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Radiolexikon Gesundheit: Übelkeit und Erbrechen

Das Gesicht wird blass, die Beine wackelig, der Magen rebelliert, und dann kommt im Schwall raus, was eigentlich drin bleiben sollte. Den Rest kennt jeder aus eigener Erfahrung: Übelkeit und Erbrechen.

Von Mirko Smiljanic | 05.04.2011
    Was für ein schöner Tag! Eine leichte Brise weht vom Ijsselmeer rüber in den Hafen, warm scheint die Sonne auf weiße Jachten, die gut vertäut an den Stegen liegen. Ein Hauch von Müßiggang liegt in der Luft. Wer hat bei einer solchen Szene Unangenehmes im Sinn? Niemand, ... oder sagen wir besser: fast niemand; Ulrich Hergenhahn, passionierter Segler seit vielen Jahren, zählt zu den Ausnahmen.

    "Ich war in Holland segeln mit einem Plattbodenschiff, also ein großes 100-Tonnen-20-Meter-Schiff, wo 20 bis 30 Leute draufpassen, musste dann unter Deck, um die Küche zu machen, um Suppe heiß zu machen für die anderen Leute halt, und während ich da stand, wurde mir schlecht."

    Und zwar ohne Vorwarnung und ziemlich fürchterlich. Ulrich Hergenhahn, der mit stabilem Magen schon in vielen Revieren gesegelt ist, fühlte sich

    "krank im wahrsten Sinne des Wortes, man will sich übergeben, man hat ein schlechtes Gefühl im Magen, und die Sinne schwinden halt dadurch, dass man sich immer mehr auf seinen Magen konzentriert, schlecht und krank, kann man so bezeichnen!"

    Warum ist das eigentlich so? Was genau passiert im Körper bei Übelkeit und Erbrechen? Welche Instanz steuert, dass der Magen begleitet von äußerst unguten Gefühlen sich leert? Fragen an Dr. Jessica Mertens, Oberärztin in der Abteilung für Gastroenterologie am Universitätsklinikum zu Köln. Sie stellt zunächst einmal fest, dass Übelkeit und Erbrechen mehrere Ursachen haben kann.

    "Das eine ist eine Schutzfunktion für den Körper, nach Aufnahme von Schadstoffen, zum Beispiel Giftstoffe, es kann aber auch übermäßiger Alkohol sein, was dann zu Übelkeit und auch Erbrechen führt."

    Alter Fisch, salmonellenverseuchte Lebensmittel – und schon geht's los. Übelkeit und Erbrechen entfernen Giftstoffe umgehend aus dem Körper. Dies ist die gute Variante des unguten Gefühls. Die Seekrankheit, die übrigens auch im Flugzeug und im Auto auftreten kann, zählt nicht dazu. Das Essen war frisch und frei von Keimen, trotzdem will es raus. Die Ursache dafür ist ein Datenkonflikt zwischen dem Gleichgewichtsorgan im Ohr und dem, was das Auge wahrnimmt.

    "Zum Beispiel auf einem Schiff durch das ewige Geschaukel, durch die Wellen, durch den Seegang wird das Gleichgewichtsorgan gereizt, aber die optischen Reize, was man mit dem Auge wahrnimmt, die stimmen nicht mit dem überein, was das Gleichgewichtsorgan meldet. Und dieser Konflikt führt dann zur Reizung des Brechzentrums."

    Klingt brachial, aber das "Brechzentrum" gibt es wirklich. Es sitzt im Gehirn und steuert Übelkeit und Erbrechen äußerst effizient binnen weniger Sekunden.

    "Das ist also nicht ein kleines Organ, sondern das ist eine Zusammenschaltung von verschiedenen Zentren, die man dann Brechzentrum nennt, und dieses Brechzentrum kann durch verschiedene Reize gereizt werden, unter anderem auch, wenn man etwas Schlechtes isst, oder anderes ins Blut übergeht und dieses Zentrum gereizt wird. Und dieses Zentrum koordiniert dann den sogenannten Reflex, also das Erbrechen ist ein Reflex, bei dem es dann zum schwallartigen Ausstoß des Mageninhaltes kommt."

    Das Brechzentrum lässt sich vergleichsweise einfach aktivieren. Zu den Reizen zählen der Datenkonflikt beim Schaukeln von Schiffen, Giftstoffe im Essen, zu viel Alkohol, ein übermäßig gedehnter Magen, bis hin zur Psyche des Menschen...

    "... sodass bei einem bestimmten Anblick von gewisser Speise oder wenn es ekelig aussieht, alleine schon das zum Reizen des Brechzentrums führen kann."

