Donnerstag, 28. März 2024

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Querelen in den Volksparteien
"Eine große Unzufriedenheit mit der GroKo"

Bei vielen Menschen sei der Eindruck entstanden, dass sich die Regierungsparteien nur noch um den Fortbestand der GroKo kümmerten, sagte der Politikwissenschaftler Thorsten Faas im Dlf. In der Wahrnehmung der Wähler werden die großen Probleme nicht angegangen.

Thorsten Faas im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.05.2019
Zwei Anstecker der Volksparteien CDU und SPD auf brüchigem Grund
"Dass gar nicht mehr Politik im Sinne der Leute gemacht wird, sondern man sich nur noch um den Fortbestand der GroKo kümmert, das scheint mir das wahre Problem zu sein", so Politikwissenschaftler Faas im Dlf. (dpa / chromorange)
Jasper Barenberg: Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas lehrt am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Schönen guten Tag, Herr Faas!
Thorsten Faas: Hallo, Herr Barenberg, ich grüße Sie!
Barenberg: Grüße Sie auch! Beginnen wir mit den Turbulenzen in der SPD, Andrea Nahles geht in die Offensive, fordert ihre Kritiker heraus, zieht die Wahl zur Fraktionsvorsitzenden vor. Man hätte ja meinen können, das ist ein kluger Schachzug, um, wenn Unruhe in den eigenen Reihen ist, die Sache schnell zu klären, damit man inhaltlich weitermachen kann. Jetzt stellen wir fest, die Unruhe ist nur noch gewachsen, es könnte sich als ein Bumerang erweisen. War es also ein schlechter Schachzug?
Faas: Offenkundig hatte Frau Nahles das Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann, dass auch das Infragestellen ihrer Person, was ja auch am Wahlabend doch deutlich zu hören war, ein Ausmaß angenommen hat, dass jetzt einfach eine Klärung her muss. Von ihrer Seite her sicherlich natürlich mit dem Ziel, ihre Position zu kräftigen, zu stärken. Das war ja auch durchaus der Versuch einer Botschaft, den sie am Wahlsonntag gesendet hat. Aber wir merken jetzt, die Situation ist prekär, ihr Rückhalt nicht sehr stabil, sodass völlig offen ist, was da am Dienstag passiert – Gegenkandidatur hin oder her. Das muss man ja auch sehen, auch ein schwaches Ergebnis ohne Gegenkandidatur würde natürlich ihre Position eher schwächen als stärken.
"In gewisser Weise wieder eine Phantomdebatte"
Barenberg: Und jetzt hören wir aus der SPD in Zeiten der Krise, also einerseits hören wir, in Zeiten der Krise ist die SPD solidarisch, da muss man schon gleich ein Fragezeichen dran machen. Und auf der anderen Seite hören wir von den offenbar gestreuten Falschmeldungen, die jetzt die Runde machen. Also im Grunde ist die Situation noch viel schwieriger, verfahrener und offener, als sie vor der Entscheidung von Andrea Nahles war oder?
Faas: Ja, verfahren trifft, glaube ich, wirklich den Nagel auf den Kopf, denn man muss ja auch sehen, das ist ja nicht der erste Versuch oder die erste Debatte, ob nicht ein Personalwechsel an der Spitze die Probleme der SPD lösen könnte. Wir haben so viele verschiedene Vorsitzende und Vorsitzende-Typen, wenn man so will auch, in der jüngeren Vergangenheit gehabt bei der SPD, und nie hat sich wirklich an dem eindeutig nach unten zeigenden Trend was geändert, dass, glaube ich schon allen klar, es ist in gewisser Weise wieder mal eine Phantomdebatte. Aber trotzdem, das ist dann natürlich so ein Kristallisationspunkt, wo sich viel Unmut entlädt, wo sich auch ganz andere Debatten, die vielleicht eher inhaltlich akzentuiert sind, dann auf genau diese Frage konzentrieren. Und dieses Gerücht oder diese Meldung, wie es zunächst aussah, dass eben auch alle Gruppen in der SPD-Fraktion, von links bis rechts, eigentlich nicht mehr hinter Andrea Nahles stehen, das war natürlich schon geradezu böswillig, weil es signalisieren sollte, es ist wirklich vorbei, sie hat nirgends mehr Unterstützung. Jetzt ist es wohl eine Falschmeldung gewesen, aber trotzdem, es zeigt wie verfahren, wie prekär die Situation für die SPD, aber natürlich auch für Andrea Nahles ist.
