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Luftröhrenschnitt

Der Luftröhrenschnitt ist eine von mehreren Methoden, einen Patienten vor dem Ersticken zu bewahren. Doch nur geschultes Personal sollte ihn im Notfall durchführen.

Von Mirko Smiljanic | 29.08.2017
    Skalpell vor dem Hintergrund weiterer Operationswerkzeuge
    Mit einem Skalpell wird der Luftröhrenschnitt durchgeführt. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Hamburg, Notfalleinsatz der Berufsfeuerwehr. Eine etwa 20-jährige sitzt auf einer Parkbank an der Binnenalster und ringt nach Luft. Neben der jungen Frau finden die Rettungssanitäter eine Dose Coca-Cola, was sie blitzschnell schließen lässt: Eine Wespe hat sich erst in die Dose und dann in den Mund verirrt, wo sie zugestochen und eine allergische Reaktion ausgelöst hat. Zunge und obere Luftröhre sind tatsächlich stark geschwollen.
    Es besteht akute Lebensgefahr, die Patientin droht zu ersticken. Rettung bieten gleich mehrere Methoden. Unter anderem der Luftröhrenschnitt, bei dem unterhalb des geschwollenen Bereiches die Luftröhre mit einem Skalpell geöffnet wird, durch den die Patientin dann mit Sauerstoff versorgt wird. Das Verfahren funktioniert, allerdings sollte es nur geschultes Personal anwenden. Niemals Laien.
    Wie und wann der Luftröhrenschnitt angewandt wird, lernen Sanitäter im Institut für Notfallmedizin und Rettungswesen der Berufsfeuerwehr Düsseldorf. Sie lernen es nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch an Puppen mit allen anatomischen Details. Vor der ersten Übungseinheit bringt Andreas Becht, Notarzt und Dozent am Institut für Notfallmedizin, das Grundproblem beim Luftröhrenschnitt so auf den Punkt:
    "Wenn man es zum richtigen Zeitpunkt richtig macht, eine gute Idee; wenn man es zum falschen Zeitpunkt oder falsch macht, keine gute Idee."
    Luftröhrenschnitt kann Leben retten
    Der Luftröhrenschnitt - Mediziner sprechen auch von Koniotomie – kann Leben retten, falsch angewandt aber auch sehr großen Schaden anrichten.
    In einem ersten Schritt muss der Sanitäter klären, wo genau die Luftröhre verschlossen ist. Eine Koniotomie ist nur möglich, so Becht, "wenn die Verlegung des Atemweges oberhalb der Stelle ist, wo wir dieses Loch setzen werden. Und dieses Loch setzen wir kurz unterhalb der Stelle, wo man den Kehlkopf gut tasten kann, wo der Adamsapfel ist, etwa anderthalb, zwei Zentimeter unterhalb dieser Stelle wird das Loch gesetzt."
    Klingt einfach, ist es aber nicht. Der Patient oder die Patientin drohen zu ersticken, stehen also unter massivem Stress. Dieser Stress überträgt sich teilweise auf die Rettungskräfte. Schon die Suche nach dem richtigen Schnittpunkt kann schwierig sein, erklärt Nik Bongartz, Ausbilder am Institut für Notfallmedizin und Rettungswesen Düsseldorf:
    "Die Stelle befindet sich zwischen Schild- und Ringknorpel. Der Schildknorpel ist, wenn ich hier den Hals entlangstreiche die obere Knorpelstruktur des Kehlkopfes, das ist ein dreieckig geformter Knorpel oben mit einer Einkerbung. Diesen Knorpel streiche ich entlang, bis ich an dessen unterem Ende komme. Darunter schließt sich der sogenannte Ringknorpel an, ein breiter, ringförmiger Knorpel. Und zwischen diesen beiden Knorpeln ist ein recht weiches Gewebe, da ist ein Abstand. Dieses Gewebe würde eröffnet werden. Und in diesem Bereich würde man dann die Koniotomie durchführen."
    Bongartz zeigt einem Kursteilnehmer, wie es geht: "Also erst einmal bereitest du dir die Stelle dementsprechend vor, tastest dir die Stelle schon einmal an zwischen Schild- und Ringknorpel. Geh' mal hier runter, merkst du hier diese Grube? Wir müssen natürlich jetzt noch desinfizieren, wichtig ist natürlich, dass du diesen Bereich nicht mehr berührst, wenn desinfiziert ist. Jetzt packt man das Skalpell aus, jetzt einen vorsichtigen Schnitt senkrecht setzen, dass nur die obere Hautschicht eröffnet wird."
    Vorsichtig spreizt Nik Bongartz den Schnitt mit einer Klemme. "Hier drunter kannst du jetzt das Ligamentum sehen, das heißt, das weiche Gewebe zwischen Schild- und Ringknochen. Und dieses Gewebe würde jetzt unter der Einspreizung vorsichtig durchtrennt werden mit dem Skalpell."
    Damit ist der Luftröhrenschnitt gesetzt. Vorsichtig führt Nik Bongartz als nächsten Schritt einen Tubus ein, durch den der Patient aus eigener Kraft atmet. Ist das nicht möglich, kann er beatmet werden. Alternativ zum Schnitt lässt sich die Luftröhre auch mit einer Nadel öffnen.
    "Im Rettungsdienst führen wir in zwei verschiedenen Größen für Kinder und Erwachsene, aber noch ein sogenanntes Koniotomieset mit. Da wird nicht geschnitten, sondern da wird stattdessen einfach eine dicke Nadel, eine angespitzte Nadel an die entsprechende Stelle zwischen Ring- und Schildknorpel reingesteckt."
    Kugelschreiber reicht dafür nicht
    Diese Methode hat durch einen Münsteraner Tatort breite Bekanntheit erlangt: Im Sommer 2015 rettete Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne seinen Kollegen Frank Thiel mit einem Kugelschreiber vor dem Ersticken. Ein spektakulärer Einsatz, allerdings auch ein ziemlich unrealistischer, sagt Nik Bongartz:
    "Es ist ein Trugschluss, dass eine Kugelschreiberöffnung mit zwei Millimeter Durchmesser ausreicht, dass der Patient ausreichend dadurch Luft bekommt. Vom Durchmesser ist das viel zu wenig. Jeder kann das ausprobieren, indem er ein Ende vom Kugelschreiber in den Mund nimmt, bitte nicht verschlucken. Und dann einfach mal versucht, durch die Kugelschreibermine zu atmen für zehn Minuten oder für eine noch längere Zeit."
    Es funktioniert nicht. Auch das ist ein Grund, warum der Luftröhrenschnitt ausschließlich in die Hände von Fachleuten gehört. Weitere Risiken sind unbeabsichtigte Schnitte durch den Kehlkopf, bei denen Nerven durchtrennt werden.
    "Direkt hinter unserer Luftröhre liegt die Speiseröhre, es kann also sein, wenn ich da zu tief gehe, dass ich durch die Luftröhre durchsteche und in die Speiseröhre komme und dann nicht die Lunge beatme, was ich eigentlich möchte, sondern den Magen beatme. Und das hat für den Patienten schwere Folgen, ist unter Umständen, wenn es nicht rechtzeitig erkannt wird, ein Todesurteil."
    Der Notfalleinsatz an Hamburgs Binnenalster verlief glücklicherweise glimpflich. Der jungen Frau hat tatsächlich eine Wespe in die Zunge gestochen mit der Folge starker Schwellungen des Rachens. Ein Luftröhrenschnitt war aber nicht nötig. Das Rettungsteam konnte die Frau intubieren und anschließend konventionell beatmen.