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Radiolexikon: Fruchtwasseruntersuchungen

Werdende Eltern begleiten mancherlei Ängste. Aufschluss über Krankheiten und Missbildungen des ungeborenen Kindes kann eine Fruchtwasseruntersuchung geben. Doch auch die ist nicht ohne Risiko.

Von Justin Westhoff | 01.06.2010
    "Man geht mit einer Nadel durch die Bauchdecke bis ins Fruchtwasser, zieht sich eine bestimmte Menge davon ab und analysiert das auf Chromosomen oder auf biochemische Stoffe oder auf Hormone, das kommt ganz darauf an, was man wissen möchte."

    Mit einer langen Nadel durch den Bauch der Schwangeren bis ins Fruchtwasser, da wo das Ungeborene heranwächst – die Vorstellung macht mancher werdenden Mutter Angst und oft auch den dazugehörigen Mann schwummrig. Dabei wird diese Amniocentese heute nur noch in bestimmten Fällen vorgenommen, wie Dr. Ilka Fuchs vom Zentrum für Pränataldiagnostik in Berlin erläutert:

    "Tatsächlich ist es so, dass insgesamt die Rate der Fruchtwasseruntersuchungen abgenommen hat, weil jetzt ja das so genannte Ersttrimester-Screening zur Verfügung steht. Das ist eine Ultraschalluntersuchung, bei der man nach Auffälligkeiten beim Feten schaut, das wichtigste ist dabei ein verdickter Nacken, denn Kinder mit einer Chromosomenstörung oder auch einem schweren Herzfehler lagern temporär etwas Wasser im Nacken ein, was man im Ultraschall sehen kann."

    Mit modernen Ultraschallgeräten können geübte Untersucher also vieles von dem entdecken, wozu früher die invasive Fruchtwasseruntersuchung notwendig war – besser gesagt: Sie können zunächst eine Verdachtsdiagnose stellen. Die häufigste Besorgnis werdender Eltern: Leidet mein Kind an der Chromosomenstörung Down-Syndrom? Erst wenn zum Beispiel dafür Anzeichen vorliegen, sollte heute eine Amniocentese überlegt werden. Auch die bietet keine "Garantie" für ein gesundes Kind. Prof. Klaus Vetter, Leiter der Perinatalmedizin am Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln betont jedoch, dass die Fruchtwasserentnahme für bestimmte Fragestellungen nützlich bleibt.

    "Das ist einmal, Zellen vom Kind zu gewinnen und aus denen etwas zu analysieren, es ist eben so, dass man zählen kann, wie viele Chromosomen sind da, welche sind doppelt, aber eben auch die Konzentration von Stoffen, die man sucht, zum Beispiel die die Niere produziert oder nicht produziert, die kann man im Fruchtwasser eben studieren."

    Anders als noch vor 10, 20 Jahren ist bei derartigen vorgeburtlichen
    Untersuchungen nicht mehr das Alter der Mutter ausschlaggebend. War eine Schwangere damals 35 Jahre oder älter, wurde fast automatisch eine Amniocentese empfohlen. Doch diese strenge Altersgrenze war ohnehin wenig begründet, ein behindertes Kind können auch jüngere Mütter bekommen. Und inzwischen wünschen sich sehr viele Frauen ihr erstes Kind in einem späteren Lebensabschnitt. Insgesamt geht es also bei der vorgeburtlichen Diagnostik immer um eine persönliche Abwägung.
    Die Fruchtwasserpunktion ist ungefährlicher, als sie aussieht, aber gewisse Risiken sind unbestreitbar.

