Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Radiolexikon Gesundheit
Angina Pectoris

Angina Pectoris - wörtlich übersetzt Brustenge - ist keine eigene Krankheit, sondern das charakteristische Symptom verschiedener Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Angina Pectoris und Herzinfarkt liegen gefühlt aber auch real nah beieinander.

Von Andrea Westhoff | 10.06.2014
    Ein Teilnehmer einer Sonderführung für Blinde und Sehbehinderte ertastet am 20.05.2014 in München in der Ausstellung "Körperwelten" ein plastiniertes Herz.
    In der Praxis ist eine Angina Pectoris nicht so eindeutig zu diagnostizieren - denn nicht immer zeigt sie sich durch Brustenge. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Das Herz - Symbol der Liebe, Hort der Gefühle, Taktgeber des Lebens...
    "Das Herz ist eine Pumpe und pumpt viele, viele 1000 Liter Blut pro Tag durch den Kreislauf."
    ...sagt ganz nüchtern der Kardiologe Dietrich Andresen.
    "Und diese Pumpe ist ein Muskel, und dieser Muskel muss extra ernährt werden, und dafür hat er extra Blutgefäße, und diese Blutgefäße ziehen wie ein Kranz um das Herz herum. Und wenn diese Herzkranzgefäße nun verengt sind, weil sich dort Kalkablagerungen, Plaques wie wir sagen, ablagern, und das führt dazu, unter Belastungsbedingungen zunächst, dass nicht genug Sauerstoff oder Blut ankommt, und das spürt der Patient und er bekommt Schmerzen."
    Oder - in den Worten des Dramatikers Heiner Müller:
    "Der Arzt zeigt mir den Film: DAS IST DIE STELLE
    SIE SEHEN SELBST. - Jetzt weißt du, wo Gott wohnt
    Asche der Traum von sieben Meisterwerken
    Drei Treppen und die Sphinx zeigt ihre Kralle ..."
    "Brustschmerzen, häufig hinter dem Brustbein, manche sagen auch gürtelförmig, also das Gefühl, als würde jemand auf dem Brustbein sitzen, und der klassische Angina-Pectoris-Schmerz wird von dem Patienten beschrieben als häufig brennend, dumpf, drückend. "
    "Angina Pectoris" - wörtlich übersetzt: "Brustenge" - das ist keine eigene Krankheit, sondern das charakteristische Symptom verschiedener Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Trotzdem unterscheidet man zwei Formen: Die stabile Angina Pectoris - wenn die Schmerzen immer unter denselben Belastungsbedingungen auftreten; und die instabile - wenn sich die Brustenge in unterschiedlichen Situationen oder sogar in Ruhe einstellt.
    In der Praxis allerdings ist eine Angina Pectoris nicht so eindeutig zu diagnostizieren, weiß Professor Dietrich Andresen vom Vivantes-Klinikum "Am Urban" in Berlin:
    "Männer geben diese Angina Pectoris-Beschwerden häufig typischer an, als das bei Frauen ist, Frauen klagen eben nicht über diese klassischen Enge- oder Brustschmerzen, sondern sie können auch nur über allgemeines Unwohlsein sprechen oder auch zum Beispiel über leichte Oberbauchbeschwerden oder Luftnot, so unspezifische Beschwerden."
    Bei Frauen schon mal übersehen
    Deswegen wird bei Frauen eine Angina Pectoris eher mal übersehen. Das kann auch bei einer anderen Gruppe von Patienten passieren.
    "Es sind Patienten, die sind herzkrank, aber sie spüren das als Rückenschmerzen, und nicht selten suchen die Patienten den Orthopäden auf, anstatt eben zum Herzarzt zu gehen, und es gibt noch eine kuriose Schilderung, auf die man sehr achten muss, manche Patienten haben gar keine Brustschmerzen, sondern sie haben Hals- und Kieferschmerzen. Und wir sprechen deshalb vom Buddenbrook-Syndrom, und zwar deshalb, weil der Konsul Buddenbrook genau solche Hals- und Zahnschmerzen hatte, zum Zahnarzt gegangen ist, sich alle Zähne hat ziehen lassen, hat weiterhin diese Beschwerden gehabt, und ist dann tot zusammengebrochen, weil er eben keine Zahnschmerzen hatte, sondern diese Zahnschmerzen kamen vom Herzen her."
    "Drei Treppen und die Sphinx zeigt ihre Kralle."
    Das Perfide: Angina Pectoris und Herzinfarkt liegen tatsächlich und gefühlsmäßig nah beieinander:
    "Im Alltagsleben können Sie das nicht trennen. Der Patient oder die Angehörigen sowieso nicht und auch der Arzt vor Ort nicht aufgrund der Schilderung. Es gibt vielleicht gewisse Hinweise: Der Schmerz, Angina Pectoris-Schmerz beim Herzinfarkt ist nicht selten doch heftiger, der Schmerz ist auch begleitet von Körperreaktionen wie Schweißausbruch, manchmal Übelkeit oder Erbrechen, aber Achtung, Achtung: Es gibt viele Herzinfarkte, die zeigen sich durch leichte Brustschmerzen ohne solche Begleiterscheinungen und sind trotzdem so gefährlich wie ein großer Herzinfarkt."
