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Radiolexikon Albträume

40 Prozent aller Grundschulkinder haben Albträume. Manche nur hin und wieder, andere regelmäßig. Das ist nicht schön, weder für die Kinder noch für die Eltern. Warum haben vor allem Kinder Albträume? Und was ist, wenn Erwachsene darunter leiden?

Von Mirko Smiljanic | 23.11.2010
    Nachts um vier, irgendwo in Deutschland. Wer nicht arbeitet, schläft tief und fest. Kinder sowieso. Alle, oder sagen wir besser: fast alle, ein achtjähriges Mädchen plagen Träume, genauer Albträume. Und die haben es in sich.

    "Also, manchmal träume ich, dass mich meine Eltern nicht mehr kennen oder, dass ich mich verlaufe irgendwo."

    Kein schöner Traum für ein Kind, Sorgen muss man sich trotzdem nicht machen. Fast die Hälfte aller Grundschulkinder leidet hin und wieder an Albträumen, in denen sie verfolgt, verletzt oder bedroht werden, in denen sie sterben oder einfach nur ins Bodenlose fallen. Allen Träumen gemeinsam ist die damit verbundene Angst.

    " Ja, so bisschen habe ich dann schon Angst."

    Die häufig dazu führt, dass die Achtjährige aufwacht - und intuitiv richtig reagiert: Sie legt sich zu den Eltern ins Bett.

    "Ja, ich bin schon ein paar Mal rübergegangen und habe da geschlafen ein bisschen und dann bin ich wieder zurückgegangen in mein eigenes Bett.
    Also in der Nacht kriege ich das eigentlich weniger mit, sie erzählt mir das dann morgens, was sie geträumt hat, dass das halt nicht schön war, dass sie Angst bekommen hat. Ich sage ihr dann auch, dass das nur ein Traum war, dass das keine Wirklichkeit ist."

    Berichtet die Mutter des Mädchens. Die Ursachen von Albträumen sind vielfältig. Genetische Faktoren spielen eine Rollen, Stress und die Persönlichkeit. Amerikanische Forscher haben festgestellt, dass Kinder mit sogenannten "dünnen Grenzen" häufiger unter Albträumen leiden. Gemeint sind kreative, emphatische, offene und sensible Menschen. Womit aber noch nicht geklärt ist, warum gerade Kinder und Jugendliche nachts der Horror verfolgt.

    "Das hängt unter anderem damit zusammen, dass der Traumschlaf bei Kindern häufiger vorkommt und insgesamt die Traumschlafzeit auch länger ist als bei Erwachsenen. Hinzu kommt, dass wir im Traumschlaf vieles, was wir am Tag erlebt haben, ins Langzeitgedächtnis abspeichern, und bei dieser Abspeicherung ins Langzeitgedächtnis entstehen dann natürlich auch die Träume, und je nachdem, was man erlebt hat, kann es dann natürlich auch zu Albträumen kommen."

    Dr. Alfred Wiater, Chefarzt der Kinderklinik am Krankenhaus Köln-Porz und Leiter des Kinderschlaflabors. Albträume und Nachtwandeln - eine weitere kindliche Schlafstörung - haben übrigens nichts miteinander zu tun. Was schon folgendender Unterschied deutlich macht: Nachtwandler erinnern sich nicht an ihre nächtlichen Ausflüge; Alpträumer dagegen können die wirren Bilder durchaus beschreiben. Mit der Interpretation des Albtraum-Welten müsse man aber vorsichtig sein, sagt Wiater. Bei Kindern findet er nur selten nachvollziehbare psychische Ursachen, bei Erwachsenen dagegen schon eher.

    "Sichere psychische Ursachen finden wir zum Beispiel bei den posttraumatischen Belastungssituationen, das sind sehr eingreifende Erlebnisse bei Erwachsenen, zum Beispiel Kriegserfahrungen oder auch Missbrauchserfahrungen, die die Patienten extrem belasten und die dann auch zu immer wieder kehrenden Albträumen führen."

    Erwachsene mit regelmäßigen Albträumen sollten auf jeden Fall ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ist eine posttraumatische Belastungsstörung die Ursache, benötigt der Patient eine psychotherapeutische Behandlung. Aber auch bei Kindern nehmen Ärzte Albträume mitunter genauer unter die Lupe, etwa um abzuklären, ob sich hinter den Träumen nicht eine unentdeckte Epilepsie verbirgt. Für solche Untersuchungen hat die Köln-Porzer Kinderklinik ein Schlaflabor eingerichtet.

