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Klostermedizin

Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker - Mönche und Nonnen waren im Mittelalter alles in einem. Vom 8. bis 12. Jahrhundert stellte die Klostermedizin für den Großteil der Bevölkerung die einzige medizinische Versorgung dar. Geblieben ist davon heute vor allem die Pflanzenheilkunde.

Von Andrea Westhoff | 13.03.2018
    Eine kleine Moenchsfigur aus Stein steht im Klosterkraeutergarten von Kloster Oberzell in Zell am Main (Bayern), aufgenommen am 07.06.2017.
    Der Anbau von Kräutern und Heilpflanzen - wie hier im Garten des Klosters Oberzell - hat in der Klostermedizin lange Tradition (dpa / Beate Schleep)
    Das Mittelalter: eine dunkle Zeit voller Unwissenheit und Aberglaube. Die Klöster waren da so etwas wie ein Leuchtturm, sagt der Berliner Professor Bernhard Uehleke von der "Forschergruppe Klostermedizin":
    "Die Klöster waren ja sozusagen die Vorläufer der Universitäten, und dort hatte man gelehrte Leute, die Bücher lesen konnten und Bücher abschrieben. Und außer der Theorie mit den Büchern und den Schreibstuben gab's aber natürlich auch eine Anwendung, eine Praxis."
    Klosterapotheke und -garten
    Das geht zurück auf Benedikt von Nursia, der im 6. Jahrhundert nach Christus auf dem Monte Cassino die Gemeinschaft der "Benediktiner" gründete. Seine Ordensregeln waren Vorbild für alle abendländischen Klöster, und die berühmteste lautete: "Ora et labora", bete und arbeite - und zwar insbesondere für die Kranken und Schwachen. So gilt Benedikt auch als Vater der "Klostermedizin".
    "Das Christentum hatte sich ja denn doch entschieden, dass man nicht die Krankheit als Strafe Gottes nur beobachtend sieht, sondern dass man hilft, auch als Pflicht den Mitmenschen gegenüber, und insofern gab es die Säle, wo behandelt wurde, wo die Kranken auch lagen und verköstigt und behandelt wurden, und es gab aber eben auch schon die Klosterapotheke, und die Klosterapotheke hat dazu eben auch einen eigenen Klostergarten gehabt innerhalb des Geländes und dort wurden dann auch Heilpflanzen angebaut."
    Klostermedizin als einzige medizinische Versorgung
    Die Mönche - und später auch Nonnen - waren also Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker in einem. Vom 8. bis 12. Jahrhundert stellte die Klostermedizin für den Großteil der Bevölkerung die einzige medizinische Versorgung dar. Das Wissen dafür stammte aus den antiken Schriften, vor allem von Hippokrates und Galen. Und so war auch ihr medizinisches Credo die "Humoralpathologie": Leib und Seele des Menschen werden gesteuert von den vier Körpersäften Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle.
    "Und da setzte die Vorstellung von Gesundheit und auch Krankheit an, dass man aus dem Lot geraten konnte, und dass man insofern schwermütiger wird, langsamer oder aufgeregter, und das schlägt sich letztendlich dann auch in Krankheiten nieder; ganz zentral ist der Begriff des Ausgleichs, der Balance."
    Rabiate Methoden
    Im Grunde ein durchaus moderner "ganzheitlicher" Ansatz, dem die Klostermedizin folgte, meint Professor Thomas Schnalke, Medizinhistoriker an der Berliner Charité. Allerdings waren die therapeutischen Möglichkeiten doch sehr beschränkt - und zum Teil äußerst rabiat: "ausleitende" Verfahren wie Schwitzen, Purgieren, also "Reinigen" des Körpers mittels pflanzlicher Brech- oder Abführmitteln, und vor allem der Aderlass.
    Im 12. Jahrhundert schließlich ging die Epoche der Klostermedizin zu Ende, weil ein päpstliches Konzil entschied: "Ecclesia abhorret a sanguine", zu Deutsch: "Die Kirche schreckt vor dem Blute zurück".
