Donnerstag, 25. April 2024

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"Queen of the Wagnerians"

Die schwedische Opernsängerin Birgit Nilsson, weltberühmte Wagner-Sängerin mit rauschenden Triumphen in Bayreuth und auf allen Opernbühnen der Welt, ist tot. Zehn Tage lang konnte diese Nachricht vor der Welt geheim gehalten werden, bis die Diva in aller Stille auf dem südschwedischen Dorffriedhof von Västra Karup beerdigt worden. Bestimmt hätte eine weltweite Fangemeinde ihr gern das letzte Geleit gegeben, es war wohl ihr letzter Wille. Birgit Nilsson war eine Legende, und die Stimmen, die heute zu ihrem Tod laut werden, beschreiben sie als den letzten "wirklichen Star" der Opernbühne. Dabei sei sie, so der Wiener Staatsoperndirektor Ion Holender, eine "äußerst normale, bescheidene Person mit viel Selbstironie" gewesen.

Thomas Voigt im Gespräch | 11.01.2006
    Karin Fischer: Birgit Nilsson war eine der besten, wenn nicht die beste Wagner-Sängerin der Nachkriegszeit, das ist ihr "label", für ihre Brünnhildes und vor allem für ihre Isoldes ist sie weltberühmt geworden, 208 Mal soll sie nur diese Partie gesungen haben, und die Kritiker sagen: wer je Birgit Nilsson live in einem Opernhaus gehört habe, der sei für andere Interpretationen verloren. Frage an meinen Kollegen Thomas Voigt, was hat diesen Sopran zu einem so strahlenden gemacht, kann man das "Stimmwunder Nilsson" überhaupt irgendwie erklären?

    Thomas Vogt: Ich denke schon, dass man es zum Teil auch physisch erklären kann. Sie hatte eine sehr stämmige Gestalt und einen auffällig kurzen Hals. Und Sänger, die einen kurzen Hals haben, haben meistens eine ziemliche Stimmkraft, weil das Ansatzrohr entsprechend breit ist, und weil der Weg quasi vom Blasebalg zu den Resonanzkammern, die dann klingen müssen, kürzer ist, als bei Sängern mit langem Hals. Und Nilsson war ein typischer Fall, dass diese, ja, Resonanz sich voll, quasi wie explosionsartig, im Theater entladen hat.

    Je höher sie kam mit ihrer Stimme, desto fulminanter wurden die Töne, wie bei einer Trompete. Also, kein Orchester, kein noch so rücksichtloser Dirigent hatte dieser Stimme etwas anhaben können. Und manche Dirigenten, und manche Kollegen hat das natürlich auch gefuchst, dass man sie überhaupt nicht mundtot machen konnte.

    Fischer: 1953 - wenn wir mal beim Thema Wagner verharren - kam der Ruf an den grünen Hügel nach Bayreuth und der Kniefall von Wieland Wagner nach ihrem ersten Auftritt dort, der ist genauso legendär wie ihre Stimme. Das war ja eigentlich ihr Sprungbrett.

    Vogt: Bayreuth war schon das Sprungbrett. Angefangen hat es 1946 in Stockholm mit einer untypischen Partie, mit der Agathe im Freischütz. Dann kam Lady Macbeth unter Fritz Busch. Und dann kamen schon die ersten Auslandserfolge bevor sich Bayreuth meldete. Und da fing sie quasi klein-lyrisch an mit der Sopranpartie in Beethovens Neunter und als Elsa.

    Und dann war sie erstmal eine Wolfgang-Wagner-Sängerin, denn mit ihm machte sie die erste Isolde. Wieland hatte zu der Zeit Astrid Varnay mit Martha Mödl. Und dann ab 1961/62, ab der Neuinszenierung Tristan von Wieland Wagner, da war sie auch eine Wieland-Sängerin. Und er hat mir ihr dann das ganze Repertoire neu gearbeitet, darstellerisch und auch vom Text. Und sie hat durch die Arbeit mit Wieland enorm profitiert auch als Interpretin. Sagen wir vorher war sie eher ein Stimmwunder und mit Wieland wurde sie auch eine große Interpretin.

    Fischer: Wie kann man dieses Gespann Wagner-Nilsson vielleicht noch fassen, künstlerisch?

    Vogt: Künstlerisch war es sicherlich ein zentrales Kapitel in Bayreuth. Wie gesagt, es gab zwei andere große Hochdramatische, die auch ganz ihr eigenes hatten. Die Nilsson war von diesen Dreien das größte Stimmphänomen. Aber es ist falsch, wenn man sagen würde, dass sie nur ein Stimmwunder ist. Sie hat immer wieder an ihren Rollen gefeilt, sie hat sich nicht mit dem Erreichten zufrieden gegeben, ob das jetzt an der Scala, oder an der Metropolitan Oper war, sondern sie hat mit den Dirigenten und Regisseuren vor allen Dingen mit Karl Böhm und Karajan wirklich sehr intensiv gearbeitet.

    Fischer: Karajan war ja wohl auch ein Lebensthema von ihr.

