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Quatsch-Krimi oder Kunst?

Von einem der Wunderworte der Epoche muss hier leider wieder mal die Rede sein. Voller Marktwertmacht und dennoch eher arm im Geiste wirkt das Wort als Zauberstab; und so erklärt sich Kunst, die ansonsten kaum erklärbar wäre – sie ist halt (oder soll halt) "Kult" sein, und damit ernsthafter Auseinandersetzung um tieferen Sinn und höhere Werte zunächst mal entzogen. So, vor allem so, kam Christoph Schlingensief nach Bayreuth; und so ist Schlingensiefs Mülheimer Landsmann Helge Schneider zum Theatermenschen geworden. Mit der zweiten Produktion eines eigenhändig zusammengebastelten Textes für das Bochumer Schauspielhaus, abermals bejubelt wie nicht ganz bei Sinnen, gibt sich der Kult als Kult zu erkennen - als Null-Show mit der Aura des "Events". Noch so ein garantiert sinnfreies Zauberwort.

Von Michael Laages | 23.01.2005
    Wer Zaubertricks erklärt, zerstört sie bekanntlich - und wer einen Theaterabend wie diesen erklären will, muss notgedrungen Spielverderber sein. Seis drum: "Aprikose, Banane, Erdbeer" (dieser erste Teil des Titels verdankt sich einer irgendwann aufgegebenen und völlig folgenlosen Eis-Bestellung von keinerlei weiterer Bedeutung) erzählt im übrigen eine Art Geschichte über (so der weitere Titel schön und schlicht) "Kommissar Schneider und die Satanskralle von Singapur". Zu besichtigen sind folglich erstens ein reichlich durchgeknallter Knast-Insasse mit zwei scherenscharfen Fingern an einer Hand, "Satanskralle" eben, der gerade beschlossen hat, die verbleibenden 125 Jahre nicht mehr abzusitzen, vor allem, weil er kein Radio hat in der Zelle; zweitens natürlich Kommissar Schneider, der zunächst mit Senf und einer Magenspiegelung beschäftigt ist und im "Unionsstübchen" nebenan am liebsten Zitronen-Genever bestellt; außerdem die Stammbesetzung eben dieses "Unionsstübchens" mit Wirt Kabuffke, dem flipper- und sexsüchtigen Mann vom Hochofen-Abstich um die Ecke und einer wunderlichen Kommissar-Schneider-Verehrerin mit dem ebenso wunderlichen Namen "Vogel Vau". Bitte nicht fragen, warum die so heisst - "Kult" ist, wenn keiner mehr fragt nach dem großen Warum. Und bitte auch nicht fragen, wie (und womöglich warum) sich in das ansonsten weithin haltlose und nahezu pointenfreie Geplapper, das den so genannten "Text" ausmacht, plötzlich und völlig überraschend sonderbar abstrakt-dadaistische Schnipsel eingeschlichen haben.

    Kralle übrigens singt auch gern, wenn er gerade mal nicht mit den scharfen Fingern in Leicheneingeweiden wütet oder Köpfe mit schnellem Schlag vom Leibe trennt; der Verbrauch an KunstKöpfen ist enorm. Ziemlich viele der sage und schreibe 36 Figuren am Rand von Kralles Flucht- und Schneiders Verfolgungsweg müssen Kopf oder Leben lassen; und werden hingebungsvoll (im zudem krankheitsbedingt geschrumpften Ensemblechen) von nur vier Schauspiel-Kräften des Hauses zuzüglich dreier Musiker bewältigt. Mindestens so viel wie auf Volker Hintermeiers wüst in sich verschachtelter und fleißig drehender Bühne wird also dahinter und daneben von Inspizienten, Ankleidern und den Mitarbeitern der Maske geleistet. Das ist das groteske, aber vielleicht ja auch programmatische Missverhältnis des Abends: zwischen diesem Maximum an Theaterbetriebsenergie und daneben dem Nichts an irgendwie gedanklicher, geschweige denn intellektueller Bemühung.

    Das mag der Kern sein von Helge Schneiders Theater-Magie – so gründlich er sich nämlich (auch mit derlei Kasperltheaterauftrittssongs) allen ausgefeilteren Regeln des Theaters widersetzt, so grundsätzlich packt er es an der Seele: Intuition, Inspiration und Improvisation müssen offensichtlich jenseits all dessen, was sich "Inszenierung" nennen ließe, den Löwenanteil ausmachen in der Arbeit von allen, die sich einlassen auf das Abenteuer Schneider; wie "gaga" auch immer das Ergebnis sein mag.

    Sehr "gaga" ist "Aprikose, Banane, Erdbeer"; und gerade wer die Methode kennt und vielleicht sogar schätzt, mag sich ein wenig langweilen. Doch am Ende (wenn auch noch der leibhaftige Teufel ins wirre Spiel kam und Satanskralle sogar ein Denkmal wie auf den Osterinseln bekommen hat) tritt Sergej Gleithmann auf - und da ist der Abend ganz bei sich: "Crazy Carl" soll er sein, ein Rapper auf Tournee - doch tatsächlich ist das ein schräger Schrat mit weissem Wallehaar unterhalb der Glatze, und er sieht aus wie übriggeblieben aus einer frühökologischen Land-Kommune der Siebzigerjahre, wie Baldur Springmann sozusagen frisch dem Jungbrunnen entstiegen. Er hampelt ein wenig parodistischen Ausdruckstanz hin, bevor Schneider ihn fragt: "Was machen Sie denn da?" "Ich?" antwortet er. "Nichts."

    Genau. Das isses. Nichts und ein bisschen Ausdruckstanz. Und das Theater steht kopf.