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Fahruntüchtigkeit durch Medikamente

Rund jedes fünfte Medikament ruft Unaufmerksamkeit und verzögerte Reaktionszeit hervor. Diese Nebenwirkungen beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit und können am Steuer fatale Folgen haben. Oft sind sich die Patienten dessen gar nicht bewusst. Im Zweifel sollte man das Auto stehen lassen.

Von Justin Westhoff | 19.11.2019
Viele Medikamente
Besonders Psychopharmaka schränken oft die Fahrtüchtigkeit ein, allen voran Benzodiazepine (dpa / picture alliance / Klaus Rose)
Dies ist eine Wiederholung vom 13.05.2014
Verkehrskontrolle – selbst ganz ohne Alkohol im Blut kann man Probleme bekommen, warnt Polizeihauptkommissar Stefan Drescher, Leiter der Stabstelle Verkehrsunfallbekämpfung bei der Polizei Berlin, nämlich beim Griff in die Hausapotheke:
"Teilnahme unter dem Einfluss von Medikamenten am Straßenverkehr ist zunächst einmal nicht verboten. Kritisch wird es natürlich dann, wenn der Verkehrsteilnehmer, der zuvor Medikamente eingenommen hat, nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen, dann ist er im Bereich einer Verkehrsstraftat. Gleichwohl nehmen wir an, dass viele Leute sich nicht bewusst sind, dass sie nach Medikamenteneinnahme unter Umständen nicht mehr fahrtüchtig sind."
Rund jedes fünfte Arzneimittel kann – wie es heißt – "die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigen". Was das generell bedeutet, erklärt Professor Gilbert Schönfelder, Pharmakologe an der Charité:
"Die unerwünschte Wirkung von bestimmten Arzneimitteln besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit stören, es gibt da Stoffklassen, die bedienen genau denselben Rezeptor im Gehirn wie der Alkohol."
Die Wirkung der Medikamente lässt erst spät nach
Die Palette jener Medikamente, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, ist groß. Besonders häufig trifft es auf Psychopharmaka zu, allen voran Benzodiazepine, die immer noch als Beruhigungspillen verwendet werden:
"Bei den Benzodiazepinen ist es so, sie machen schläfrig, die Konzentration beeinflussen sie, und man hat das Gefühl genauso wie beim Alkohol, man ist etwas entspannter und die Reaktionszeit nimmt ab."
Wer Benzodiazepine einnimmt, der ist mindestens so eingeschränkt wie mit 0,5 Promille Alkohol. Diese Substanzen werden auch immer noch als Schlafmittel eingesetzt. Solche älteren Arzneien haben eine lange Halbwertzeit, das ist in etwa die Spanne, bis zu der die müde machende Wirkung einigermaßen nachgelassen hat. Es dauert also, bis man morgens geistig fit ist. Die neueren Schlafmedikamente, sogenannte "Z-Präparate", haben einen kürzeren "hang over"-Effekt. Dennoch warnt der Pharmakologe Professor Schönfelder:
"Die neueren haben ein besseres Profil als die Benzodiazipine, sie haben ein geringeres Abhängigkeitspotential oder keins, nichtsdestotrotz: Man fühlt sich zwar erholter, wenn man morgens aufwacht, aber es kann durchaus sein, dass die Reaktionsfähigkeit einfach geringer ist."
Und sechs bis acht Stunden wirken Schlafmittel auf jeden Fall, manchmal länger, etwa bei älteren Patienten. Wenn Ärzte solche Medikamente zum ersten Mal verordnen, müssen sie auf mögliche Folgen für die Fahrtüchtigkeit hinweisen.
"Aber es gibt ja individuelle Unterschiede; und das muss man dem Patienten natürlich klarmachen, dass er die Verantwortung dafür trägt, wenn er morgens merkt, ich bin nicht fit, dann sollte ich doch lieber den Bus nehmen."
