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Radiolexikon Gesundheit: Kaiserschnitt

Dass eine unkomplizierte Geburt heute bei uns keineswegs mehr der Normalfall ist, zeigt der Blick in die Statistik. Fast 30 Prozent aller Kinder in Deutschland werden per Kaiserschnitt geboren - im Vergleich dazu: vor 10 Jahren waren es noch 18 Prozent. Tendenz: weiter ansteigend.

Von Judith Grümmer | 26.06.2007
    Noch eine letzte Presswehe ... und dann schiebt die Gebärende ihr Kind mit eigener Kraft aus sich heraus und ins Leben hinein... ein gesundes Mädchen ist geboren.

    Nur wenig später liegt das Neugeborene auf dem Bauch seiner erschöpften, aber überglücklichen Mutter. Der Schmerz und die Anstrengung der letzten Stunden sind vergessen... und bald schon wird die Kleine das erste Mal an der mütterlichen Brust saugen.

    Dass solch eine unkomplizierte Geburt heute bei uns keineswegs mehr der Normalfall ist, zeigt der Blick in die Statistik. Fast 30 Prozent aller Kinder in Deutschland werden per Kaiserschnitt geboren - im Vergleich dazu: vor 10 Jahren waren es noch 18 Prozent. Tendenz: weiter ansteigend.

    Das königliche Gesetz erlaubt nicht, dass eine Frau beerdigt werde, die schwanger gestorben sei, bevor dieser die Leibesfrucht herausgeschnitten wird.

    Bereits das römische Gesetz verlangte von den damaligen Geburtshelfern, ein noch ungeborene Kind aus dem Bauch seiner sterbenden oder gerade verstorbenen Mutter herauszuschneiden - um es möglicherweise zu retten oder zumindest eigenständig von der Mutter zu bestatten.

    Julius Caesar, so erzählt die Geschichtsschreibung, soll so zur Welt gekommen sein - die operative Geburt trägt bis heute seinen Namen : Sectio Caesaria - Kaiserschnitt.

    Caesars leibliche Mutter überlebte den Römischen Staatsmann allerdings um zehn Jahre - weshalb diese Namenserklärung wohl eher ins Reich der Legenden gehört - denn damals hatte eine per Kaiserschnitt entbundene Frau keine Überlebenschance.

    Aus medizinischer Sicht gibt es zwei Gründe für einen Kaiserschnitt: Erstens: Wenn schon während der Schwangerschaft absehbar wird, dass eine Entbindung auf natürlichem Weg unmöglich ist beziehungsweise zu gefährlich wird.

    Zweitens: Wenn sich im Verlaufe der Geburt unvorhersehbare Komplikationen einstellen, die Gesundheit und Leben von Mutter oder Kind gefährden und die Geburt so schnell wie möglich beendet werden muss.

    " Also es war so, dass die Geburt erst normal anfing mit Wehen, aber später sich der Kopf nicht drehte in die richtige Richtung und dadurch die Geburt ins Stocken kam, und man dann uns geraten hat per Kaiserschnitt weiter zu machen, weil sonst einfach nichts weiter passiert wäre und der Kopf nicht durchs Becken gegangen wäre."

    Die eigentliche Kaiserschnittgeburt dauert heutzutage oftmals nicht länger als drei, vier Minuten - Heike Bartosch hat sie bei vollem Bewusstsein, aber völlig schmerzfrei miterlebt.

    " Also es war auch sehr interessant, dass man Druck spürt, aber keinen Schmerz, und dadurch merkt man sehr viel, dass am Bauch gearbeitet wird, man hört ja auch Geräusche, aber es war schon sehr eindrücklich auch als dann das Kind rausgedrückt wurde, im wahrsten Sinne des Wortes, damit es unten dann durch die ja doch kleine Öffnung rauskommen konnte."

    Szenenwechsel - im Operationssaal am Klinikum Starnberg greift der Operateur Christoph Anthuber zum Skalpell und schneidet vorsichtig die Bauchdecke auf. Die kindlichen Herztöne waren während der Geburtswehen immer wieder runtergegangen... die Sauerstoffversorgung nicht mehr sichergestellt.

    Das Kind muss nun so schnell wie möglich geboren werden. Die Mutter ist durch eine rückmarksnahe Anästhesie lokal betäubt und hellwach. Eine grüne Sichtblende versperrt ihr den Blick auf den eigenen Bauch.

    Operiert wird sie nach der so genannten Misgav-Ladach-Methode. Landläufig wird diese Methode als "sanfter Kaiserschnitt" bezeichnet, weil der Bauchschnitt wesentlich kleiner und die OP schonender ist als die traditionelle Schnittentbindung, erklärt der Bensberger Chefarzt Dr. Korth:

    " Der Bauch muss auf, so oder so, aber es wird tatsächlich weniger geschnitten. Die Muskulatur, das Unterhautfettgewebe wird geschont, nicht durchtrennt, sondern nur gedehnt, "

    Mit den Fingern aufdehnen statt Schneiden - und nach der Geburt den Bauch mit weniger Nähten als beim traditionellen Kaiserschnitt üblich wieder verschließen - das sind die wesentlichen Neuerungen dieser Methode, die vor mehr als 10 Jahren in Israel entwickelt, in Deutschland erstmals von der Bensberger Klinik übernommen und dann bundesweit populär gemacht wurde.

