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Quo vadis, SPD?

Auch wenn die Mai-Ausgaben der politischen Zeitschriften die NRW-Wahlen nicht berücksichtigen konnten, so wird dennoch in zahlreichen Blättern die nun fällige Positionierung der NRW-SPD antizipiert - nicht nur nach links, sondern auch in Hinblick auf die Liberalen.

Von Norbert Seitz |
    Der Orientierungsstreit in der Sozialdemokratie schlägt sich auch in den aktuellen Ausgaben der Monatszeitschriften nieder. Der progressive Geist suche derzeit eine politische Heimat, schreibt Oliver Schmolke in der "Berliner Republik". Und das heißt: Unsere Gesellschaft brauche einen neuen sozialliberalen Diskurs. Kritiker von links dürften dahinter nur eine weitere semantische Fingerübung wittern, den stark umworbenen Begriff der Mitte zu besetzen. Autor Schmolke jedoch meint es ernst und nennt für den angestrebten Diskurs drei Kriterien:

    Erstens: Sozialliberale kommen nicht aufgrund homogener Ideologie und reiner Gesinnung zusammen, sondern verkörpern praktischen Gestaltungswillen;

    Zweitens: Sozialliberale haben ein realistisches Menschenbild, das Freiheit und Sicherheit nicht gegeneinander ausspielt und keinen dieser Werte auf Kosten des anderen polemisch denunziert;

    Drittens: Sozialliberale wollen in schwieriger Zeit prinzipieller und entschlossener sein als herkömmliche Lagerkoalitionen.

    Doch vor aller sozialliberalen Konsenssuche schreibt Oliver Schmolke seiner Partei erst noch Grundsätzliches ins Stammbuch:

    Also macht es Euch nach dem Ende des marktradikalen Zeitalters nicht zu einfach mit dem Staat! Er wird gebraucht, aber nicht geliebt. Er erfordert ständige Kontrolle, denn nur was er für die Menschen leistet, rechtfertigt seine Existenz.
    In die gleiche Kerbe hieb jüngst auch der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnany, als er in der Jubiläumsausgabe der "Berliner Republik" seiner Partei eine Wiederannäherung an die FDP empfahl und vor einem Linksbündnis warnte, denn:

    Eine Wackelkoalition mit der Linken wäre – mit Recht! – das Ende der SPD.
    Während sich also das Netzwerkerorgan "Berliner Republik" um einen progressiven Ausbruch aus der ideologischen Verengung bemüht, bewegt sich die parteiinterne Konkurrenz von der "Neuen Gesellschaft" in die entgegengesetzte Richtung. Dort werden der Linkspartei sogar programmatische Ratschläge erteilt. Außerdem hält Stefan Reinecke die Vorstellung für eine Illusion, die SPD könne nur als große Volkspartei der linken Mitte existieren:

    Mag sein, dass die SPD unter günstigen Wetterbedingungen mal wieder auf 35 Prozent kommen kann – langfristig weisen viele Indikatoren, von den Mitgliederzahlen angefangen, in eine andere Richtung. Die Ausfransung der Sozialdemokratie ist nicht nur das Ergebnis der autoritären Schröder-Ära, sondern auch das Echo einer tief gehenden gesellschaftlichen Veränderung. Das Konzept der linken Volkspartei scheint in einer individualisierten, in verschiedene soziale Milieus und Gruppen zersplitterten Gesellschaft ein Auslaufmodell zu sein.
    Blicken wir auch nach Frankreich, wo nach dem überzeugenden Sieg bei den jüngsten Regionalwahlen die Schwierigkeiten für die Sozialisten erst richtig anzufangen scheinen. Meint Bernard Schmid in den "Blättern für deutsche und internationale Politik":

    Es droht ein Zerfransen der Partei, aber auch ihre relative Entpolitisierung, da die Regionalpräsidenten der PS ihre technokratische Regierungsbilanz in den Vordergrund rücken und nicht die von der Parteivorsitzenden Martine Aubry verfochtene Oppositionsstrategie gegen Sarkozys Neoliberalismus. Dies wiederum könnte eine erneute Präsidentschaftskandidatur von Ségolène Royal begünstigen ( ... ) (Es) zeigt sich, dass es nicht allein um persönliche Animositäten geht, sondern auch um einen Streit über den künftigen Kurs der Sozialisten: Während Royal für eine Allianz in der politischen Mitte wirbt, hat sich Aubry für ein Bündnis mit anderen linken Kräften ausgesprochen. Der Ausgang dieses Richtungsstreits ist offen.
    Nach der mageren NRW-Ausbeute steht auch der FDP eine Kursdebatte ins Thomas-Dehler-Haus. Die Zeitschrift "Vorgänge" widmet dem "ungeliebten Liberalismus" ein ganzes lesenswertes Heft. Darin erklärt der wohl bedeutendste FDP-Forscher im Lande, Jürgen Dittberner, den sogenannten "Westerwelle-Liberalismus" für beendet. Denn dieser beruhe auf einem "unliberalen" Irrglauben:

    Wenn man den Leistungsträgern viel Freiheit gibt und ihnen möglichst viele Steuerlasten nimmt, bringen sie die Wirtschaft in Gang und schaffen Arbeitsplätze auch für die Leistungsschwachen. Nirgendwo auf der Welt ist bewiesen, dass das klappt. Es werden keine Schaffner, keine Pförtner, keine Wärter, keine "Hilfen" wiederauferstehen, nur weil es den Leistungsträgern gut geht. Der Liberalismus der FDP, will er nicht ungeliebt bleiben, kann sich nicht um die soziale Verantwortung drücken. Er muss sich abgewöhnen, den Staat nur als Zumutung für die Bürger zu begreifen.
    Man darf also gespannt sein, ob sich die Liberalen weiterhin gesellschaftspolitisch und bündnisstrategisch verbarrikadieren oder ihre Rolle als Mitspieler im Fünf-Parteien-Karussel neu definieren.

    Zitierte Zeitschriften:
    Berliner Republik, 1.10 und 2.10
    Neue Gesellschaft, Mai 2010
    Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2010
    Vorgänge, Heft 1, 2010