Freitag, 29. März 2024

Archiv


Quo vadis, Parteien?

Wohin soll die Reise der Sozialdemokratie gehen - stramm Richtung Linksbündnis, Vollgas via Ampel oder eine längere Pause auf der Oppositionscouch? Und was wird aus dem konservativen Flügel der CDU, ohne Roland Koch und vermutlich bald auch ohne Christian Wulff?

Von Norbert Seitz | 14.06.2010
    Während die sogenannte "bürgerliche Koalition" weiter vor sich hindümpelt, wird auf Seiten der Linken über Bündnisstrategien nachgedacht. "Ampel oder Linkskoalition?" heißt die Alternative. Für Albrecht von Lucke scheint es nur eine echte Ablösungsperspektive zu geben, die er in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" zu entwickeln versucht:

    Wenn morgen die Koalition am Ende wäre, müsste eine echte inhaltliche Regierungsalternative bereit stehen – schon um dem ständigen Mantra der "Alternativlosigkeit" der Merkel-Regierung, von Afghanistan bis zur Euro-Rettung, etwas entgegen zu setzen. Eine echte Regierungsalternative muss daher das Ziel der drei Parteien links von der Mitte und speziell der SPD sein, so sie nicht auf Dauer zu eigener Meinungsführerschaft außerstande und bloßes Anhängsel der Union oder blässlich rotes Licht einer Ampel im Nebel sein will.
    Anthony Giddens war Spiritus Rector von Tony Blairs "drittem Weg" zur "neuen Mitte". Nach der Abwahl der Regierung Gordon Brown kondoliert er "New Labour". Freilich ohne der europäischen Sozialdemokratie große Hoffnungen auf eine erfolgversprechende Renaissance alter Konzepte zu machen. In der Zeitschrift "Cicero" schreibt er:

    New Labour ist tot, und es ist gewiss an der Zeit, den Begriff zu begraben. Und doch sind jene zentralen ökonomischen und sozialen Trends, auf die New Labour eine Reaktion war, weiterhin am Werk. Daher bleiben auch weite Teile des politischen Programms relevant. Auch in Zukunft wird die Partei um die wohlhabenden Wähler der Mitte werben, insbesondere vor dem Hintergrund eines sich verändernden politischen Umfelds, in dem elektronische Medien und Internet immer wichtiger werden. Wohlfahrtsreformen türmen sich weiterhin bedrohlich auf, zumal wenn Ausgabeneffizienz zur Priorität erklärt wird. Keynes kommt wieder in Mode, doch eine Rückkehr zur keynesianischen Nachfrageregulierung wie vor einigen Jahrzehnten wird es nicht geben.
    Auch in der Union rumort es. Der Flügelschlag von rechts ist nach dem Politikausstieg von Roland Koch unüberhörbar. Eine Gruppe "Engagierter Katholiken" in der Partei fordert sogar eine Neubesinnung auf das "hohe C". Doch große Chancen räumt Antonius Liedhegener in der "Politischen Meinung" solchen Ambitionen nicht ein:

    Obschon die Union auch unter katholischen Wählern bei der Bundestagswahl 2009 verloren hat, kann dennoch von schwindendem Rückhalt aufgrund christlicher Unzufriedenheit nicht die Rede sein: Denn erstens hat der angedrohte beziehungsweise prognostizierte Wechsel zu religiösen Kleinparteien nicht stattgefunden. Und zweitens sind die Rückgänge vor allem in den hohen, aber anscheinend kaum religiös motivierten Verlusten der CSU insbesondere in ihren ländlich-katholischen Hochburgen begründet. Der Anteil an Katholiken, an Protestanten und insbesondere an stark kirchengebundenen Christen ist in der Wählerschaft seit Jahren deutlich rückgängig.
    Doch nicht nur Sozial- und Christdemokratie, sondern die Demokratie überhaupt scheint in Zeiten der beängstigenden Euro-Krise von schweren Legitimationsproblemen gezeichnet. Für Herfried Münkler befindet sich die "Lahme Dame Demokratie" in einem "Zustand der Erschöpfung". Er analysiert in der Zeitschrift "Internationale Politik":

    Das Unbehagen an der Demokratie erwächst aus der Langsamkeit der Verfahren, der Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse, der Mängel in der Auswahl des politischen Personals, der verbreiteten Neigung von Politikern, um die Dinge herumzureden, weil sie fürchten, für das Aussprechen von Wahrheiten politisch abgestraft zu werden, schließlich dem Einfluss von Parteien und Interessengruppen.
    Das Unbehagen an der Demokratie bleibt Gott sei dank ein Unbehagen in der Demokratie. Dennoch scheint die vorherrschende Deutung von 1989, dass der Westen seine Institutionen in den Osten friedlich transferiert habe, nicht mehr zu stimmen. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks habe die politische Ordnung des Westens zwar einen Sieg auf der staatlichen Akteursebene, aber eine Niederlage auf der Ordnungsebene erfahren. Schreibt Mateusz Stachura
    in der Zeitschrift "Merkur":

    Die destruktiven Nebenfolgen der unipolaren Ordnungskonstellationen zeigen sich heute nicht nur in kollabierenden Finanzmärkten, in der explodierenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte, sondern auch in der Wiederbelebung der Spannungen auf der internationalen Bühne. Russland, China und die arabischen Staaten spielen das Spiel der "liberalen Demokratie" nicht mit.
    Die Zukunft bleibt also völlig offen, zumal sich der Ausgang der Systemkrise kaum vorhersehen lässt:

    Denn niemand weiß genau, wo die Grenze zwischen einer korrekturfähigen Ineffizienz und irreparablem Kollaps liegt.

    Zitate aus Politischen Zeitschriften:

    - Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni 2010

    - Cicero, Juni 2010

    - Politische Meinung, 5/2010

    - Internationale Politik Mai /Juni 2010