    "Ja, wir sind hier in einem Schlaflabor, wo wir Kinder untersuchen, die unter Schlafstörungen leiden, Albträume sind häufig ein Begleitsymptom bei auch anderen Schlafstörungen, und bei diesen Kindern wird dann zur weitern Abgrenzung eine Schlaflaboruntersuchung gemacht, so wie wir es bei Dir auch machen wollen, das ist nicht Unangenehmes, das ist nichts Schlimmes, Du bekommst Elektroden, die auf der Kopfhaut befestigt werden, die werden da aufgeklebt."

    Alfred Wiater erklärt seiner jungen Patientin, dass sie keine Angst haben muss, denn im Nebenraum sitzt jemand, der die ganze Nacht auf sie aufpasst, außerdem schläft ihre Mutter ebenfalls im Labor.

    "Ganz alleine würde das gar nicht gehen, da würde sie nicht schlafen und auch gar nicht bleiben wollen, das ist ja auch eine ungewohnte Situation."

    Nach und nach wird das Mädchen "verkabelt".

    "Das wird alles sehr vorsichtig gemacht, es wird nichts gepiekst, es passiert nichts, was Dir unangenehm ist, und wenn das alles fertig ist, dann kannst Du erstmal in Ruhe schlafen und wir sind gespannt, was wir da im Schlaf alles bei Dir aufzeichnen können."

    Der Computer registriert erstaunlich viele Daten: Puls und Atemfrequenz, Augenbewegungen und Hirnströme, den Gehalt von Sauerstoff und Kohlendioxid in der Atemluft.

    "Wichtig sind bei der Untersuchung von Kindern mit Albträumen insbesondere die Hirnströme und die Messung der Augenbewegung, denn die Albträume treten ja im sogenannten Traumschlaf auf, den wir als REM-Schlaf bezeichnen, REM steht für Rapid Eye Movement, also "schnelle Augenbewegungen" im Schlaf, und diese Linien, die wir hier sehen, zeigen, dass sich die Augen plötzlich hin und her bewegen, die Hirnströme sind auch unruhiger, unregelmäßiger, als das in den Tiefschlafphasen der Fall ist, das kennzeichnet den Traumschlaf und aus diesem Traumschlaf treten dann auch die Albträume auf."

    Was genau die Kinder träumen, weiß der Computer natürlich auch nicht, allerdings lassen sich anhand der Kurven andere Krankheiten - epileptische Anfälle etwa - ausschließen. Ist das abgeklärt, stellt sich die wichtigste Frage: Was kann man gegen Albträume tun?

    "Man sollte es zunächst einmal verfolgen und sehen, wodurch ein Albtraum zustande kommen könnte, wir müssen ja berücksichtigen, dass Tageserlebnisse in die Traumverarbeitung mit eingehen, wir wissen zum Beispiel, dass bei Träumen zu 20 Prozent Fernseherlebnisse bei den Kindern eine Rolle spielen, also auch hier geht es darum zu analysieren, hat das Kind vielleicht eine Sendung gesehen, die es nicht verkraftet hat, mit der es überfordert gewesen ist."

    Die Behandlung von Alpträumen - so sie denn überhaupt behandelt werden müssen - geschieht auf zwei Ebenen: Erstens werden möglichst alle Stressfaktoren wie Fernsehen, Schulangst und so weiter reduziert; und zweitens sollen sich die Kinder mit den Träumen aktiv auseinandersetzen.

    "Man geht da so vor, dass die Kinder gebeten werden, den Trauminhalt aufzuzeichnen und dann in einen zweiten Schritt eine Bewältigungsstrategie mit einzuzeichnen, und die Kinder sollen das dann mehrmals täglich praktizieren um so eine Bewältigungsstrategie für den Albtraum zu verinnerlichen und mit den Albträumen fertig werden zu können."

    So weit ist die junge Patientin noch nicht. Noch muss sie ein paar Nächte im Schlaflabor übernachten - was gar nicht so einfach ist.

    "Erst mal habe ich sehr wenig geschlafen, dann bin ich wieder aufgewacht."

    Was aber völlig normal sei, sagt Alfred Wiater, in der zweiten und dritten Nacht schläft sie schon durch.