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Radiolexikon Gesundheit: O- und X-Beine

Tagelang saßen sie im Sattel: Kavalleristen und Cowboys. Hatten sie deshalb säbelförmig gebogene O-Beine, weil sie ständig den Pferdebauch umschlangen? Nicht ganz. Da sie dabei über lange Zeit die Muskeln auf der Innenseite ihrer Beine stärker nutzten, als deren Gegenspieler, verformten sich die Gelenke. Ein Hobbyreiter ist weniger gefährdet.

Von Cajo Kutzbach: | 06.11.2007
    Das Gleiche gilt für Fußballer, vor allem, wenn sie jung mit dem Spielen anfangen. Als es noch keine Vorbeugung gegen Rachitis mit Vitamin D gab, führte auch diese Krankheit zu Knochen, die nicht hart genug wurden und sich unter der Last des Körpers zu O- oder X-Beinen verbogen. Auch Kinderlähmung kann sie auslösen. Ein weiterer Grund für O- oder X-Beine kann eine Fehlstellung des Fußes sein; ein Knick-Senkfuß etwa führt zu X-Beinen.

    Da viele Babys zunächst O-Beine haben, sich das aber bei den meisten Menschen im Laufe der Zeit gibt, war man früher der Meinung: "Das wächst sich aus!" Heute weiß man, dass der Kinderarzt bei Vorsorgeuntersuchungen beim Kleinkind durchaus auch auf die Beine schauen sollte, denn wenn die sich nicht richtig entwickeln, dann sind während des Wachstums Korrekturen einfacher, als beim Erwachsenen, erklärt Robert Rödl, Oberarzt an der Orthopädischen Klinik in Münster:

    "Man kann die Beinlängendifferenz sehr präzise vorhersagen, kann dann einen Behandlungsplan machen, der dann auch schon im Kindesalter beginnen muss, denn die Beinlängendifferenz wirkt ja fortwährend auch auf das wachsende Skelett mit den ungleich langen Beinen. Da muss die Behandlung sehr früh beginnen, teilweise schon im dritten Lebensjahr, um überhaupt zum Beispiel einen Beinlängenunterschied von über 20 cm überhaupt ausgleichen zu können. Dieses Projekt ist, wenn der Patient sich erst im Erwachsenenalter vorstellt, eigentlich nicht mehr realisierbar, weil der Behandlungszeitraum dann im Bereich von Jahren liegt, weil der Knochen im Erwachsenenalter schlechter heilt, als im Kindesalter."

    Neben O- und X-Beinen gehören unterschiedlich lange oder verdrehte Beine zu den Fehlstellungen, die man korrigieren muss. Da die Beine des ganze Gewicht des Körpers tragen, sind ihre Gelenke besonders beansprucht. Eine Fehlstellung kann zudem Becken und Wirbelsäule beeinträchtigen. Vor allem Mädchen leiden darunter, dass O- und X-Beine als hässlich gelten.

    Fehlstellungen zu korrigieren hat aber wenig mit Eitelkeit zu tun, sondern mit Vorbeugung, weil sie früher oder später Schmerzen verursachen, erklärt Dr. Gerhard Suger von der Chirurgisch-Orthopädischen Klinik in Ulm:

    "Das Problem ist die Arthrose. Und die Arthrose ist eigentlich ein Endpunkt zum Beispiel einer Fehlstellung. Und da ist typischer Weise die Arthrose als Folge einer O-Bein-Fehlstellung, weil das innere Gelenk nutzt sich natürlich schneller ab, ist häufiger mehr betroffen, als der äußere Teil des Kniegelenks, so dass die meisten Leute kommen mit einem O-Bein und dann tut es ihnen weh."

    Bei der Arthrose werden zunächst die puffernden Knorpel zwischen den Knochen, dann die Knochen selbst abgebaut, was Bewegungen sehr schmerzhaft macht. Arthrose verläuft schleichend und kündigt sich meist schon früher an.

    "Da geht der Meniskus kaputt. Das geht meistens ein paar Jahre voraus. Der macht immer wieder Ärger und dann sieht man schon: "Aha, der Knorpel geht kaputt!" Dann nimmt die Fehlstellung zu, je mehr der Knorpel abgetragen wird, oder verschwindet, desto mehr nimmt die O-Bein-Stellung zu über die Jahre und irgend wann ist auf der Innenseite Knochen auf Knochen. Und dann - abhängig vom Alter - muss man eingreifen."

    Da das Kind noch wächst, lassen sich X-Beine bei Kleinkindern teilweise durch Schienen korrigieren. Bei älteren wird man versuchen durch eine Korrektur der Fehlstellung das Gelenk zu entlasten und so viel wie möglich zu erhalten. Bei alten Patienten kann es aber auch sinnvoll sein eine Prothese einzusetzen.

