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Farbenblindheit

Modedesigner, Pilotin oder Seemann – in manchen Berufen kommt es nicht nur auf Technik und Theorie an, sondern auch darauf, Farben richtig zu erkennen. Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland können das nicht: Sie sind farbenblind. Kein wirklich schweres Leiden – aber ein störendes.

Von Mirko Smiljanic | 06.02.2018
    Einige Menschen wissen nicht, dass sie farbenblind sind. Sie entwickeln unbewusst Strategien, um ihre Sehschwäche zu kompensieren - zum Beispiel im Straßenverkehr.
    Einige Menschen wissen nicht, dass sie farbenblind sind. Sie entwickeln unbewusst Strategien, um ihre Sehschwäche zu kompensieren - zum Beispiel im Straßenverkehr. (picture alliance / dpa)
    Köln, Rheinauhafen. Im Schatten der architektonisch durchaus gewagten drei Kranhäuser dümpeln gut vertäut Schiffe an den Stegen.
    "Wir befinden uns auf einem zehn Meter langen Motorboot", erklärt Jochen Weiden, Geschäftsführer der Kölner Segelschule und fährt fort:
    "Ein ehemaliges Lotsenversetzschiff aus dem Rotterdamer Hafen, auf dem wir in der Regel unsere Schulungen für die Motorbootführerscheine durchführen."
    Farben zu erkennen ist auch in der Schifffahrt entscheidend
    Manövrieren und Anlegen lernen die Sportbootführerschein-Aspiranten, Rettungsmaßnahmen und natürlich pauken sie die Bedeutung von Symbolen und Laternen, ohne die in der Schifffahrt gar nichts geht.
    "Rechts und links sieht man die sogenannten Seitenlichter, auf der linken Seite des Bootes sieht man das rote Seitenlicht, die sogenannte Backbordlaterne, Backbord ist die seemännische Bezeichnung für links, auf der rechten Seite sieht man die grüne Laterne, Steuerbord nennt sich rechts in der Seefahrt. Die Lampen sind natürlich nachts und bei unsichtigem Wetter an. Wenn ein Fahrzeug sich nähert und ich sehe die linke Seite des Fahrzeuges, dann sehe ich immer die rote Laterne, gleichzeitig sehe ich noch ein weiße Laterne, sodass ich weiß, das Fahrzeug sehe ich von seiner linken vorderen Seite. Wenn ich die grüne Laterne sehe, dann habe ich es von Steuerbordseite, also von rechts."
    Immer vorausgesetzt, der Skipper kann die Farben der Laternen unterscheiden. Die Wahrscheinlichkeit, dass er es nicht kann, ist statistisch gesehen vergleichsweise hoch. Immerhin fünf Prozent der deutschen Bevölkerung leiden an einer Farbenblindheit - das sind vier Millionen Menschen. Genau genommen verbirgt sich hinter dem landläufigen Begriff "Farbenblindheit" allerdings eine breite Palette unterschiedlicher Farbwahrnehmungsstörungen, die bis zu einer Farbblindheit führen können, aber nicht müssen.
    Übergang von Blindheit zu Schwäche ist graduell
    Dr. Georg Gerten, ärztlicher Direktor der Augenklinik Am Neumarkt, Köln, gibt einen ersten Überblick.
    "Also es gibt Grünblindheit, Rotblindheit, Grünschwäche und Rotschwäche, das sind die häufigsten. Der Übergang von Blindheit zu Schwäche, der ist so ein bisschen graduell und der hängt davon ab, wie stark die Störung ausgeprägt ist."
    Sie ist die häufigste Form der Farbenfehlsichtigkeit oder Farbenanomalie, rund vier Millionen Deutsche leiden an ihr, wesentlich mehr Männer als Frauen: Menschen mit einer Rot-Grün-Blindheit beziehungsweise Rot-Grün-Schwäche nehmen übrigens zwar Farben wir Blau oder Gelb wahr, "aber möglicherweise in einer etwas veränderten Wahrnehmung. Vor allen Dingen Schwierigkeiten haben die Patienten bei Braun-Rot-Tönen oder eben Grün-Tönen, deshalb diese Rot-Grün-Analogie, das ist auch die Gegenfarbe, Rot zu Grün", so Dr. Gerten weiter.
    Besonders selten: Alles nur noch grau
    Neben dieser häufigen Farbenfehlsichtigkeit, gibt es aber auch die glücklicherweise seltene totale Farbenblindheit. Mediziner sprechen auch von Achromatopsie oder Achromasie: Die Patienten können nur noch zwischen helleren und dunkleren Graustufen unterscheiden, das wahrgenommene Bild ist im schlimmsten Fall grau-matschig und konturenlos. Gleichzeitig leiden total Farbenblinde unter einer mangelnden Sehschärfe sowie einer Überempfindlichkeit gegen helles Licht. 3.000 Menschen sind in Deutschland betroffen, Männer und Frauen mit den gleichen Anteilen.
