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Radiolexikon: Nachtblindheit

Nachtblindheit macht sich vor allem in der Dämmerung und im Dunkeln bemerkbar. Das Auge passt sich dann nicht mehr an die schlechten Lichtverhältnisse an. Oft wird das Symptom durch andere Krankheiten ausgelöst.

Von Mirko Smiljanic | 01.02.2011
    Ende Oktober, irgendwo auf der Landstraße. Es dämmert, Nieselregen lässt den Asphalt fast verschwinden. Mit moderaten 50 Kilometern pro Stunde nähert sich der Wagen einer weiten Rechtskurve. Kein Problem für den Fahrer – würden ihn nicht wie ein Blitz die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos blenden.

    In letzter Sekunde kann er den Wagen stoppen und einen schweren Unfall vermeiden. Was war geschehen? Hat ihn ein Laserpointer geblendet? Nein! Der Fahrer ist nachtblind.

    "Das hat sich so geäußert, dass ich abends kein Auto mehr fahren konnte, kein Motorrad, kein Fahrrad, weil die Autoscheinwerfer mich grundsätzlich geblendet haben, und die haben so extrem geblendet, dass ich weder daneben noch hinter das Fahrzeug gucken konnte."

    Langsam und allmählich, erzählt der heute 44-Jährige, habe sich die extreme Überempfindlichkeit gegen Licht in der Dämmerung entwickelt. Anfangs konnte er durch Wegschauen den Blendeffekt mildern, später reichte aber schon ein Blick in die Straßenlaterne, um ihn fast blind zu machen. Er recherchierte im Internet und fand Spezialbrillen als angeblich ultimative Lösung für sein Augenproblem.

    "Es gibt diverse dubiose Anbieter, die irgendwelche Brillen da anbieten, die diesen Blendeffekt wegretuschieren wollen, ich habe auch so eine Brille im Auto gehabt, aber die hat vorne und hinten nicht funktioniert."

    Als nichts mehr half, ging er zum Augenarzt. Der diagnostizierte nach einer gründlichen Untersuchung "Nachtblindheit" beziehungsweise "Hemeralopie", ein Begriff, den sein Patient zwar kannte, mit dem er aber nichts anzufangen wusste. Genau genommen ist Nachtblindheit ein Symptom und keine Krankheit.

    Dr. Georg Gerten, Ärztlicher Direktor der Augenklinik Am Neumarkt in Köln:

    "Es gibt also verschiedene Erkrankungen, die zur Nachtblindheit führen können. Das sind in der Regel sogenannte Stäbchen- oder Zapfendystrophien, also Erkrankungen, die die Sehzellen an der Netzhaut betreffen und dort zu einer Degeneration dieser Sehzellen führen. Zapfen sind mehr im Zentrum der Netzhaut, also mehr für das Tagessehen, und die Stäbchen mehr für das Nachtsehen - das ist aber nur ungefähr diese Einteilung - und wenn jetzt vornehmlich Stäbchen betroffen sind, dann kommt es zunächst einmal zu einer Einschränkung des Gesichtsfelds und zu einem schlechten Sehen nachts, das ist aber aller Regel nicht das, wovor die Leute Angst haben müssen"," weil diese Variante der Nachtblindheit sehr selten vorkommt.

    Schlechtes Sehen in der Dämmerung oder im Dunkeln hat in den meisten Fällen andere Ursachen. Zu den häufigsten zählen Probleme an der Hornhaut, ""das heißt, das Auge ist einfach nicht optimal ausgeglichen für die Nacht, und Tag und Nacht sind unterschiedlich! Beim Tagessehen haben wir eine enge Pupille, eine kleine Pupille, es wird nur das Zentrum der Hornhaut genutzt, nachts geht die Pupille auf, wird größer, dann braucht man die gesamte Hornhaut sozusagen, die dann genutzt werden muss, um das wenige Licht zu bündeln, und das ist eben einen optisch sehr viel schwierigerer Vorgang. In diesem Fall kommt es eben darauf an, dass die Hornhaut über die ganze Fläche optimal funktioniert, und da ist es eben so, dass kleine Fehler viel, viel mehr ausmachen als am Tag, und das ist in der Regel das, was wir als Nachtblindheit verstehen."

    Die – das verwundert im ersten Moment – für den Betroffenen subjektiv mit sehr viel Licht einher geht: Er oder sie wird durch vergleichsweise schwache Lichtquellen extrem geblendet.