    Vom Geruchssinn ganz zu schweigen. Der Geruch fauler Eier zum Beispiel aktiviert das Brechzentrum vieler Menschen in kürzester Zeit, manchem wird alleine schon beim Hören dieser Sätze mulmig. Selbst Verliebtsein, sagt Dr. Jessica Mertens, kann das Brechzentrum in Gang setzen. Außerdem leiden zwei Drittel aller Frauen in den ersten drei Monaten ihrer Schwangerschaft an Übelkeit. Auslöser sind hormonelle Umstellungen, die den fein austarierten Mechanismus des Erbrechens in Gang setzen.

    "Das Brechzentrum ist mit vielerlei anderen Systemen verschaltet, unter anderem auch mit dem Parasympathischen Nervensystem, und das ist dafür verantwortlich, dass es dann zum Speichelfluss kommt, dass die Pupillen sich weiten, dass man blass wird, dass man Schweißausbrüche bekommt, und wenn dieser Reflex in Gang gesetzt wird, dann wird all das angekurbelt, dann auch die ganze Muskulatur, die notwendig ist, um das Essen wieder raus zu bringen."

    Übelkeit und Erbrechen sind keine Krankheiten, sondern Begleitsymptome. Häufig sind die Ursachen harmlos – siehe Seekrankheit – andere dagegen muss man ernst nehmen – siehe Lebensmittelvergiftung. Alle Alarmglocken schrillen, wenn ungewöhnliche Begleitumstände hinzukommen.

    "Also jemand hat Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Bluterbrechen oder so etwas, dann kann man auch schon mal eine Krebserkrankung vermuten"

    In solchen Fällen und wenn die Übelkeit länger anhält, ist ein Besuch beim Arzt unumgänglich. In allen andere Fällen hilft nur eines: abwarten und die Folgen des Erbrechen minimieren.

    "Das heißt, man verliert relativ viel Flüssigkeit, und wichtig ist es in solchen Situationen, möglichst Flüssigkeit zu sich zu nehmen, um einfach diese Folgen zu vermeiden. Ansonsten hängt es natürlich sehr davon ab, was die Ursachen des Erbrechens sind, ob man da weitere Maßnahmen ergreifen muss oder nicht. Wenn es eine Seekrankheit ist, dann ist, sobald man vom Schiff runter ist, wie Sache auch wieder vorbei."

    Was aber schon mal ein paar Stunden dauern kann ... Aber auch für diese Leidenszeit gibt es Tricks und Tipps. Zunächst einmal sollten Seekranke nicht unter Deck bleiben. Sie brauchen frische Luft und einen freien Blick auf den Horizont.

    "Man kann sich dann in der Mitte vom Schiff am besten auf den Boden legen, da sind diese Ausprägungen der Schaukelbewegungen am geringsten, man kann auch über Deck gehen und einen Punkt möglichst weit am Horizont fixieren, um das zu unterdrücken. Und wenn es dann ganz schlimm ist, und man weiß, dass man bei den kleinsten Veränderungen mit so was reagiert, dann kann man im Vorhinein auch Medikamente einnehmen, die das verhindern."

    Medikamente gegen Übelkeit helfen recht gut, haben allerdings auch Nebenwirkungen. Einige machen müde, sind für aktive Segler also eher ungeeignet. Medizinisch fragwürdig sind die vielen Hausmittelchen; ob sie die Übelkeit erfolgreich bekämpfen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Vorher viel oder wenig zu essen, spielt übrigens keine Rolle: Das Brechzentrum arbeitet auch bei leerem Magen. Wichtig, sagt Segler Ulrich Hergenhahn, sei etwas anderes: Man sollte die Übelkeit einfach akzeptieren – was manchem nicht immer gelingt.

    "Die Hälfte gibt es offen zu, so wie ich auch, ein Viertel leugnet es, wobei ich das so recht nicht glaube, und ein Viertel, da habe ich keine Informationen drüber oder die reden nicht gerne drüber. Wenn man die Leute länger kennt und mit ihnen redet, kenne ich keinen, der noch nicht seekrank war. Es gibt zwar viele, die es leugnen, aber letztendlich auch wenn man lange schon segelt, irgendwann trifft es jeden!"

    Und weil das so ist, fügt er sich in sein Schicksal und macht einfach gar nichts, ...

    "Weder, dass ich vorher viel oder wenig esse, sondern ich verhalte mich ganz normal, wenn man denn mal brechen muss, dann ist es halt so, und das Leben geht auch weiter."