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Radikal ist chic

Damit nicht der Eindruck entsteht, es gehe bei der LitCologne nur ums Bücherverkaufen und Büchersignieren, darf der Moderator und Denker und Autor Roger Willemsen jeweils einen Abend des Lesefestivals gestalten. Diesmal ging es ihm um Radikalität. Als Gesprächspartner hatte er den Regisseur und Intendanten Claus Peymann und die Moderatorin, Schauspielerin und Autorin Charlotte Roche ins Kölner Schauspielhaus eingeladen.

Von Kersten Knipp | 03.03.2008
    Radikal ist chic. Radikal kommt gut heute, ist mal was anderes, bringt frischen Wind in den Betrieb. Jedenfalls dann, wenn man es nicht übertreibt. Radikales will gut dosiert sein, sonst wird es schnell langweilig. Aber einen Abend, am Ende werden es zwei Stunden sein, kann man dem Thema schon mal widmen. Vielleicht bleibt schließlich ja doch mehr hängen als ein paar böse Zeilen. So das Kalkül Roger Willemsens, der auf der LitCologne mit Claus Peymann und der Charlotte Roche aus der Geschichte des radikalen Denkens las. Das war chic - sollte aber, so Willemsen, ein ganz kleines bisschen auch politisch wirken.

    "Mir schien es so, als sei dieses Radikale etwas Unzeitgemäßes. Denn die politische Korrektheit hat Aussagen, die den Anspruch des Radikalen für sich einnehmen können, weitgehend marginalisiert. Man hat das Gefühl, dass das Wohlverhalten, auch das mentale Wohlverhalten, auch das ideologische, weitgehend dominant geworden sind."

    Ist Willemsen ein Radikaler? Er zog es vor, selbst keine radikalen Äußerungen zu machen, sondern andere sprechen zu lassen, Menschen, die sich um Radikalität erwiesenermaßen verdient gemacht haben.
    "Und dann guckt man in die Literaturgeschichte und guckt in die Geschichte radikaler Texte und sieht, dass eigentlich in der Literaturgeschichte, wie Alexander Kluge mal gesagt hat, das überlebt, was in irgendeiner Weise radikal ist."

    Keine Utopien also, keine radikale Gegenwartsromantik. Nur ein lebender Radikaler kam zu Wort, Subcomandante Marcos aus dem mexikanischen Chiapas. Ansonsten: Radikale Stimmen aus der Vergangenheit, von Thomas Morus über Georg Büchner bis hin zu den Autoren des Godesberger Programms. Und auch er, der Marquis de Sade, dem Claus Peymann seine Stimme lieh.

    "Franzosen! (...) Europa erwartet von euch, dass Ihr es von Zepter und Weihrauch befreit. Vergesst nicht: Es ist unmöglich, es von der Tyrannei der Könige zu befreien, wenn es nicht zugleich den Zaun religiösen Aberglaubens zerreißt."

    Die jüngsten toten Radikalen dieses Abends verhexten einst die Bundesrepublik. Die Terroristen Ulrike Meinhof und Holger Meins. Der Klassenkampf auf der Bühne. Ist er, als milde Geste, angekommen in der bürgerlichen Gesellschaft? Claus Peymann war spürbar unwohl angesichts der entschärfenden Vereinnahmung des Terrors durch den Kulturbetrieb.

    "Das ist natürlich immer das Dilemma einer solchen Veranstaltung, dass dann die wohlgesitteten Herrschaften hier auf der Bühne diese Texte lesen, und man gerät dann natürlich schon in einen verheerenden Widerspruch, je näher uns diese Personen rücken. Ja!? Das ist so ein bisschen geschmacklos das Ganze, sagen wir mal so. (Applaus.) Aber ich finde es zulässig."

    Es braucht solche Hinweise, um einen Abend wie diesen erträglich zu machen. Denn das Angehen ist ja legitim: Auf jene Texte zu verweisen, denen Europa seinen politischen und zivilisatorischen Kern verdankt. Dass das in den Tempeln der Hochkultur immer ein bisschen schmierig wirkt - das, gestand auch Roger Willemsen ein, muss man wohl in Kauf nehmen.

    "Wir haben natürlich in gewisser Weise keine andere Wahl als in diese Falle zu laufen. Deswegen ist der Applaus doch wohl auch wohlfeil. Denn man muss sagen, um die Erinnerung zu bewahren, ist eine urkulturelle Angelegenheit, ob wir dabei Anzüge tragen oder Badehosen, sekundär."
    Aber es gibt ja nicht nur die politische Radikalität. Sondern auch die körperliche, die sexuelle. Sie zu inszenieren unternahm Charlotte Roche, die aus ihrem Buch "Feuchtgebiet" las, einer Sammlung erotischer Raffinessen vielleicht radikaler, auf jeden Fall aber alternativer Art.

    "Mein Ziel ist, dass es leicht und betörend aus der Hose riecht und auch durch dicke Jeans oder Skihosen. Das wird von Männern dann nicht bewusst wahrgenommen, aber doch unterschwellig, weil wir ja alle Tiere sind, die sich paaren wollen."

    Ist das unanständig? Unanständiger wäre es gewesen, den Abend des radikalen Denkens zu einer romantischen Veranstaltung verkommen zu lassen. Diese Gefahr haben die drei Diskutanten vermieden. Radikalität ist auch auf der Bühne chic. Aber nur dann, wenn sie bescheiden daherkommt.