    Am Anfang jeder Behandlung steht eine genaue Untersuchung beim Orthopäden, zu deutsch dem "Richtfuß". Bildgebende Verfahren, also Röntgen, Ultraschall oder auch Computertomographie helfen zu klären, wie stark die Gelenke von der idealen Stellung abweichen, erklärt Peter Keppler, Oberarzt in der chirurgischen Universitätsklinik in Ulm:

    "Es gibt Normwerte, wobei die Normwerte natürlich eine gewisse Spanne haben. Und natürlich bei einer Deformität nach einem Unfall, richtet man sich natürlich primär nach der gesunden Extremität, weil man möchte ja nicht lauter Normbeine produzieren, sondern der Patient möchte ja hinterher wieder das gleiche Bein haben, wie auf der Gegenseite."

    Die Behandlungsweise hängt von den Ursachen der Fehlstellung ab. Es gibt angeborene, aber auch erworbene Fehlstellungen, etwa durch einseitige Belastung - etwa Reiten und Fußball - durch Krankheit oder Unfall:

    "Wenn ein Knochen krumm ist, dann kann ich Krankengymnastik und Sport machen, so viel ich möchte, der wird wahrscheinlich nicht grad werden. Dann gibt's eine Deformität, ein O-Bein, die auf Grund von einer Laxität der Bänder, also der Außenbänder zum Beispiel, oder der Muskulatur am Oberschenkel beruht und hier kann man sicher durch gezieltes Training jetzt so ein O-Bein, die Progredienz zumindest aufhalten vorübergehend. Das ist sicher nicht auf Dauer."

    Deshalb sollten Sportler immer auch die Gegenspieler der beanspruchten Muskeln trainieren. Vor allem jugendliche Fußballer ersparen sich durch richtiges Training - auch der weniger benötigten Muskeln - O-Beine und Beschwerden im Alter.

    Wenn das Leiden so stark wird, dass eine Operation nötig wird, genügt es manchmal nur einen Keil aus dem Knochen zu sägen, so dass der Winkel wieder stimmt. Gilt es kompliziertere Drehungen, Verwachsungen, Unfallfolgen oder unterschiedlich lange Beine zu korrigieren, dann gibt es verschiedene Verfahren bis hin zum verstellbaren Gerüst außen um das Bein herum, das über Schrauben mit dem Knochen verbunden wird und ihn im Laufe der Zeit zwingt in der gewünschten Richtung zu wachsen. Damit sind selbst dann Korrekturen möglich, wenn die Fehlstellung einen Winkel bis zu 40 Grad hat. Robert Rödl:

    "Das äußere Spanngerät wird natürlich für die komplexen Sachen genommen. Es ist das mächtigste Instrument, was wir im Werkzeugkoffer haben, um so etwas auszugleichen. Entsprechend ist es natürlich auch etwas komplizierter, hat aber die Möglichkeit in allen Dimensionen zu korrigieren.""

    Es ist lästig so ein Gerüst am Bein zu tragen, bis der Knochen nachgewachsen ist. Deshalb verlegt ein neueres Verfahren diese Korrektureinrichtung in den Knochen hinein, so ähnlich, wie man Knochenbrüche mit dem Marknagel schient, den man sich als eine Art Verbindungsdübel im Inneren des Knochens vorstellen kann. Prof. Dr. Rainer Baumgart, Leiter des Zentrum für Extremitäten-Chirurgie in München beschreibt, wie man damit Fehlstellungen, ja sogar ein zehn Zentimeter zu kurzes Bein korrigieren kann:

    "Die Marknägel haben eine sehr komplizierte Technik im Inneren. Das sind Motoren, die von Außen ohne dass eine Kabelverbindung erforderlich ist, mit Energie versorgt werden. Das ist durch Auflage einer Antenne auf die Haut möglich und kann so Energie in den Marknagel einkoppeln. Der Motor dreht sich ganz gezielt und kann damit eine Verlängerung der verkürzten Extremität bewirken. Es entsteht zunächst ein Spalt, der dann aber im Laufe der Zeit mit dem eigenen Körpergewebe aufgefüllt wird, so dass kein Fremdmaterial erforderlich ist. Es ist also eine ganz biologische Methode, so dass der Knochen, wie beim wachsenden Kind auch, größer wird. Und das ist mit diesen neuen Methoden sehr elegant möglich."

    Durch Navigationssysteme wissen Chirurgen heute bei Untersuchungen und bei der Operation, wo ihre Instrumente grade im Körper des Patienten arbeiten, aber auch, ob der für die Korrektur geplante Winkel stimmt. Dadurch wird eine Genauigkeit erreicht, die früher unmöglich war. Die von der Krankenkasse in der Regel bezahlte Operation ist damit zwar aufwändiger, aber weil damit der Körper selbst die nötige Korrektur ausführt, meist auch nachhaltiger als eine Prothese mit begrenzter Haltbarkeit. In jedem Fall verschiebt sie die Arthrose bis ins hohe Alter.