Barenberg: Wir haben ja vor Kurzem erst in der Union erlebt, wie ein sicher geglaubter Fraktionschef, Volker Kauder nämlich, verloren hat gegen einen Herausforderer, Ralph Brinkhaus. Trauen Sie der SPD einen ähnlichen Sturz zu, noch gibt es ja keinen Kandidaten.
Faas: Na ja, es ist eine geheime Wahl, insofern ist wirklich völlig offen, was da am Ende passiert. Und insofern ist es auch zu kurz zu sagen, da gibt es eine Gegenkandidatur oder es gibt sie nicht. Daran hängt nicht das Wohl und Wehe von Frau Nahles, sondern es könnte, wir haben es ja bei der Wahl zum Parteivorsitz erlebt, als mit Simone Lange plötzlich eine Gegenkandidatin da war, aber trotzdem am Ende das auch keine Garantie war, dass dieser Sieg gegen eine Gegenkandidatin ihre Position gestärkt hätte. Also lange Rede, kurzer Sinn: Ob sie da gestärkt oder geschwächt daraus hervorgeht, hängt nicht an der Frage, ob es eine Gegenkandidatur gibt, sondern an dem Ergebnis, was sie da einfährt – und da stehen die Vorzeichen gerade nicht sehr positiv für sie.
Fall des ersten Dominosteins
Barenberg: Und wenn sie, sagen wir mal, mit einem nicht so ganz tollen Ergebnis am Dienstag noch mal wiedergewählt wird, ist dann schon eine Kettenreaktion absehbar, früher oder später möglicherweise doch der Sturz als Fraktionschefin, früher oder später dann der Sturz als Parteichefin – und dann ist die Koalition am Ende?
Faas: Also würde der erste Dominostein in der Art und Weise, wie Sie es skizziert haben, fallen, dann kann man sich in der Tat diese Reihung vorstellen, denn das hat sie ja offenkundig auch selber signalisiert mit Verweis auf die Situation von Frau Kramp-Karrenbauer, ohne Fraktionsvorsitz ist der Parteivorsitz wie ein zahnloser Tiger, da hat sie keinerlei Hebel, um auf die Arbeit im Parlament einzuwirken. Und natürlich ist sie auch zusammen mit Olaf Scholz die Person, die die SPD in diese GroKo geführt. Also diese Sequenz ist dann in der Tat leicht vorstellbar. Wenn es ein schwaches Ergebnis für sie gibt, ich denke, dann haben wir wirklich so einen Moment der Ohnmacht, das wäre meine Vermutung, weil man ehrlicherweise auch sagen muss, wir erleben gerade so turbulente, schwer vorhersagbare Zeiten, dass wir alle dann auch extrem gespannt wären, was dann passiert. Aber es könnte sein, dass sie dann irgendwie als schwache Person im Amt bleibt, man darf nicht vergessen, wir haben noch drei schwierige, für die Volksparteien zumindest schwierige Wahlen in Ostdeutschland, die uns im Herbst bevorstehen. Da will jetzt vielleicht auch niemand an die Stelle von Frau Nahles treten, und dann ist es vielleicht für manchen aus strategischer Sicht gar nicht so schlecht, wenn da noch mal eine geschwächte Partei- und Fraktionsvorsitzende im Amt bleibt. Einen Hoffnungsschimmer gibt es natürlich für Andrea Nahles: Wenn wir noch mal auf die Union schauen, Kramp-Karrenbauer gegen Friedrich Merz, das war auch eine knappe Entscheidung, als es um die Nachfolge von Angela Merkel als Parteivorsitzende ging – und trotzdem sah es eigentlich zunächst so aus, als könne AKK, als könne Frau Kramp-Karrenbauer das schon einigen in ihrem Sinne. Inzwischen sieht die Situation dort anders aus, aber unmittelbar nach der Wahl hatte das natürlich schon so einen klärenden, reinigenden Effekt, auf den setzt Andrea Nahles, aber ob es wirklich so kommt, ist offen.
Kramp-Karrenbauer in schwieriger Situation
Barenberg: Und auch Annegret Kramp-Karrenbauer kann sich nicht mehr so ohne Weiteres auf die Geschlossenheit in ihrer Partei verlassen. Wenn Angela Merkel ihr zur Seite springen muss, bei den Ungeschicklichkeiten, so nenne ich sie mal, der letzten Tage, ist das schon ein Hinweis für alle Beobachter, dass auch sie die Kritik nicht auf die leichte Schulter nehmen kann?