    "... es ist eine kürzere Operationszeit, heißt auch geringere Narkosebelastung und ein geringeres Risiko."
    " Jetzt gehen wir ins Bauchfell hinein, jetzt sehen wir gleich die Gebärmutter... hier sind man die Gebärmuttervorderwand .. und hier ist schon das Kind ... "

    Bauchdecke und Gebärmutter sind geöffnet. Vorsichtig greift der Arzt in den Bauchraum. Eine Situation, die auch Heike Bartosch noch genau in Erinnerung hat.

    " Ja, ich habe gespürt, dass es jetzt rauskommt, und dann habe ich es auch gehört, dann wurde, glaube ich, kurz abgesaugt, die Lunge freigemacht und dann hat die Hebamme es auch schon genommen, die musste es kurz sehen, die musste einwickeln, abwaschen, ich weiß nicht genau, was sie da kurz gemacht hat und dann hatten wir es auch schon da,... sie hat es meinem Mann in die Arme gegeben, der saß neben meinem Kopf und dann konnte ich es auch schon sehen und anfassen."

    Die Risiken für Mutter und Kind sind in den vergangenen Jahren stetig gesunken und liegen heute nicht wesentlich über den Risiken einer normalen vaginalen Entbindung.
    " Neben den operativen Besonderheiten ist ein wesentlicher Punkt aus meiner Sicht, dass die Frauen unmittelbar nach dem Kaiserschnitt wieder auf die Beine kommen, und somit auch die anderen Risiken wie Thrombose, Embolie deutlich geringer sind."

    Die Entscheidung eine natürliche Geburt abzubrechen und einen Kaiserschnitt zu machen, fällt beispielsweise dann, wenn die Wehentätigkeiten nicht ausreichen, wenn die Mutter erschöpft ist, wenn ein Plazentaabriss droht oder die Nabelschnur eingeklemmt ist.

    Es gibt aber auch medizinische Gründe für einen von vorneherein geplanten Kaiserschnitt: beispielsweise ein zu enges Becken der Mutter, Kopfumfang oder Querlage des Kindes. Die Plazenta kann vor dem Gebärmuttermund liegen oder Verwachsungen eine normale Entbindung unmöglich machen.

    Als kindliche Indikationen können gelten: beispielsweise schon in der Schwangerschaft entdeckte schwere Organfehlbildungen, Mehrlingsschwangerschaften oder Frühgeburten...

    " Ich sehe auch eine Zunahme der Kaiserschnittrate durch die zunehmend höhergewichtigen Kinder. Über 4000 Gramm ist keine Seltenheit und in dieser Gewichtsklasse kommt es einfach häufiger zu mechanischen Störungen des Geburtsablaufs, die dann einen Kaiserschnitt notwendig machen."

    ...beobachtet nicht nur der Chefarzt des Bensberger Zentrums für Geburtsmedizin, Simeon Korth. Weil die Risiken des Kaiserschnitts in den vergangenen 30 Jahren drastisch gesenkt werden konnten, erscheint heute vielen Ärzten, aber auch Eltern, die Entscheidung für einen geplanten Kaiserschnitt als die bessere Wahl.

    Anette Scholten, Hebamme am Bensberger Zentrum für Geburtsmedizin, sieht die steigende Zahl von Kaiserschnitten kritisch.

    " Es ist so, dass viele Frauen zumindest darüber nachdenken, weil es heute als Option mehr oder weniger mit angeboten wird. Das Problem dabei ist, dass die Aufklärung oft nicht ausreichend gut ist, so dass die Frauen gar nicht zu einer informierten Entscheidung kommen können. "

    Der Kaiserschnitt - früher nur aus medizinischen Gründen und als lebensrettende Operation vorgenommen - wird heutzutage immer häufiger "vorsichtshalber" und "auf Wunsch" von vorneherein geplant. Eine Entwicklung, die auch der Bensberger Chefarzt Simeon Korth mit Sorge betrachtet:

    " Von ärztlicher Seite wird natürlich häufig ein Argument angeführt: Sicherheit, auch juristische Sicherheit. Habe ich alles getan? Hätte ich einen möglichen Schaden durch einen Kaiserschnitt vermeiden können? All diese Dinge werden natürlich in die Diskussion gebracht und man wähnt sich auf der vermutlich sicheren Seite, wenn man einen Kaiserschnitt macht, nur wissen wir auch, dass mit einem Kaiserschnitt nicht grundsätzlich alle Risiken abzuwenden sind und dass man vielleicht auch neue Risiken schafft."

