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Radiolexikon: Makuladegeneration

Die Makuladegeneration ist die Hauptursache schwerer Sehbehinderung bei Menschen über 60 Jahren. Denn theoretisch entwickelt jeder Mensch diese Krankheit, wenn er nur alt genug wird. Betroffen ist dabei die Netzhautmitte. Sie vermittelt beim gesunden Auge scharfes und farbiges Sehen.

Von Anna-Lena Dohrmann | 25.06.2013
    Frank Holz:
    "Noch mal ganz nach links unten schauen… Jetzt ist diese optimale Injektionsstelle frei und gut zugänglich."

    Dann sticht Prof Frank Holz, Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn, eine kleine feine Spritze direkt in das Auge von Bernhard Maslowski. Nur ein paar Millimeter tief ist der Einstich und nur ein paar Milligramm eines speziellen Medikamentes werden in den Glaskörper gespritzt.
    Frank Holz:
    "Und jetzt kommt die Spritze… Und das war es schon – Medikament ist im Auge."

    Die Behandlung selbst dauert nicht mal eine Minute. Die Vorbereitung ist aufwendiger, als der eigentliche Stich: Das Auge wird betäubt und desinfiziert, das Gesicht so abgedeckt, dass nur noch das Auge frei bleibt. Alles muss steril sein – selbst die Wimpern sind unter dem blauen Tuch weggeklebt. Bernhard Maslowski leidet an altersabhängiger Makuladegeneration. Dass er sich mal eine Spritze ins Auge geben lässt, hätte er selber nicht gedacht.
    Bernhard Maslowski:
    "Ja, also ich habe vorher gedacht: Das würde ich niemals zulassen, dass mir einer in Auge eine Nadel reinsticht. Das war für mich unvorstellbar. Aber was macht man in der Not, dann geht man da drüber weg."

    Die erste Spritze bekam er im Oktober 2010. Heute ist es seine Zwölfte. Bei der altersabhängigen Makuladegeneration, kurz AMD, ist ein spezieller Teil der Netzhaut betroffen – nämlich die Makula lutea, der gelbe Fleck. Und dieser Fleck sorgt dafür, dass wir scharf sehen können. Ärzte unterscheiden zwischen einer trockenen und feuchten Form der AMD. Bernhard Maslowski leidet an der sogenannten feuchten Form.
    Frank Holz:
    "Die Netzhaut ist extrem stoffwechselaktiv und dabei entstehen quasi Müllstoffe, die nicht richtig abgebaut und abtransportiert werden. Die Ernährung ist durch diese Ablagerungen, die Drusen, beeinträchtigt. Und dann gibt es dieses sogenannte feuchte Stadium, dann wachsen Gefäße in die Netzhaut ein, folgen quasi einem Hilferuf der Netzhaut besser ernährt werden zu wollen. Oder es kommt unmittelbar zum Zelluntergang, zum Zelltod und das wäre dann die trockene Spätform."

    Der Beginn der Krankheit – die sogenannte Frühform – ist immer trocken. In diesem Stadium entstehen die Ablagerungen unter der Netzhaut. Bei welchen Patienten sich dann eine feuchte und bei welchen eine trockene Spätform entwickelt, ist bisher unklar. Fest steht jedoch, dass genetische Faktoren bei der Entwicklung der Krankheit eine wichtige Rolle spielen.

    Die feuchte Form kommt viel seltener vor als die trockene und verläuft meist schneller. Doch der Vorteil ist: Sie ist im Gegensatz zur trockenen, sehr gut behandelbar!

    Frank Holz:
    "Diese über Mini-Spritzen ins Auge gebrachten Medikamente bewirken, dass weniger Flüssigkeit austritt, aus diesen krankhaften Gefäßen und in der Folge nimmt die Schwellung ab. Es gibt auch einen Effekt auf das Gefäßwachstum. Allerdings: Meistens gehen einmal bestehende Gefäße nicht zurück unter der Therapie, sondern werden einfach dichter."

    Deshalb ist es auch so wichtig, rechtzeitig mit der Therapie anzufangen. Zur Auswahl stehen zwei Medikamente, die seit Jahren eingesetzt werden: Lucentis und Avastin. Lucentis ist offiziell zur Behandlung der AMD zugelassen, aber sehr teuer. Avastin hingegen muss im sogenannten Off-label-use angewendet werden, also außerhalb der Zulassung. Es wurde ursprünglich als Krebsmedikament entwickelt, ist aber circa 20-mal günstiger. Beide Medikamente sind gleich wirksam, so das Ergebnis einer Vergleichsstudie.

