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Radioaktive Umweltstrahlung und Leukämie bei Kindern

Wissenschaftler der Universität Oxford haben über 27.000 Datensätze aus dem nationalen Krebsregister Großbritanniens seit 1982 ausgewertet, um den Einfluss der radioaktiven Umweltstrahlung auf das Krebsrisiko bei Kindern zu bestimmen. Ein Ergebnis der größten Krebsstudie Großbritanniens: Gammastrahlung wirkt sich auf das Leukämierisiko aus, auf andere Krebsarten aber nicht.

Von Maximilian Schönherr | 24.10.2012
    Wenn wir einfach so herumlaufen, treffen hochfrequente Strahlen aus allen Richtungen bei uns ein und durchqueren unseren Körper. Sie kommen als kosmische Strahlung aus dem Weltall - ein großes Ozonloch bietet hier immer weniger Schutz. Und sie kommen aus dem Boden zu uns, als terrestrische Strahlung, hauptsächlich Gammastrahlen von Uran, Thorium oder Kaliumisotopen. Alles zusammen ist die "Hintergrundstrahlung", quasi das, was an Radioaktivität immer da ist und auch schon vor Tausenden von Jahren da war.

    Die Childhood Cancer Research Group, also die Gruppe zur Erforschung von Krebs bei Kindern an der Universität Oxford, hat nun eine Studie erstellt, die die Frage beantworten sollte: Wirkt sich diese von vielen als harmlos eingeschätzte Hintergrundstrahlung auf Krebserkrankungen bei Kindern aus? Haben Kinder in Gegenden mit mehr Gammastrahlung ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken als andere?

    "Gamma: Für Leukämie haben wir ein statistisches Verhältnis gefunden. Für andere Arten von Kinderkrebs fanden wir nichts","

    sagt Gerald Kendall, Leiter der Forschungsgruppe. Das heißt Kinder, die stärkerer natürlicher Gammastrahlung ausgesetzt sind, haben ein messbar höheres Risiko, an Blutkrebs zu erkranken, als andere - aber nicht an anderen Krebsarten. Die Hintergrundstrahlung trägt nur zu einem ganz geringen Anteil zum Leukämie-Risiko bei, aber es lässt sich hochrechnen:

    ""Das Risiko ist etwa, was man erwarten würde, wenn man die Risiken zum Beispiel der Leute ansieht, die die Atombomben in Hiroshima und Nagasaki überlebt haben: Pro Dosis sind die Risiken sehr ähnlich."

    Das statistisch Besondere an der Oxforder Studie ist die große Datenmenge, auf der sie beruht. Das gab es nämlich noch nie: über 27.000 Datensätze aus dem nationalen Krebsregister Großbritanniens seit 1982, mit Informationen über Geburtsort, Wohnort, Sozialstatus und einigem mehr, und wann sich welcher Krebs entwickelte. Dazu eine noch größere Kontrollgruppe mit Kindern, die eben keinen Krebs entwickelten. Plus die geologische Radioaktivitätskarte, wonach in Cornwall weitaus mehr Gammastrahlung aus dem Boden herauskommt, als zum Beispiel in Wales

    Die Childhood Cancer Research Group hat auch den Einfluss des häufigsten radioaktiven Elements im Boden untersucht, Radon:

    "Wir haben keinen Zusammenhang gefunden, nicht nur Leukämie, auch keinen Zusammenhang zwischen Radon und anderen Arten von Kinderkrebs."

    Das deckt sich mit vielen anderen Studien.

    Es ist also der Cocktail von Gammastrahlen aus verschiedenen Umweltquellen, der das Knochenmark(*) angreift. Die Statistik legt nahe, dass bei 15 Prozent aller Kinder, die Leukämie entwickeln, die Erkrankung auf die Hintergrundstrahlung zurückzuführen ist. Das Risiko, in Cornwall an Leukämie zu erkranken, oder in Wales, ist sowieso winzig, aber es ist in beiden Gegenden messbar unterschiedlich.

    Gerald Kendalls Studie belegte auch einen anderen Zusammenhang, der unter anderem auch vom Deutschen Kinderkrebsregister an der Universität Mainz untersucht wurde. Da hat man ein starkes Gefälle zwischen Kinderleukämie zwischen Ost- und West-Europa gefunden - viel weniger Erkrankungen zum Beispiel in der ehemaligen DDR als im Westen.

    "Das hat mit sozialer Schicht zu tun. In Großbritannien haben die Kinder reicher Leute ein bisschen mehr Leukämie als die Kinder von ärmeren Leuten."

    Gleichzeitig mit Kendalls Arbeiten kam eine Studie heraus, die die Auswirkung von Computertomografien, also ärztlichen Röntgenaufnahmen auf das Leukämie-Risiko untersuchte und fündig wurde. Es gibt ein erhöhtes Leukämie-Risiko. Die Oxforder Forscher fühlen sich bestätigt.

    "Ich glaube, dass das Allerwichtigste ist, dass sehr kleine Dosisleistungen doch eine Gefahr haben, obgleich das eine sehr kleine Gefahr ist. Aber es gibt Leute, die meinen, dass eine sehr kleine Dosis überhaupt keine Gefahr hat."

    (*) Anm. d. Red.: Irrtümlich ist an dieser Stelle im Audio-Beitrag von Rückenmark die Rede.