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Quellenarbeit mit einer Hetzschrift
Hitlers "Mein Kampf" im Unterricht

Vor knapp einem Jahr gab das Münchner Institut für Zeitgeschichte Hitlers "Mein Kampf" neu heraus. Theoretisch kann nun jeder Geschichtslehrer die Hetzschrift im Unterricht durchnehmen. Doch viele haben Berührungsängste. Welche Passagen wählt man aus? Was könnte die Schüler gefährden?

Von Anke Petermann | 08.11.2016
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    Die Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz gibt Fortbildungen für Lehrer, die "Mein Kampf" im Unterricht thematisieren wollen. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Müller: "An was erinnert ihr euch noch aus dem Kapitel?"
    Bog: "Aus dem Kapitel 'Volk und Rasse' selbst?"
    Der Osthofener Geschichtslehrer Christian Müller im Unterrichtsgespräch mit Zwölftklässlern im Leistungskurs. Vor sich "Mein Kampf", Band 1, als wissenschaftliche Neuausgabe des Originals von 1925. Wie Hitler seine Rasse-Ideologie konstruierte?
    "Meise zu Meise" - wie Hitler seine Rasse-Ideologie konstruierte
    Der 17-jährige Daniel Bog analysiert die pseudo-darwinistische Argumentation des späteren Diktators so:
    "Klar, er baut seine Thesen biologisch auf. Am Anfang nennt er biologische Sachen, also der Wolf geht zur Wölfin, Meise zu Meise, und will so seine These, dass der Arier sich nur mit dem Arier paaren darf, stärken."
    Müller: "Ok. Sehr schön."
    Jahrzehntelang war "Mein Kampf" Schülern nur in kurzen Geschichtsbuch-Auszügen zugänglich.
    Ein "verbotenes" Buch im Unterricht
    Das Buch wurde zum Mythos und Tabu. Dass sie sich nun selbst ein Bild davon machen können, finden Bog und sein Mitschüler Justus Neumann gut.
    Bog: "Ich war halt ein bisschen unsicher, weil man so viel über das Buch gehört hat. Es soll so schlimm sein, verboten und so. Man geht da schon mit einem mulmigen Gefühl dran. Aber an sich hat’s mich schon sehr gereizt, das zu lesen."
    Neumann: "Ich war auf jeden Fall auch aufgeregt zu verstehen, was die Leute damals so beeinflusst hat, dass sie sich tatsächlich zu dieser Rassenlehre, die damals herrschte, hingezogen fühlten."
    Genau deshalb eignet sich "Mein Kampf" zur kritischen Quellenarbeit im Unterricht, findet Christian Müller:
    "Die Schüler bringen ein Interesse mit, das sie vielleicht bei anderen Quellen weniger mitbringen. Dazu kommt, dass die Diskussion, die wir in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit erlebt haben, eine Super-Gelegenheit ist, um über die Frage, wie sollte man mit 'Mein Kampf' umgehen, oder generell mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus umgehen – das ist eine wichtige Frage, die man mit Schülern auf Grund von 'Mein Kampf' diskutieren kann. Von daher glaube ich, dass 'Mein Kampf' eine Quelle ist, die viele Lerngelegenheiten bietet, und ich möchte Lehrer ermuntern, das in ihren Unterricht einzubauen."
    Neugier auf "Mein-Kampf"
    Das tut der Osthofener Geschichtslehrer, indem er als Fortbildungsreferent Tipps gibt. Thema pseudowissenschaftliche Rasse-Ideologie: Müller präsentiert einen Auszug aus einer kommentierten Live-Lesung des deutsch-türkischen Schauspielers Serdar Somuncu.
    "Der nächst Satz ist legendär, merken Sie sich den Satz, damit können Sie Leute erschrecken: 'Es wird aber nie ein Fuchs zu finden sein, der seiner inneren Gesinnung nach etwa humane Anwandlungen Gänsen gegenüber haben könnte'."
    Dass Schüler über Hitlers plumpe Thesen lachen, darf man zulassen, meint Marcel Griesang, Realschullehrer aus Oberwesel.
    Lachen über Hitler - bedingt erlaubt
    Gleichzeitig sei klarzustellen, "dass Hitler jemand ist, der einen Massenmord vollzogen hat, ja. Das muss der Punkt sein. Man kann das Interesse durchaus durch so einen Einspieler wecken, aber muss dann auch auf die Details eingehen und darf das nicht unkommentiert stehen lassen."
    Befürchtungen seiner Fachkollegen entkräftet Christian Müller als Referent auf der Fortbildung.
    Kein Schüler, mit dem er "Mein Kampf" bearbeitete, sei Hitler-Fan geworden. Im Gegenteil: Je detaillierter die Jugendlichen Scheinargumente entlarvten, desto größter ihr Unverständnis für dessen krude Rassen- und Lebensraum-Ideologie. Die allein ist schon hart, findet der 17-jährige Willy Schuster.
    "Aber dass er das auch noch durchsetzen konnte und so viele Leute töten konnte, ist für mich schon erschreckend und erstaunlich."
    Zu jedem Kapitel der Hetzschrift liefert die kommentierte Neuausgabe mit einer Einleitung den Entstehungszusammenhang, zudem erläutert sie Hitlers zentrale Ideologiebegriffe. Mithilfe der Zusatzinformationen lässt sich die quellenkritische Arbeit im Unterricht variieren. Die Frankenthaler Gymnasiallehrerin Christine Veit schöpft in der Fortbildung Mut, das anzugehen.
    "Also, ich würde es auf alle Fälle kombinieren, nicht nur den Originaltext, aber vielleicht mal den Originaltext erst bearbeiten lassen und dann die Hintergrundinformationen oder auch mal umgekehrt. Und gerade die Einführungskapitel fände ich sehr spannend, damit die Schüler wissen, warum geht es in dem Kapitel genau um das."
    Doch wie wählt man aus 2000 Seiten kritischer Edition das Geeignete aus, fragt sich Veit.
    Passagen auf die Schülerschaft zuschneiden
    Lehrer sollten die Passagen auf ihre Schülerschaft zuschneiden, empfiehlt Othmar Plöckinger, Mitherausgeber vom Institut für Zeitgeschichte und Gymnasiallehrer in Salzburg. Leitfragen dafür:
    "Was sind Themen, die die Klassen beschäftigen, was sind Fragen gewesen, die in der Klasse relevant sind, oder worauf ist die Klasse neugierig."
    Diese Vorarbeit, so Plöckinger, müssten Lehrer leisten. Das Register der Neuausgabe kann dabei weiterhelfen.