    Erst einmal muss die Krankheit jedoch erkannt werden. Bei Bernhard Maslowski traten die ersten Symptome vor über 15 Jahren auf:

    Bernhard Maslowski:
    "Eigentlich wollte ich ja nur eine Brille haben. Ich merkte das ja eigentlich gar nicht. Es gab schon so, dass ich die Linien nicht ganz gerade sah, aber ich habe das nicht so ernst genommen."

    Das ist typisch für eine beginnende Makuladegeneration. Oft fangen die Veränderungen erst in einem Auge an – solange gleicht das andere Auge vieles aus. Wer mit einem zugehaltenen Auge, krumme Linien sieht – zum Beispiel schiefe Fensterrahmen oder Badezimmerkacheln – sollte zum Arzt gehen. Denn das ist ein früher Hinweis für eine feuchte Makuladegeneration.

    Frank Holz:
    "Bei der feuchten Form kommt es zu Einlagerungen von Flüssigkeit, zu einem Ödem der Netzhaut. Und das führt dazu, dass die lichtempfindlichen Zellen nicht mehr gerade orientiert sind und nicht mehr in einer Ebene aufliegen. Und das ist die Erklärung für diese Verzerrung."

    Durch die Spritze nimmt die Schwellung ab und das Ödem bildet sich zurück. Bernhard Maslowski blättert in seinen Unterlagen und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Schnittbild seiner Netzhaut. Zu erkennen sind die einzelnen Schichten der Netzhaut:

    Bernhard Maslowski:
    "Dann ist das das rechte Auge. Wie das erste Mal anfing, war das hier diese große Blase."

    In dieser Blase hat sich Flüssigkeit gesammelt, die aus den neu eingewachsenen Gefäßen gekommen ist.
    Bernhard Maslowski:
    "Nachdem das erste Mal gespritzt wurde, ist es so geworden. Und ungefähr den Stand habe ich jetzt auch nach zwei Jahren."

    Die weiße Blase ist auf den Schnittbildern nicht mehr zu erkennen.

    Bernhard Maslowski:
    "Zwischendurch immer mal schlechter, und immer wieder besser, da bin ich manchmal gespritzt worden und manchmal nicht."

    Ohne diese Therapie wäre sein rechtes Auge vermutliche so wie sein linkes. Dort ist Krankheit früher ausgebrochen und die Makula bereits vernarbt. Doch dank seines rechten Auges kann sich der 74-Jährige noch gut im Alltag zurechtfinden.

    Bernhard Maslowski:
    "Mein Gesichtsfeld ist so, dass ich normal sehe, ich sehe nur die Feinheiten nicht. Also ich sehe die Gesichter auch nicht ganz so, denn wenn ich die Feinheiten nicht sehe, kann ich Gesichter ja auch schlecht erkennen. Das ist eben mein Hauptproblem."

    Und selbst das trägt er mit Fassung – und Humor. Denn manchmal erlebt er abstruse Geschichten:

    Bernhard Maslowski:
    "Und dann sah ich eine alte Bekannte, die kam den Berg da hoch auf der anderen Seite und ich bin angehalten und habe gefragt, soll ich dich nicht bringen? Jaja sagte sie. Dann ist sie rumgegangen, eingestiegen und dann merkte ich erst, dass sie das gar nicht war. Das war eine ganz andere Frau. Aber so was passiert dann schon mal."

    Gesichter nicht mehr zu erkennen, ist ein Hauptsymptom der Krankheit – sowohl der feuchten als auch der trockenen Form. Denn solche Feinheiten nimmt nur die Stelle des schärfsten Sehens im Zentrum der Netzhaut wahr. Und genau diese Stelle geht zugrunde. Doch die Krankheit führt nicht zur Erblindung. Bewegungen und Umrisse können durch äußere Sinneszellen erkannt werden. In einigen Fällen können auch Nahrungsergänzungsmittel helfen, die Sehkraft zu verbessern:

    Frank Holz:
    "Es gibt ganz klare Hinweise, dass Vitamin E, Vitamin C, Zink, hilfreich sein können bei bestimmten Frühstadien der Erkrankung. Das heißt: Nicht generell irgendwelche Supplemente einnehmen, sondern der Augenarzt weiß genau, wann es wirklich Sinn macht."

    Außerdem gibt es Überlegungen, ob gelbe Pigmente, die zum Beispiel in Grünkohl und Spinat enthalten sind, zur Therapie eingesetzt werden können. Denn diese Pigmente kommen natürlicherweise in der Makula vor und schützen sie. Verlässliche Daten gibt es bisher allerdings nicht. Generell ist für die Augen ein gesunder Lebensstil wichtig. Dazu gehört: Viel Gemüse essen, nicht rauchen und seinen Bluthochdruck im Griff haben. Denn Prävention ist immer noch die beste Therapie.