    Schon schwache Angina-Pectoris-Symptome können also ein Warnsignal für einen Herzinfarkt sein. Allerdings gilt auch umgekehrt: Selbst heftigste Brustenge, die sich anfühlt wie ein Herzinfarkt, kann in Wirklichkeit das Symptom einer seelischen Erkrankung, nämlich einer Angstneurose, sein. Dazu die Psychologieprofessorin Heidi Möller aus Kassel:
    "Angstneurosen zeichnen sich dadurch aus, dass ein Mensch wie aus heiterem Himmel plötzlich eine ganz massive Angst bekommt, dass er oder sie umfallen könnte oder sterben könnte, oder ihn ein Herzinfarkt oder so etwas ereilt. Also oftmals finden wir das in Kombination mit sogenannten Panikattacken. Also jemand ist beim Apotheker, kauft sich irgendetwas und plötzlich fängt das Herz an zu rasen, es wird ihm schwindlig, und kriegt sofort die Angst: was passiert, wenn ich jetzt hinfalle, niemand ist da, keiner wird mir helfen, bei Menschen, die Panikattacken haben, ist das sofort für sie ein Anzeichen, es stimmt was nicht mit mir und ich könnte umfallen, ich könnte sterben, also eine große Unsicherheit ganz generell."
    Das haben übrigens Männer viel häufiger als Frauen. Glücklicherweise gibt es heute eine ganze Reihe von Methoden, mit denen sich Herzerkrankungen sicher diagnostizieren lassen: zuerst das Elektrokardiogramm, kurz EKG, das die Herzströme aufzeichnet, gegebenenfalls auch "unter Belastung". Und um alle Zweifel auszuräumen, sieht der Arzt heute sogar direkt ins Herz hinein - mit einem Herzkatheter, einem dünner Schlauch mit Kamera vorne, der von der Leistengegend aus durch die Adern bis ins Herz geschoben wird.
    Einfache Prävention
    Zur Therapie eines Angina-Pectoris-Anfalls standen lange Zeit nur Nitrokapseln oder -spray zur Verfügung, ein Medikament, das die Gefäße kurzfristig erweitert, so dass mehr Blut zum Herzen fließen kann. Andere, radikalere, aber auch dauerhaftere Therapien sind der "Bypass" zur Überbrückung der Engstelle oder die mechanische Gefäßerweiterung, wiederum mittels des Herzkatheters.
    "Wir schieben einfach einen ganz dünnen Schlauch über die enge Stelle im Kranzgefäß, und an diesem Schlauch ist ein Ballon, den blasen wir auf. Und wenn wir den Ballon aufblasen, dann pressen wir mit großer Kraft diese Arterioklerose, diese Kalkplatten, an die Wand. Und damit das nicht anschließend wieder zusammenfällt, setze ich anschließend einen so genannten Stent ein, so ein kleines Gefäßgitter, damit das Gefäß offen bleibt. "
    Dafür allerdings kann man auch schon vorbeugend einiges tun.
    "Man hebt ja immer diesen Zeigefinger und eigentlich mag ich das überhaupt nicht",
    sagt der Kardiologe Dietrich Andresen ein wenig gequält. Aber so ist es nun mal: Ganz klare "Risikofaktoren" für eine Herzkrankgefäßverengung sind:
    "Es tut mit leid, ich muss es wieder sagen: das Rauchen, es ist der nicht behandelte hohe Blutdruck, es ist der Diabetes, also die Zuckererkrankung, und natürlich die Fettstoffwechselstörung, auch eine Wohlstandserkrankung, nämlich das hohe Cholesterin. "
    Anders gesagt: Wen das Herz in der Brust schmerzhaft drückt, der wird sich bewegen müssen - in mehrfacher Hinsicht: alte Gewohnheiten ablegen, neue Beschäftigungen in der Freizeit suchen. Laufen, Radfahren, Schwimmen, Trimmen, zum Beispiel in einem Fitness-Studio.
    "Ich mache das relativ regelmäßig, ein bis zweimal pro Woche, dass mir meine Gesundheit und die Arbeitskraft erhalten bleibt.
    "Aber sinnvoll ist es eben, sich vorher mal von einem Sportmediziner untersuchen und beraten zu lassen, von sportärztlichen Beratungsstellen, wo man also hingehen kann und seine individuelle Belastbarkeit ermitteln lassen kann, und daraus kann man dann auch eine entsprechende individuelle Trainingsempfehlung ableiten."
    "Unser ältester Kunde ist 76. Der geht auch an die Geräte, und er ist schließt sich immer der Walkinggruppe an, die unter freiem Himmel ein sanftes Herz-Kreislauf-Training macht."
    "Überlebenstraining, ärztlich verordnet. Ich will noch zwanzig Jahre zulegen."
    "Gewitter im Gehirn, Blei in den Adern
    Was du nicht wissen wolltest ZEIT IST FRIST",
    heißt es in dem Gedicht "Herzinfarkt" von Heiner Müller.