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Radioisotope made in Germany

Physik. - 60.000 medizinische Untersuchungen werden in Deutschland pro Woche mit Technetium-99 durchgeführt. Doch die wenigen Kernreaktoren weltweit, die den Stoff produzieren können, sind alt und fallen oft aus. Dabei könnte Deutschland nicht nur den eigenen Bedarf zuverlässig herstellen: am nuklearen Forschungsreaktor FRM II der Technischen Universität München in Garching.

Von Björn Schwentker | 23.04.2009
    Der Münchner Forschungsreaktor FRM-II ist eine der leistungsfähigsten Neutronenquellen der Welt.
    Der Münchner Forschungsreaktor FRM-II ist eine der leistungsfähigsten Neutronenquellen der Welt. (FRM-II)
    Der Sicherheitscheck ist Pflicht für jeden, der den Forschungsreaktor FRM II in Garching bei München besucht - wie in jeder kerntechnischen Anlage. Ingo Neuhaus, der Technische Direktor des Reaktors, steigt die Treppen im Reaktorhaus hinauf. 11,70 Meter geht es nach oben in dem großen, würfelförmigen Gebäude, immer entlang seiner meterdicken Betonmauern. Dann öffnet Ingo Neuhaus eine Stahltür und steht in einer großen Halle.

    "Das ist der wirklich sensitive Betriebsbereich, wo das Reaktorbecken sich befindet."

    Der technische Direktor beugt sich über das Geländer eines tiefen Beckens, gefüllt mit glasklarem Wasser. In der Tiefe des so genannten Pools schimmert es bläulich. Dort unten, im Herz des Reaktors, findet die Kernspaltung statt. Dabei entstehen in großer Zahl Neutronen, der eigentliche Sinn der Anlage. Über mehrere Rohre werden sie aus dem Wasserbecken hinausgeführt in verschiedene Experimentierhallen. Dort nutzen sie Forscher, um damit Materialien zu durchleuchten. Wie beim Röntgen, nur genauer. Wenn es nach den Betreibern geht, soll der Reaktor neben dieser Grundlagenforschung nun noch eine weitere Aufgabe bekommen: Er soll radioaktives Molybdän-99 produzieren, aus dem sich in einem weiteren Schritt das medizinische Radioisotop Technetium-99 erzeugen lässt. Die strahlenden Teilchen werden Patienten gespritzt, um Bilder aus dem Körperinnern zu machen, etwa von Tumoren.

    "Der eigentliche Ansatz ist, einfach uranhaltige Targets in Kernnähe herabbringen, und dann entstehen da Spaltungen und dann entsteht da das Molybdän."

    Diese "Targets" sind dünne Metallröhrchen mit einigen Gramm hoch konzentriertem oder auch "hoch angereichertem" Uran der Sorte Uran-235. Der Plan: Die Neutronen aus dem Reaktor sollen es zerspalten, und heraus kommt – neben radioaktivem Abfall – das strahlende Molybdän-99. Im Prinzip alles ganz simpel, sagt Ingo Neuhaus.

    "Die Probleme kommen dann aus den sicherheitstechnischen Überlegungen, die man anschließen muss, und deswegen wird es komplizierter, als es auf den ersten Blick klingt."

    Denn mit dem Molybdän-99 entstünde im Reaktor auch jede Menge Wärme. Und diese Hitze muss abgeführt werden, sonst läuft der Reaktor nicht mehr sicher. Das sei zwar technisch ein gewisser Aufwand, aber letztlich alles kein Problem, heißt es in einer Machbarkeitsstudie des FRM II, die kurz vor dem Abschluss steht. 5,4 Millionen Euro soll es kosten, die Anlage umzurüsten; in vier bis fünf Jahren könnte alles fertig sein. Inklusive der nötigen Umbauten, um das bestrahlte Target mit dem radioaktiven Molybdän-99 unter hohen Sicherheitsvorkehrungen aus dem Reaktor herauszuholen und auf Transporter zu verladen. Die bringen es dann zu Pharmaproduzenten, um daraus das medizinische Technetium-99 zu gewinnen. Winfried Petry, Wissenschaftlicher Direktor des Reaktors FRM II, hält den Ausbau für überfällig.

    "Deutschland ist der größte Konsument von Radioisotopen für die Nuklearmedizin. Deutschland hat so gut wie keine eigenen Kapazitäten, diese zu erzeugen. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir im europäischen Verbund auch unsere Last an Erzeugung von Radioisotopen endlich mal tragen. Ich würde auch sagen, wir haben eine gewisse moralische Pflicht."

    Soviel Molybdän soll der Garchinger Reaktor herstellen, dass er damit sogar ganz Europa versorgen könnte. Weltweit wäre er dann eine der größten Quellen. Nun muss nur noch die Politik mitspielen und das Geld für den Umbau geben. Der Freistaat Bayern schon hat schon einen Teil der 5,4 Millionen Euro zugesagt. Den Rest werde nun sicher das Bundesgesundheitsministerium drauflegen. Da ist sich Winfried Petry sicher:

    "5,4 Millionen – ich möchte Ackermann zitieren, oder nein: Seinen Vorgänger - das sind Peanuts. Und das meine ich sehr ernst. Im Vergleich dessen, was wir an Geld ausgeben, und auch Geld benötigen im Gesundheitssystem. Ein großes europäisches Problem für nur 5,4 Millionen Euro zu lösen, ist nach meiner Meinung eine extrem starke Leistung. Zum Wohle der Menschheit."