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Radiolexikon Gesundheit: Johanniskraut

Jahrelange klinische Forschung mit Johanniskraut haben gezeigt, dass Inhaltsstoffe des Johanniskrauts ähnliche Wirkungen aufweisen wie Antidepressiva. Im Gegensatz zu Öl und Tee enthält der Extrakt wesentlich mehr Wirkstoffe. Ob diese geringere Dosis ausreicht ist zwischen Schulmedizinern und Naturheilkundlern umstritten.

Von Cajo Kutzbach | 04.10.2011
    "Ich hab hier vor mir das Johanniskraut, oder auch Hartheu genannt. Wenn man diesen Stängel anfasst, dann weiß man auch warum es Hartheu heißt: Es ist wirklich hart, härter als Heu. Johanniskraut heißt's deshalb, weil es um die Johanniszeit rum zur Blüte kommt. Das heißt irgendwo zwischen 12. Juni und 24. Juni, dem Johannitag."

    ...erzählt die Drogistin Christel Berweiler, die mit ihrem Mann in Stuttgart einen professionellen Kräutergarten betreibt. Die länglichen ovalen Blätter sitzen am Stil gegenüber und haben das matte Grün von Kleeblättern. Die medizinisch seit 2000 Jahren genutzte der insgesamt 370 Arten wächst als buschige Staude voller gelber Blüten:

    "Das sind wie hunderte kleiner Sonnen, die also wirklich die Wärme und die Schönheit des Sommers verkörpern, dieses Gelb, das so viel Wärme in sich verkörpert. Und wenn man ganz genau hinschaut, sieht man auch überall diese winzig kleinen Punkte, die da drauf sind. Und das ist nicht, dass hier irgendwelche Tierchen vor uns waren und schon geknabbert haben, sondern es heißt ja auch Tüpfelkraut oder Tüpfelhartheu."

    Oder lateinisch "Hypericum perforatum" und hat auch diesen Namen von den winzigen Löchern, die eigentlich Öldrüsen sind. (Die Legende sagt, es sei aus dem Blut von Johannes dem Täufer entstanden. Weil es solche Heilkraft hatte, sei der Teufel wütend geworden und habe die Blütenblätter mit einer Nadel perforiert.)

    "Aus den Blüten wird dieses Johanniskrautöl gemacht und wenn man mal diese Blüte nimmt und zwischen den Fingern reibt, dann wird das so dunkellila-rot. Das ist dieses Hyperizin, dass sich hier sofort an der Haut absetzt. Und das macht zum Schluss auch dieses so genannte Rotöl, genau dieser Wirkstoff geht praktisch von der Blüte ins Öl über. Ja so haben wir dann hochwirksames Öl für äußere Verbrennungen, Verletzungen, Muskelkater, Muskelschmerzen; also überall dort kann man es einsetzen. Wenn ich jetzt einen Tee draus mach - wir ernten erst mal praktisch zwei Wochen lang nur die Blüten oben ab - und dann schneiden wir das ganze Kraut."

    In die Teemischung tut Christel Berweiler auch noch ein paar der roten Fruchtstände, die das Johanniskraut im Herbst bildet.

    Aus den Blüten, die man in Alkohol legt, können die Wirkstoffe herausgelöst werden. In der Pharmaindustrie lernte der Mediziner Dr. Marcus Mannel Johanniskraut kennen.

    "Interessant, dass es zum Beispiel in Frankreich zum Beispiel "Tout sane" heißt, was so viel heißt, wie Allheilmittel. Das ist es natürlich heute nicht mehr. Es gibt traditionelle Anwendungen, die seit mehreren Jahrhunderten in Kräuterbüchern beschrieben sind. Die reichen von Menstruationsbeschwerden über Blutungen, Anwendungen bei Wunden als Ölpräparat, aber auch schon seit Jahrhunderten bekannt als Mittel bei nervlichen Verstimmungen und auch bei Exorzismusriten eingesetzt. Von daher auch traditionell in Richtung psychiatrische Erkrankungen schon bekannt."

    Jahrelange klinische Forschung mit Johanniskraut machte Marcus Mannel zu einem der intimen Kenner dieses Heilmittels und seiner Inhaltsstoffe.

    "Heute weiß man sehr viel genauer durch sehr umfangreiche sowohl pharmakologische, sowohl Labor- als auch Tierversuche, dass eine Gruppe von Inhaltsstoffen ähnliche Wirkungen aufweist, wie andere Antidepressiva - synthetische auch - dazu zählen die Hyperforine, die Hypericine und vermutlich auch einige Flavonoide, die im Johanniskrautextrakt enthalten sind."