    "Der Effekt kommt dadurch zustande, weil, wenn man insgesamt schlecht sieht, dann ist auch der Kontrast zwischen 'sehr hell' und 'sehr dunkel' nur schwer zu fassen vom Auge, das heißt, das Auge kann sich nicht mehr so gut auf diese verschiedenen Beleuchtungsstärken einstellen, und dann kommt es eben oft zu einer Blendung, das passt eben auch sehr gut zu Hornhauterkrankungen," die dann auch im Rahmen der Behandlung im Mittelpunkt steht.

    Die Ärzte planen "entweder eine Laserkorrektur der Hornhaut" oder aber, auch das ist eine mögliche Therapie, sie tauschen eine oder beide Augenlinse aus. Weitaus häufiger ist allerdings die Laserkorrektur der Hornhaut. Dabei verändern die Ärzte die Oberfläche der Hornhaut so, "dass auch bei weiter Pupille alle Lichtstrahlen exakt hinten auf der Netzhaut gebündelt werden, durch dieses exakte Bündeln der Lichtstrahlen kommt eben auch nachts ein scharfes Bild zustande."

    Diese Behandlung zählt mittlerweile zu den Routineeingriffen, Nebenwirkungen kommen kaum vor, die Ergebnisse einer einmal behandelten Hornhaut bleiben über Jahre stabil. Nut etwa fünf Prozent aller Patienten, sagt Dr. Georg Gerten, müssen nachgelasert werden.
    Muss die Linse ausgetauscht werden, gehen die Ärzte so vor:

    "Da wird über einen hauchfeinen Tunnelschnitt am Rande der Hornhaut, da geht man rein mit einem Stab, etwa Ultraschall oder Laser wird dazu genutzt, die Linse im Inneren des Auges zu zertrümmern und abzusaugen, wobei wir hier aber darauf achten, dass die Linsenkapsel erhalten bleibt, um dort eine Speziallinse dann einzusetzen, und da gibt es auch schon Speziallinsen, mit denen man arbeiten kann, sogenannte asphärische Linsen, die dann wiederum Hornhautfehler ausgleichen können, womit man auch ein verbessertes Nacht- und Dämmerungssehen erreichen kann."

    Eine weitere Ursache der Nachtblindheit kann der Mangel an Vitamin A sein. Vitamin A spielt eine wichtige Rolle bei der Regeneration des Rhodopsin beziehungsweise des Sehpurpurs; Sehpurpur ist eines der Pigmente in der Retina, mit denen das Auge unter anderem die Stäbchen und Zapfen aktiviert oder deaktiviert. Eine wirksame Vorbeugung gegen Nachtblindheit gibt es nicht, wer glaubt, in der Dämmerung sehr schlecht zu sehen, sollte einen Augenarzt zu Rate ziehen. Dies ist auch sinnvoll, wenn ein naher Verwandter an einer Stäbchendystrophien leidet, also an der echten Nachtblindheit – diese Krankheit ist vererbbar!

    "Kommen Sie bitte mal ein Stück nach vorne und legen Ihr Kinn hier hinein, so ist es gut."

    Die Hornhaut des 44-jährigen Autofahrers wurde vor knapp zwei Monaten gelasert, heute kommt er zur Abschlussuntersuchung.

    "Die Stirn fest dagegen, und ich schaue mir jetzt die Augen an, sehe durch eine sogenannte Spaltlampe, die zeigt mir genau die vorderen Augenabschnitte, Hornhaut, fordere Augenkammer, Linse und Iris. Es sieht sehr schön aus, jetzt etwa sechs bis acht Wochen nach der Operation, sieht man, dass alles perfekt geheilt ist und es gibt noch eine gute Nachricht, die ich Ihnen sagen kann, das Sehen wird sogar noch besser werden, so wie es hier aussieht", was der Patient natürlich gerne hört, hatte er doch wenige Monate zuvor noch Angst, sein Augenlicht zu verlieren. Er konnte nicht mehr Autofahren, der Bummel durch eine abendlich beleuchtete Straße war eine Tortur und seine berufliche Existenz stand auf dem Spiel.

    "Ich kann wieder Autofahren, ich habe nicht die 40 Prozent Sehkraft, die ich vorher hatte, sondern ich liege jetzt rechts bei 100, und links bei 80 Prozent, und das ist schon sehr gut!"