    Stichwort Wunschkaiserschnitt: Ärzte, die einen Kaiser als gleichwertige Alternative zur vaginalen Entbindung befürworten, nennen gute medizinische Gründe, die für einen Kaiserschnitts sprechen: die Schnittentbindung reduziert das Risiko von bleibenden Schädigungen des Beckenbodens. Der Druck auf den Beckenboden und die extreme Dehnung der Vagina können zu Folge haben, dass eine Frau nach der Geburt inkontinent wird, also ihren Urin oder Stuhl nicht mehr halten kann. Deshalb - so die Befürworter des Wunschkaiserschnitts - gehöre die Entscheidung für einen Kaiserschnitt zum Selbstbestimmungsrecht der Frau.

    " Stichwort: Planbar, steuerbar, ich kann entscheiden, ich bestimme, und das ist natürlich bei einer normalen Geburt so nicht der Fall, sondern da passiert, was nicht planbar und steuerbar ist, das ist gegen den Trend der Zeit."

    Der Kaiserschnitt als zeitgemäßere Geburtsform, von Frauen selbstbestimmt, auch aus der Angst vor Geburtsschmerzen, - dabei sollte es vielmehr Aufgabe der Geburtshilfe bleiben, Frauen aus der Angst heraus zu helfen - fordert die Hebamme Anette Scholten:

    " Jede Frau hat Angst, Angst vor Schmerzen, Angst davor, dass es ihr schlecht gehen könnte, dass es dem Kind schlecht gehen könnte, das haben alle Frauen. Die Frage ist nur, ob man die Ängste unterstützt oder ob man die Fähigkeit des Kindes und der Mutter unterstützt, primär das zu schaffen und zu bearbeiten."

    Deshalb sehen die meisten Hebammen gerade in Schwangerschaftsvorbereitung und guter Begleitung während der Geburt die besten Argumente gegen den Wunschkaiserschnitt.

    Steht die Entscheidung für einen geplanten Kaiserschnitt fest, aus welcher Indikation auch immer - dann darf trotzdem nicht der Terminkalender von Arzt oder Mutter über den Geburtstag des Kindes entscheiden.

    " Wenn ein Kaiserschnitt notwendig ist, dann sollte man den Zeitpunkt der Natur überlassen, dass heißt mit dem natürlichen Wehenbeginn dann den Kaiserschnitt machen, ..."

    ... so wie der Chefarzt des Bensberger Zentrums für Geburtsmedizin, Simeon Korth, überlassen heute die meisten Geburtshelfer den Zeitpunkt für den geplanten Kaiserschnitt der Natur selbst ...

    "... weil mehrere Dinge dafür sprechen, einmal die Mutter erlebt Wehen, ein ganz wichtig Erlebnis und Ereignis, das auch zu spüren. Die Wehen bereiten das Kind vor, er werden Reifungsvorgänge in Gang gesetzt, die dem Kind den Übergang vom Mutterleib zum selbständigen Atmen erleichtern, die Mutter hat einen geringeren Blutverlust vor und nach der Operation, also es sind ganz wesentliche Aspekte, die für dieses Vorgehen sprechen."

    Die stetig steigenden Kaiserschnittzahlen zeigen, dass tatsächlich immer häufiger zum Skalpell gegriffen wird - durchaus auch ohne wirkliche medizinische Notwendigkeit. Dabei ist die Bensberger Hebamme Anette Scholten davon überzeugt, dass die vaginale Entbindung immer noch die beste und natürlichste Geburtsmethode ist, weil...

    "... ein normaler Geburtsverlauf ein Kind zwar fordert, aber auch fördert in seiner Entwicklung. Auch dazu gibt es Untersuchungen und Studien, dass eben zum Beispiel das Adrinalin, das die Mutter ausschüttet, bei dem Kind ganz klar die Durchblutung der Muskulatur und der Lungen fördert und damit das Kind auch besser befähigt mit dem extrauterinen Leben, die Lungenfunktion ist besser, die primären Anpassungsreflexe werden besser abgerufen."

    Im Operationssaal des Klinikums Starnberg ist es soweit:

    "...Jetzt kommt genau der Moment weswegen wir hier sind, die vordere Schulter, einmal.... die linke Schulter und jetzt kommt der Zwergerl....so... "

    ... der Operateur greift nach dem kindlichen Kopf, dann kommt die rechte Schulter - vorsichtig zieht er das Kind aus dem Bauch heraus.

    ".... Kinderschrei.... Nabelschnurknoten, guck, echter Nabelschnurknoten.... "

    Ein Blick genügt :Dieses Kind hat Glück gehabt..

    "... guck mal an, so ein Glückskind, wenn sich das zuzieht, ist's vorbei..."

    Die Nabelschnur hat einen festen Knoten - hätte der sich unter der Geburt noch fester zugezogen, dann wäre dieses Kind nicht gesund zur Welt gekommen.