    "Die Kirche hat insbesondere die eigenen Mönche, die auch mal medizinisch unterwegs waren im Mittelalter, sozusagen zurückgeholt, zurückgepfiffen und ihnen gesagt, "ihr konzentriert euch bitte zukünftig auf das apostolische Leben, und ihr schneidet nicht mehr, ihr vergießt kein Blut mehr bei den Patienten".
    Eine wichtige Zäsur in der Medizingeschichte: Die Chirurgie wurde in die Hände von "Handwerkern" gegeben, an Bader und Barbiere. Zugleich entstand ein an den Universitäten ausgebildeter Ärztestand, der sich nur noch mit "innerer Medizin" befasste.
    Heilkräuter heute wieder besonders gefragt
    Von der Klostermedizin blieb lediglich die Pflanzenheilkunde. Hier haben die Mönche und Nonnen tatsächlich viel geleistet. In den Klostergärten kultivierten und studierten sie die aus der Antike bekannten und auch neue einheimische Heilkräuter: heute fast Vergessene wie Andorn - übrigens Arzneipflanze des Jahres 2018 - Beinwell, Mönchspfeffer oder Mariendistel, aber auch altbekannte wie Baldrian, Ringelblume, Lavendel oder Melisse.
    Die Heilkräuter der Klostermedizin sind heute wieder besonders gefragt. Deshalb sollte man genau hinschauen, "was dran ist" an den Behauptungen über die Wirkungen. Das tut der Arzneipflanzenexperte Professor Matthias Melzig von der FU Berlin.
    "Es gibt genug Fälle, wo nix dran ist, sondern wo man eher sagt, das ist stark giftig, ein Beispiel sind die Kreuzkräuter, die man früher bei Diabetes eingesetzt hat, die dürfen nicht mehr benutzt werden, weil da Alkaloide drin sind, die stark leberschädigend sind und Tumore auslösen können, und auf der anderen Seite hat man eben so etwas, wie wir bei der Melisse hatten, dass das tatsächlich eine Arzneipflanze ist, die virusstatisch wirkt. Die wässrigen Extrakte aus der Droge, die haben eine erst in jüngster Zeit nachgewiesene antivirale Wirkung."
    Klostermedizin hat es schwer in der heutigen Naturheilkunde
    Es gibt hunderte Heilpflanzen-Rezepturen der Klostermedizin, zum Beispiel im "Lorscher Arzneibuch" aus dem 8. Jahrhundert und natürlich in den Schriften der Hildegard von Bingen aus dem 12. Jahrhundert. Seit 1999 werden sie gesammelt und ausgewertet von einer speziellen Forschergruppe am Institut für Geschichte der Medizin in Würzburg.
    Auch Professor Bernhard Uehleke ist hier Mitglied und außerdem Arzt für Naturheilkunde in Berlin. Er nennt die Klostermedizin einen wichtigen Baustein der "Traditionellen europäischen Medizin", die es allerdings etwas schwer hat angesichts der Dominanz chinesischer oder Ayurvedischer Lehren in der heutigen Naturheilkunde.
    "Da wundere ich mich aber eben doch, dass viele Leute so nach diesen asiatischen Medizinsystemen schauen und nicht nur die Akupunktur - was ja ein schönes Verfahren bei Schmerztherapie ist - übernehmen, sondern wirklich da auch Kräuter, und ich finde, da muss man auch ein bisschen kritisch und zurückhaltend sein. Und da kann man dann mal gucken, ob vielleicht dadurch, dass ein europäisches Kraut nicht mehr so in ist oder in war oder vergessen wurde, man dabei vielleicht auch Indikationen übersehen hatte, die vielleicht neuerdings wieder zu erforschen wären."
    Im Übrigen, so Bernhard Uehleke, sollte man die "Klostermedizin" heute auch nicht nur auf Pflanzenheilkunde reduzieren
    "Wir wollen ja heute, in Deutschland zumindest, nicht den Glauben, den christlichen, in die Medizin allzu sehr reinkommen lassen, aber Sachen wie Meditation, so was gab's natürlich schon immer auch in der alten Klostermedizin, und das Fasten hatte vermutlich doch auch gewaltigen medizinischen Nutzen, also da gibt es schon eine ganze ganze Menge mehr noch über Kräuter hinaus."