    Vogt: Oh, wenn Sie die Memoiren lesen, für die sie übrigens den Humorpreis der schwedischen Kritiker bekommen hat, dann sind da so viele Sachen, wo sie einfach laut loslachen, was Karajan betrifft, weil die hatten immer Kämpfe und sie war sehr schlagfertig. Sie war für ihre Schlagfertigkeit genauso berühmt wie für ihre Stimme. Karajan hat zum Beispiel gesagt bei einer Tristanprobe: Und jetzt Frau Nilsson machen wir das gleich noch mal mit Herz. Herz, das ist da wo bei Ihnen der Geldbeutel sitzt. Und daraufhin hat sie, wie aus der Pistole geschossen gesagt: Wunderbar, Herr von Karajan, dann haben wir ja wenigstens etwas gemeinsam!

    Fischer: Vielleicht kann ich da einhaken. Sie hat ihre Gesangskarriere ja nur gegen einige Widerstände durchsetzen können. Was wissen Sie über die ganz frühe Nilsson? Die Anfänge, der Erbin eines Bauernhofs in Schweden?

    Vogt: Eine Bauerntochter, sagte sie mal. Sie sagte im Vergleich zu ihrer Kollegin Astrid Varnay: Als Du schon an der Metropolitan gesungen hast mit 23, da lag ich noch im Kartoffelbeet. Und das war fast so. Ich meine natürlich war sie da schon an der Hochschule und ist gleich aufgefallen, durch ihr unglaublich großes und durchschlagskräftiges Organ. Aber sie hat sich eben Zeit genommen, sie war nicht so "hopplahopp" gleich nach dem Debüt in Stockholm die große Weltkarriere, sondern sie hat jahrelang in Stockholm ganz breites Repertoire gesungen. Und das ist nicht eben nur die Wagnersängerin gewesen, sondern natürlich auch Richard Strauss.

    Und sie konnte ja auch lyrisch singen, sie konnte am Piano singen, sie konnte die Marschallin singen im Rosenkavalier, das ja nun wirklich eine sehr differenzierte Partie und sie hat Mozart gesungen. Donna Anna zum Beispiel, auch in der Aufnahme später unter Böhm. Also sie schon ein sehr breites Repertoire gepflegt und Wagner ist vielleicht zu sehr eingegrenzt.

    Fischer: Sie haben gerade von ihren Rollen neben oder nach Wagner gesprochen. Welche würden Sie denn noch speziell hervorheben wollen?

    Vogt: Elektra! Elektra ist nun wirklich der Gipfel für jede Hochdramatische, so heißt das Fach, was die Nilsson gesungen hat, was nun wirklich... darüber geht nichts. Wenn man die Elektra schafft, schafft man die anderen Sachen auch. Und Turandot! Turandot ganz zentral von Puccini, weil man auch diese Trompete dafür braucht. Und da war sie weltberühmt in der Rolle, weil sie einfach absolut unangefochten diese mörderische Partie gesungen hat.

    Fischer: Lassen Sie uns einfach ein Stück Birgit Nilsson hören.

    Vogt: Das ist der Schlachtruf der Brünhilde aus dem zweiten Akt Walküre, die Visitenkarte von Birgit Nilsson, ein Bayreuther Mitschnitt unter Karl Böhm. [...] Ja da hört man es, was für eine schiere Kraft diese Stimme hatte, gerade bei den Hs und Cs, was ja die meisten Brünhilden fürchten. Und dann Kerzen in ihrer Garderobe anzünden, wenn es gut gegangen ist. Manche haben das ja auch weggelassen und einfach den Mantel so vorm Mund gehalten oder sich umgedreht. Aber das war alles in der Zeit vor Birgit Nilsson. Denn seit der Nilsson gibt es eben die Walküre auf Platten, und da muss man einfach sagen, hat sie für ganze Generationen von hochdramatischen Sopranen die Preise verdorben.

    Natürlich ist sie die Ausnahmestimme, ein Stimmwunder, ein anatomisches Wunder, aber fair oder unfair, sie ist der Maßstab für alle, die diese Rollen nachsingen wollen. Und das ist ein verdammt hoher Maßstab, den man da erreichen muss. Und man kann das nicht einfach als normal voraussetzen. Man muss es als das nehmen, was es ist, absolute Ausnahmeerscheinung.

    Fischer: Sie haben es vorher schon angedeutet, Herr Vogt, anhand von dieser spektakulären Stimme und dieser Sängerinnenbiographie, kann man ja auch mal davon sprechen, wie man damals eventuell noch pfleglicher als heute mit solchen Stimmen und mit solchen Karrieren umgegangen ist. Sie haben gesagt, sie hat sich Zeit genommen. Sie ist regelrecht untypisch spät zu bestimmten Rollen gekommen. Als sie zum ersten Mal die Elektra sang, ging sie auf die 50 zu. Hatte der Musikbetrieb damals einfach mehr Zeit?

    Vogt: Mehr Zeit und mehr Ahnung. Vor allen Dingen die Dirigenten hatten mehr Ahnung. Also Karl Böhm und auch die Dirigenten der Königlichen Oper Stockholm, in der sie dann aufgewachsen ist künstlerisch, die haben einfach gewusst, dafür ist die Zeit jetzt reif und das aber bitte erst in zehn Jahren. Und sie hatte die Intelligenz genau zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Das kam alles zusammen. Und sie hat wirklich dann noch das Glück gehabt in einer Zeit zu leben, wo das noch war. Und schon die Technik so weit war, ihre großen Rollen zu dokumentieren.

    Fischer: Herzlichen Dank an Thomas Vogt für diese Erinnerung an Birgit Nilsson, die, wie wir erst heute erfahren haben, vor zehn Tagen in Schweden gestorben ist.