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"Radio-Aktivität" im Lenbachhaus
Individuum und Kollektiv

Sprache nicht als gegeben hinnehmen, sondern neu denken und Formen internationaler Kommunikation schaffen - die Ausstellung "Radio-Aktivität" im Münchner Lenbachhaus betrachtet ausgehend von Bertolt Brechts Radiotheorie ästhetisch-politische Kollektive.

Von Andi Hörmann | 17.02.2020
Kofferradio der Firma Schaub-Lorenz aus den 50er Jahren, Ausstellung 2011 im Museum Industriekultur in Nürnberg
Einbahnstraße oder Mehrspur? Radio im Dialog? Das Lenbachhaus widmet sich Brechts Radiotheorie (imago / imagebroker)
Die Suche nach dem Sender im übertragenen Sinne: Zuerst gab es das Thema der Ausstellung, dann kam der Titel. Kuratorin Stephanie Weber: "Wir wussten, es werden Künstlerkollektive vorkommen, wir hatten aber noch keinen Titel, und dann hat wirklich und wahrhaftig unser Direktor Matthias Mühling irgendwann gesagt "Radio-Aktivität", wie natürlich das berühmte Album von Kraftwerk."
Stephanie Weber hat zusammen mit Karin Althaus die Ausstellung "Radio-Aktivität" kuratiert. Karin Althaus: "Wie bewertet man eigentlich diese Stellung des Individuums im Kollektiv? Ist das Kollektiv etwas Gutes oder was Schlechtes? Kommt man wirklich gemeinsam weiter, oder zerstreitet man sich nur, wenn man gemeinsam arbeitet?"
Die Rolle des Individuums im kommunikativen Zusammenspiel
Ganz assoziativ gehen sie der Frage nach: Welche Rolle spielt das Individuum im kommunikativen Zusammenspiel des Kollektivs? Der Hörfunk ist demnach auch nur im übertragenen Sinne zu verstehen: Das Medium ist nicht die Message, sondern der Multiplikator. Ausgangspunkt sind Bertold Brechts berühmten, kritischen Texte der "Radiotheorie", entstanden zwischen 1927 und 1932.
Stephanie Weber: "Es ging um den Kern von Brechts Kritik: Warum ist es nur ein Distributionsapparat und kein Kommunikationsapparat? Warum dürfen eigentlich die Hörer nur hören und nicht zurückfunken, zurücksenden und in einen Dialog eintreten?"
Karin Althaus: "Genau das Dialogische, das Brecht einfordert, das hat uns inspiriert, auch weiter zu suchen nach Künstlern, Gruppen, Kollektiven, die das sowohl auf ästhetischer wie auf politischer Ebene tun."
Wechselspiel von Künstler und Kulturproduktion
Im Eingangsbereich der Ausstellung hängen erst mal Gemälde im Stil der Neuen Sachlichkeit.
Karin Althaus: "Von Max Radler über Kurt Günther zu Kurt Weinhold sehen wir jeweils einen Mann vor einem Detektorenempfänger sitzen, fast alle haben Kopfhörer auf und sind so voll in das Zuhören vertieft. Das Radio war so neu, so wichtig, so faszinierend, dass man dem offensichtlich seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet hat. Aber es ist natürlich auch immer irritierend, weil man immer denkt: Radio ist etwas für viele, für alle, und nicht für den vereinzelten, in seinem Zimmer sitzenden."
Über vier Teilräume erfährt der Besucher etwas über das Wechselspiel von Künstler und Kulturproduktion — Senden und Empfangen, einzeln oder gemeinsam, privat und politisch. Wie wir leben wollen: in Kunst reflektiert. An Abhörstationen gibt es dann auch Brechts historisches Hörspiel "Der Lindberghflug" zu hören. An der Wand hängen zwei kleine Bilder mit einer kubistischen Abstraktion des argentinischen Künstler Xul Solar, Aquarell mit bunten Deckfarben, die auf eine Kunstsprache verweisen. Die Utopie einer Weltsprache. Und im nächsten Raum steht ein Modell des Münchner Künstlerkollektivs SPUR. Eine Mischung aus Architekturmodell und Achterbahn.
Die archaische Idee eines grenzüberschreitenden Kommunikationsmittels
"Der sogenannte SPUR-Bau. Das ist eigentlich eine Form einer Stadtutopie. Man sieht, wir sind in den 1960er Jahren, es hat Autos und Straßen und ganz viele Parkplätze, aber es ist eigentlich ein Kulturbau…"
Die Kunst der Kommunikation, die Kommunikation der Kunst. Die archaische Idee eines grenzüberschreitenden Kommunikationsmittels, die im Hörfunk schon immer mitschwingt, bekommt in der Ausstellung "Radio-Aktivität" eine eigentümliche Strahlkraft. Ein eigens eingerichteter Veranstaltungsraum lädt zu Diskussion und Diskurs ein. Assoziationen zu Individuum und Kollektiv gibt es ja viele — natürlich auch aus der Popkultur: Radio-Dada, Radio Gaga.
Stephanie Weber: "Radio Gaga! Auch ein guter Titel. Und in diesem Titel spielt auch so eine gesunde Prise Verrücktheit mit rein. Es geht oftmals um politische Themen, aber man versucht die ästhetisch anzugehen, zu lösen und da spielt natürlich auch bei einigen zumindest eine Prise Gaga mit rein."