    "Wie alles, was man irgendwie durch die Bauchdecke macht, gibt es natürlich die Möglichkeit, dort Infektionen hinein zu bringen, das wird meistens verhindert, andererseits gibt es die Möglichkeit, dass es zum Blasensprung kommt, und damit Risiken für die Schwangerschaft auftreten; weniger wahrscheinlich ist, dass man das Kind mit der Nadel verletzt, weil: heute macht man das unter Sicht an einer Stelle, wo das Kind gerade nicht ist. "

    Ein Problem bleibt: Eine Fruchtwasseruntersuchung ist erst ab ungefähr der 13. Schwangerschaftswoche möglich. Bis dann deren Ergebnis vorliegt und die Frau sich überlegt, ob sie das Kind austragen möchte, kann die Schwangerschaft schon recht fortgeschritten sein. Eine Zeitlang hofften die Spezialisten für vorgeburtliche Untersuchungen, die Amniocentese durch eine andere Methode – die Chorionzottenbiopsie – ersetzen zu können, Sie hat vor allem den Vorteil, Ergebnisse schon ab etwa der achten Woche zu liefern. Bei der Chorionzottenbiopsie werden kleine Bestandteile der Plazenta entnommen und untersucht.

    "Das Problem bei der Chorionzottenbiopsie ist aber, dass man dort die Plazenta analysiert und nicht das Kind selbst, das heißt, gewisse Varianten führen manchmal zu Unsicherheiten, die dann wiederum dazu führen, dass man bei Unklarheiten doch eine Amniocentese mit dem wahrscheinlich etwas geringeren Eingriffsrisiko hinterher macht."

    Wie dieses Risiko eingeschätzt wird, hängt sehr von der jeweiligen Lebenssituation der betreffenden Frau ab.

    "Es ist eine sehr, sehr persönliche Entscheidung, und wir müssen eben abwägen, ob das Risiko des Eingriffs in Abwägung des Wunsches der Patientin zu einer Diagnostik führt oder nicht."

    Frauenärztin Ilka Fuchs hat die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen, die zum ersten Mal ein Wunschkind austragen meist gegen die Fruchtwasserpunktion entscheiden, jedenfalls, wenn zuvor im Ultraschall keine Auffälligkeiten sichtbar sind.

    "Dann gibt es natürlich die andere Patientin, die schon zum Beispiel mehrere gesunde Kinder zu Hause hat, dort steht die Angst vor dem Down-Syndrom im Vordergrund, diese Patientin würde eher dazu tendieren, wahrscheinlich es auch bei einem unauffälligen Ultraschall untersuchen zu lassen."

    Glücklicherweise stellt sich dann in den meisten Fällen auch bei der weitergehenden vorgeburtlichen Untersuchung, der Amniocentese, heraus, dass das Kind höchstwahrscheinlich keine Behinderung hat.

    "Ist es aber betroffen, ist es ein Schock, wo man der Patientin versuchen muss, einen Zeitdruck herauszunehmen und wirklich ihr erst einmal zu erklären: Wie ist die Konstellation, ist es ein Kind mit dem Down-Syndrom, was ansonsten organisch gesund ist, ihr die Möglichkeit geben, zum Beispiel mit Familien, die ein Kind mit Down-Syndrom haben, zu sprechen, auch eine psychosoziale Beratung gehört unbedingt dazu heutzutage, um für diese individuelle Patientin den richtigen Weg zu finden und eine gute Beratung tatsächlich durchzuführen. "

    Werdende Mütter und Väter begleiten zwar mancherlei Befürchtungen, sie sollten aber grundsätzlich mit Optimismus an die Schwangerschaft herangehen, findet der erfahrene Geburtsmediziner Klaus Vetter:

    "Das Prinzip heute heißt immer noch "guter Hoffnung sein", und guter Hoffnung sein heißt eben, dass man hofft, dass es einen nicht erwischt mit irgendeiner negativen Diagnose; wir sollten auch darüber aufklären, wie die Dinge auch 'mal nicht gut laufen, aber deshalb muss man jetzt nicht keine Kinder in die Welt setzen in dem man sagt: 'Auweia, wenn was passiert, was dann?'. Also ich würde sagen: Ich hab ein par Kinder, dann hätte ich die vielleicht auch nicht gekriegt, (lacht) das weiß ich nicht, aber das hätte mir doch Einiges an Lebensfreude verdorben, wenn ich immer so auf die Dinge losgegangen wäre – die meisten Schwangerschaften gehen ja gut aus, und deshalb kann man auch mal guter Hoffnung sein. "