Faas: Absolut. Sie ist in einer wirklich schwierigen Situation. Erst hieß es ja, auch das hat die Kanzlerin dann dementiert, aber trotzdem, erst gab es hier Berichte, die Kanzlerin sei von ihr abgerückt, dann hat sie sich symbolisch hinter sie gestellt – also die Kanzlerin hinter Frau Kramp-Karrenbauer –, was ja bei manchen politischen Beobachtern auch für Schmunzeln gesorgt hat, weil oft waren Personen, hinter die sich Frau Merkel gestellt hat, dann kurz danach doch nicht mehr im Amt. Dann kommen diese in der Tat unglücklichen Äußerungen mit Blick auf Regeln, Regulierungen hinzu, Meldungen, Kramp-Karrenbauer bekennt sich zu Meinungsfreiheit. Also eigentlich sind das unvorstellbare Überschriften, dass ein Parteivorsitzender das überhaupt bekräftigen muss. Das zeigt, in welch schwierige Situation sie sich selber manövriert hat, so ist zumindest die Deutung. Und natürlich schwächt sie das immens.
Barenberg: Und kann man nun die Turbulenzen und die Unstimmigkeiten in beiden Lagern, im konservativen wie bei der SPD, kann man die in gewisser Weise zurückführen auf, sagen wir, konkret Fridays for Future und den Rezo-Effekt, also das Problem, dass viele Menschen nicht mehr erreicht werden, gerade jüngere Menschen nicht mehr erreicht werden von den politischen Angeboten aus Union und SPD?
Faas: Ich glaube, das ist zu einfach. Das ist eine Interpretation, die sich die Parteien gerade auch sehr zu eigen machen, weil dann kann man sagen, okay, wir haben da beim Klimaschutz nicht richtig aufgepasst und dieses Youtube-Phänomen auch unterschätzt. Aber trotzdem sind das natürlich eher punktuelle Erklärungen, die vielleicht manche strukturelle Entwicklung, die eigentlich zugrunde liegt, dann doch ein Stück weit überlagern. Mein Fakt ist, die Beliebtheitswerte dieser GroKo sind unfassbar schlecht. Man darf nicht vergessen, das sind ja eigentlich die beiden großen – oder wenn man die CSU dazu nimmt –, die drei großen Parteien, da würde man eigentlich erwarten, dass deren Anhänger eine Regierung, die aus ihrer Partei mit gebildet wird, unterstützen. Und trotzdem sehen wir diese unglaublich schlechten Werte. Also, das scheint mir der wahre Kern zu sein, dass diese große, große Unzufriedenheit, auch diese wahrgenommene Unglaubwürdigkeit, dass da gar nicht mehr Politik im Sinne der Leute gemacht wird, sondern man sich nur noch um den Fortbestand der GroKo kümmert, das scheint mir das wahre Problem zu sein. Und das schafft dann natürlich Möglichkeiten für alle möglichen Äußerungen von Protest, angefangen bei Fridays for Future, aber dann auch, wenn Sie sich die Ergebnisse der Satire-Partei Die Partei bei Erstwählern angucken, diese Unzufriedenheit sucht dann ihren Weg, um sichtbar zu werden, aber der Kern scheint mir doch tatsächlich die große, große Unzufriedenheit mit der GroKo zu sein.
Ein interessantes Paradox
Barenberg: Und Herr Faas, ganz kurz noch, wenn Sie das schaffen: Was halten Sie von der These, dass die Politikangebote -- gerade von Union und SPD – einfach die Größe der Probleme nicht mehr erreichen.
Faas: Ja, das ist ein interessantes Paradox, weil eigentlich würde man ja denken, GroKo ist genau richtig für große Probleme. Aber die Energie, die es braucht, um diese GroKo zusammenzuhalten, die scheint so groß zu sein, so viel aufzusaugen, dass für vieles andere kein Platz mehr bleibt, und man dann häufig nur von Kompromiss zu Kompromiss hechelt. Und dann entsteht die Wahrnehmung, da passiert nichts. Ich bin gar nicht sicher, ob das der Realität entspricht, aber wenn das die Wahrnehmung ist, dann prägt das natürlich auch die Einstellung und das Verhalten der Menschen – und dann sehen wir eben dieses tatsächlich sehr, sehr schlechte Bild der GroKo in der Öffentlichkeit.
Barenberg: Vielen Dank für die Zeit!
Faas: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.