da auch eine Rolle. Also das kann man zusammenfassen unter dem Gesichtspunkt "Ergebnisqualität"."
    "Bürokratieaufwand in der Pflege um 25 bis 30 Prozent reduzieren"
    Sie soll im zukünftigen System die Richtung vorgeben. Dr. Klaus Wingenfeld vom Institut für Pflegewissenschaft in Bielefeld befasst sich seit Langem damit, welche gesundheitlichen Ergebnisse die Pflege hat: Konnte Wundliegen verhindert werden? Blieben Bewohner selbstständig und mobil? Wurden Fixierungen mit Gurten vermieden? Wingenfelds Projektdaten aus 243 Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Bayern sind ermutigend: Gute Pflege ist messbar, indem man Einrichtungen sinnvoll miteinander vergleicht. Qualitätsunterschiede werden sichtbar, Einsernoten für alle sind ausgeschlossen. Für Erwin Rüddel, pflegepolitischer Sprecher der CDU, ist das der richtige Weg:
    "Wir stärken insgesamt die Position der Pflegemitarbeiter, geben ihnen Verantwortung in die Hand, aber auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, ob das wirklich gut läuft, dass wir kontrollieren, unangemeldet, ob die Pflege in den Einrichtungen dieser Verantwortung auch gerecht wird."
    Im neuen System sollen nach seiner Vorstellung nicht mehr Standardarbeiten dokumentiert und per Pflegenote bewertet werden. Rüddel erklärt, das Aus für die Pflegenoten sei Teil der Pflegereform, mit der die Große Koalition seit 2014 das Pflegesystem verbessern will. Zwei Gesetze, die sogenannten Pflegestärkungsgesetze, hat es bislang dazu gegeben. Unter anderem soll gute Pflege Vorrang vor ausführlicher Dokumentation bekommen.
    "Ich gehe fest davon aus, dass wir also in den nächsten zwei bis vier Jahren den Bürokratieaufwand in der Pflege um 25 bis 30 Prozent reduzieren können. Wir haben hier ein gutes Modell auf den Weg gebracht, das also auch aus der Praxis kommt, erprobt ist. Das sieht folgendermaßen aus: Wenn Pflege beginnt, beurteilt die Pflege, welche Ziele ich im nächsten halben Jahr erreichen will, und dann wird sehr detailliert festgehalten, durch welche Maßnahmen ich diese erreichen will. Da ist jemand bettlägerig. Kann ich erreichen, dass der zwei Stunden am Tag im Sessel sitzen kann, dass ich den aus dem Bett holen kann. Oder ich erreiche, dass kein Dekubitus entsteht."
    Eine Pflegekonferenz der Fachkräfte in der Einrichtung soll dann beurteilen, ob die Ziele erreicht wurden.
    "Und ich stelle mir vor, dass dann der MDK andockt an dieser internen Qualitätsprüfung, also eine externe Qualitätsprüfung durchgeführt wird, und sich daraus dann die Pflegenoten ergeben."
    Ringen um Kriterien stellt Pflege-Qualitätsausschuss auf die Probe
    "Aber keines der Gesetze wird Wirkung entfalten können, wenn wir nicht entsprechendes Personal vorhalten können," sagt Elisabeth Scharfenberg, Pflegeexpertin für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag. Grundsätzlich begrüßt sie die Pflegereform - immerhin die erste große nach 20 Jahren. Die Oppositionspolitikerin verspricht aber, weiterhin aufs Kleingedruckte zu achten. Denn jetzt würden die Rahmenbedingungen gesetzt, die dann mehr oder weniger Pflegequalität bedeuten können.
    "Wenn zu wenig Personal da ist, läuft jedes Gesetz ins Leere. Dann läuft auch der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff ins Leere, weil all das, was da gut angedacht ist, ist dann in der Realität und vor Ort nicht umsetzbar, weils einfach wesentlich personalintensiver ist. Wenn beim neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff der wichtigste Punkt "Teilhabe" ist, also geschaut wird, was kann der noch, und das, was er noch kann, wollen wir so lange wie möglich erhalten, dann muss ein Personal mit so jemand ganz anders umgehen, ihn Dinge selbst machen lassen, begleiten und nicht selbst übernehmen. Und das kostet Zeit."
    Der ehemalige NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann
    Der Pflege-Beauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, wird das Zünglein an der Waage sein bei der Einführung des neuen Notensystems. (Michael Kappeler, dpa picture-alliance)
    Was Qualität von Pflege bedeutet und welche Kriterien sie messen sollen, ist also noch längst nicht ausgemachte Sache. Das Ringen darum wird auch den neuen Pflege-Qualitätsausschuss auf die Probe stellen. Das bisher paritätisch besetze Gremium bekam vorsorglich einen unabhängigen Vorsitzenden, der in Pattsituationen Stimmrecht hat. Gerhard Timm von der BAG Freie Wohlfahrtspflege sieht die Besetzung kritisch:
    "Wir sind nicht sehr glücklich und ich glaube, das kann ich für die gesamte Selbstverwaltung sagen, dass der Vorsitzende jetzt aus der Exekutive selber kommt. Das ist der Staatssekretär Laumann, der selber ja in die Exekutive des BMG eingebunden ist. Das halten wir nicht für zielführend. Das passt auch eigentlich nicht zu einer Selbstverwaltung, dass sich die Exekutive da praktisch selber mit dem unparteiischen Vorsitzenden ein Stimmrecht zubilligt. Das halten wir auf jeden Fall für einen Geburtsfehler an der Stelle, und man muss gucken, welche strukturellen Auswirkungen das hat."
    So weit hat die Politik die Selbstverwaltung in dieser Sache also tatsächlich eingeschränkt: Karl Josef Laumann wird das Zünglein an der Waage sein. Erwin Rüddel, pflegepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erläutert:
    "Wir haben uns jetzt noch mal - obwohl im alten System der Qualitätsprüfung die Selbstverwaltung versagt hat - sonst müssten wir ja kein neues schaffen - haben wir gesagt: Wir geben der Selbstverwaltung jetzt noch mal eine Chance. Aber nicht mehr über das Einstimmigkeitsprinzip, sondern durch eine starke Persönlichkeit, und das ist der Karl Josef Laumann. Und wenn die Selbstverwaltung bis zu einem bestimmten Termin keine Entscheidung trifft, dann wird der Karl Josef Laumann als Vorsitzender die Entscheidung treffen. Das, denke ich, zwingt die Selbstverwaltung zu Ergebnissen."
    Die alten Pflegenoten hängen weiterhin aus
    Bis Ende 2017 müssen die Pflegenoten abgeschafft und durch ein besseres Bewertungssystem ersetzt sein. Bis dahin sind Patienten und Angehörige jedoch auf sich selbst gestellt. Pro Jahr suchen 400.000 Menschen einen Heimplatz. Ungefähr doppelt so viele einen ambulanten Pflegedienst. Sie werden weiterhin ihrem Bauchgefühl vertrauen, sich umhören oder alternative, von den Anbietern unabhängige, Datenbanken nutzen wie die "Weiße Liste" oder das "Heimverzeichnis".
    Die alten Pflegenoten übrigens hängen bis dahin weiterhin in den Heimen aus, obwohl sie irreführend sind und selbst die Note mangelhaft verdient haben. Diesen Kompromiss haben Selbstverwaltung und Politik dann noch ausgehandelt.