    Die Ursachen der häufigen Rot-Grün-Schwäche haben die Mediziner im Auge ausgemacht. Dr. Georg Gerten:
    "Man muss sich vorstellen, dass wir drei Zapfenarten haben. Zapfen sind diese kleinen Zellen in der Netzhaut, die auf Farben reagieren. Wir haben im Auge also so sechs bis sieben Millionen Zapfen und 120 Millionen Stäbchen. Die Zapfen sind aber das Entscheidende zum Scharfsehen. Diese Zapfen wiederum unterteilen sich in drei Arten: Blauzapfen, Grünzapfen und Rotzapfen. Sie haben also das Maximum ihrer Empfindlichkeit im Blau-, im Rot- oder im Grünbereich. Und aus diesen drei Grundfarben ist unser Farbensehen zusammengesetzt. Wenn jetzt in einem dieser Zapfenbereiche eine Störung vorliegt, dann ist eben mehr der eine oder der andere Teil des Farbensehens beeinträchtigt."
    Farbwahrnehmungsschwächen sind angeboren
    Bei der Rot-Grün-Schwäche sind es übrigens vor allem Männer, die eher hell-graue Farbtöne wahrnehmen.
    "Die haben nur ein X- und ein Y-Chromosom. Also wenn ein X ein Problem hat, dann haben sie kein zweites X, um das auszugleichen. Die Mütter sind dann in der Regel die Träger dieses Problems, aber sie selbst sind nicht erkrankt."
    Die Störungen im Stoffwechsel der Zapfen sind genetisch angelegt, das Baby hat vom ersten Lebenstag an den fehlerhaften Farbeindruck.
    "Das ist also nichts, was sich entwickelt, das heißt, man kommt so auf die Welt. Und das ist das Farbspektrum, was man zur Verfügung hat. Man sieht schon Farben, aber Modedesigner wäre vielleicht dann nicht der richtige Beruf für so jemanden."
    Und Seemann – selbst als Sonntagssegler – wahrscheinlich auch nicht. In welche Interpretationsprobleme gerät, wer Rot und Grün nicht sicher unterscheiden kann, beschreibt Joachim Weiden.
    "Beispielsweise Fahrzeuge, die ein Problem anzeigen, das sogenannte manövrierunfähige Fahrzeug, das heißt Ruder kaputt, Ruder nach 40 Grad Backbord eingeklemmt, Schraube abgefallen, Wassereinbruch im Schiff, kann nicht wie vorgeschrieben manövrieren. Dieses Fahrzeug würde zwei rote Lichter übereinander sehen. Wenn ich diese nicht als solche identifiziere, sondern als zwei weiße Lichter, dann wäre ich der Meinung im Seebereich, es wäre ein Fahrzeug von 50 und mehr Metern Länge und im Binnenbereich, es wäre ein Fahrzeug von mehr als 110 Metern Länge. Da ist die Unterscheidung von Rot, Grün und Weiß schon enorm wichtig.
    Unbewusste Strategien gegen Störung
    Trotzdem wissen viele nichts von ihrer Farbwahrnehmungsschwäche – sie fällt ihnen einfach nicht auf, "denn im täglichen Leben entwickeln die Menschen Strategien, um diese Störung zu kompensieren", sagt Augenarzt Dr. Georg Gerten.
    Das bei Ampeln das rote Licht oben ist und das grüne unten, ist bekannt. Also hält man an, wenn sich im oberen Licht die Helligkeit ändert, und fährt los, wenn sich unten etwas tut. Trotzdem macht es Sinn, seine Farbsehfähigkeiten überprüfen zu lassen. Das gängige Verfahren bei der Rot-Grün-Sehschwäche sind Ishihara Farbtafeln, die der japanische Augenarzt Shinobu Ishihara 1917 erstmals beschrieb.
    "Das sind Farbtafeln, die sind sehr geschickt gestaltet in der Weise," so Dr. Gerten, "dass der Farbtüchtige dort zum Beispiel noch Zahlen erkennen kann, ganze Zahlen, und der Farbuntüchtige oder Farbenschwache charakteristische Fehler macht, indem zum Beispiel Dinge nicht erkannt werden, die die gleiche Fahrtsättigung wie der Hintergrund haben, eben nur einen anderen Farbton haben, und das ist von einem Farbuntüchtigen dann nicht mehr zu erkennen."
    Keine Behandlung in Sicht
    So einfach die Diagnose ist, eine Behandlung von Farbenblinden ist zurzeit nicht möglich, betont der Augenarzt:"Wenn es eine vernünftige Therapie gäbe, dann müsste es eine Gentherapie sein, die im Prinzip den Fehler in der Stoffwechselkette der Stäbchen und Zapfen wieder rückgängig macht. Das gibt es aber zurzeit nicht, ist auch noch nicht in Sicht."