    Im Gegensatz zu Öl und Tee enthält der Extrakt wesentlich mehr Wirkstoffe. Ob diese geringere Dosis ausreicht ist zwischen Schulmedizinern und Naturheilkundlern umstritten.
    Die Wirkstoffkombination des Johanniskrauts ist einzigartig:

    "Gerade die Hyperforine sind spezifisch für Johanniskraut, die kommen in keiner anderen Pflanze so vor; die Hypericine auch. Bisschen anders ist es mit den Flavonoiden; das sind Pflanzeninhaltsstoffe, die gelbe Farbe haben - von Flava, griechisch "gelb" - die kommen in anderen Pflanzen auch vor und sind in anderen Pflanzen auch bekannt. Wir nehmen sie auch mit dem Salat zum Beispiel zu uns, da sind auch immer Flavonoide drin."

    Marcus Mannel arbeitet heute an der berühmten Berliner Charité in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Dort werden Einsatzmöglichkeiten von Johanniskraut untersucht. Es gibt ja Menschen die Naturpräparate vorziehen, weil sie davon ausgehen, dass diese vom Körper besser vertragen werden. Bei Johanniskraut ist das tatsächlich so:

    "Das ist einer der großen Vorteile, weshalb Johanniskraut gerne eingesetzt wird und auch eingenommen wird, ist die sehr gute Verträglichkeit. Es ist nicht so, dass es keine Nebenwirkungen hat. Das wird oft falsch dargestellt, oder auch oft falsch wahrgenommen. Es gibt seltene Nebenwirkungen, die in der Regel auch nicht besonders stark ausgeprägt sind. Dazu gehören insbesondere Magen-Darm-Unverträglichkeiten, Kopfschmerzen, manchmal auch Schlafstörungen oder auch ein bisschen Unruhe, insbesondere in den ersten ein - drei Wochen der Behandlung. Das geht dann meistens weg mit der Zeit."

    Das ist auch der Zeitraum, in dem sich die Wirkung dieses Antidepressivums langsam entfaltet und die Depression wirklich lindert.

    Weitere Nebenwirkungen sind eine stärkere Empfindlichkeit gegenüber Sonnenlicht. Die Sonnenbrandgefahr wächst also. Bedenklicher sind Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Marcus Mannel::

    "Man weiß heute, dass die Hyperforine im Johanniskraut insbesondere Arzneimittel-abbauende Enzyme beim Menschen beeinflussen können, deren Wirksamkeit beschleunigen können, oder erhöhen können und deshalb bestimmte andere Arzneistoffe, wenn sie gleichzeitig eingenommen werden, deutlich schneller abgebaut werden und deren Wirkspiegel dann sinken kann."

    Auch das Naturheilmittel Johanniskraut ist nicht frei von Neben- und Wechselwirkungen, die obendrein längst nicht alle ausreichend erforscht sind. Es gibt Hinweise, dass die Pille beeinträchtigt werden könnte. Im Zweifelsfall sind deshalb andere Verhütungsmittel zu benutzen, oder statt Johanniskraut eine Psychotherapie zu empfehlen. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile sollte man den Rat eines Facharztes einholen.

    "Johanniskrautpräparate, die modern hergestellt sind, sind wirksame Arzneimittel und sollten deswegen auch unter ärztlicher Aufsicht verordnet und begleitet werden. Es gibt einige wenige Arzneimittel gegen HIV, gegen Krebs, wo deutliche Wechselwirkungen beschrieben sind. Das sollte man wissen. Deshalb ist eine ärztliche Verordnung und Begleitung einer ordentlichen Johanniskrautbehandlung angesagt."

    Da es sich bei Johanniskraut um ein Naturheilmittel handelt, dessen Wirkstoffzusammensetzung von Ernte zu Ernte schwanken kann, rät Dr. Marcus Mannel:

    "Ich rate dringend zur Apotheke. Auch der Apotheker ist über diese Dinge informiert, kann entsprechend beraten und die gut erforschten und auch hochwertig hergestellten, gut standardisierten Präparate, die gibt‘s eigentlich nur in der Apotheke. Die haben auch ihren Preis, aber die sind auch entsprechend besser, sicherer wirksam und überwacht, als die Präparate, die sie zum Beispiel beim Discounter kaufen können."

    Neben dem Haupteinsatzgebiet Depression - wobei noch unklar ist, ob es auch bei schweren Depressionen hilft - zeigt die neuere Forschung, dass Johanniskraut auch körperliche Leiden, die durch Stress ausgelöst werden, wie Magenbeschwerden oder Herzkreislaufprobleme beeinflussen kann.

    Allerdings verschwindet Johanniskraut heute aus den überdüngten Agrarlandschaften. Sogar Christel Berweiler hat damit Probleme:

    "An Schuttplätzen, Bahndämmen, überall dort, wo es karg und öd ist und der Boden wenig hat, da fühlt sich das Johanniskraut sehr sehr wohl. Bei uns aus dem Kräutergarten wandert's leider mehr und mehr ab, nicht weil wir düngen, wie verrückt, sondern wir haben einen unglaublich guten nahrhaften Boden hier, das ist dem Johanniskraut viel zu viel."

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