Besonders zu Beginn der Einnahme ist Vorsicht geboten
Es gibt viele weitere Mittel, nach deren Einnahme man auf das Auto verzichten sollte. Zum Beispiel Augentropfen, die Pupillen erweitern, oder manche Blutdrucksenker, die anfangs zu Schwindel führen können, wenn die richtige Dosierung noch nicht gefunden ist. Problematisch sind außerdem Hustensäfte mit Kodein sowie bestimmte Schnupfenmittel. Auch ältere, freiverkäufliche Mittel gegen Allergien haben eine sedierende Wirkung. Sie werden mitunter als Einschlafhilfe "missbraucht". Besonders gefährlich ist immer die Kombination mit Alkohol. Es gibt sogar einige harmlos erscheinende Präparate gegen Schmerzen, bei denen man aufpassen sollte. Bei jedem Zweifel sollte man seinen Arzt oder Apotheker fragen. Opiathaltige Schmerzmittel oder auch Antidepressiva müssen manche Menschen über längere Zeit einnehmen.
"Gerade am Anfang, wenn sich der Organismus erst einmal darauf einstellen muss, da passiert was im Gehirn. Dann gewöhnt sich der Körper mittlerweile dran und dann nimmt das schon ab, dennoch: Man darf schon Auto fahren, man darf auch Fahrrad fahren, aber man muss den Patienten darüber aufklären, dass man gerade in der Anfangsphase lieber die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen sollte, weil es durchaus sein kann, dass man eben müde wird."
Nachtfahrten mit Opiaten können zudem nach längerer Einnahme problematisch sein, weil sie Fernsicht und Gesichtsfeld einschränken. Auch wer nach längerer Zeit Opiate oder Psychopharmaka absetzt, muss vorsichtig sein: Entzugserscheinungen wie Verwirrtheit und Krampfanfälle können die Fahrtüchtigkeit ebenfalls beeinflussen. Dennoch: Das Fahren unter Medikamenten ist nicht grundsätzlich verboten, und es gibt sogar Krankheiten, bei denen Arzneimittel unverzichtbar für die Verkehrstüchtigkeit sind. Hierzu gehören Beispiel Medikamente gegen Diabetes oder solche gegen Epilepsie:
"Also was man nicht möchte ist, dass man krampft während der Autofahrt, und da ist natürlich die Therapie im Vordergrund, weil da ist zum Beispiel die sedierende Wirkung nicht ganz so stark ausgeprägt. Und wir sind als Ärzte darauf angewiesen und müssen den Patienten darüber aufklären."
Überlegungen hingegen, einen freiwilligen Fahrtüchtigkeits-Test anzubieten für Patienten, die problematische Arzneimittel einnehmen müssen, sind noch nicht sehr weit gediehen. Ohnehin muss letztendlich jeder selbstverantwortlich handeln.
"Anders als bei Alkohol und Drogen gibt es bei Medikamenten keinen Grenzwert," sagt Polizeihauptkommissar Stefan Drescher, Leiter der Berliner Stabstelle Verkehrsunfallbekämpfung. Aber das schützt keineswegs davor, belangt zu werden. Denn die Polizei hat durchaus Möglichkeiten, Fahrunfähigkeit durch Arzneien festzustellen, etwa mit Tests, mit denen Zeitgefühl und Konzentration gemessen werden.
"Wenn unsere Kollegen im Rahmen des Streifendienstes oder bei Verkehrskontrollen entsprechende Auffälligkeiten feststellen haben wir entsprechende Reaktions- und Bewegungstests – das sind standardisierte Fahrtüchtigkeitstests – die gegebenenfalls den Verdacht erhärten oder auch entkräften. In den Fällen, in denen wir tatsächlich einen hinreichenden Verdacht haben, dass ein Verkehrsteilnehmer unter Medikamenteneinfluss steht und sein Fahrzeug nicht mehr sicher führen kann, werden die Beamten dann in letzter Konsequenz eine Blutentnahme anordnen, und bei entsprechenden Analysen kann dann auch zweifelsfrei festgestellt werden, ob entsprechende Medikamente eingenommen worden sind."