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Radiolexikon: Notrufnummer 112

Im Notfall ruft man die 112 an. Allerdings ist nicht jedem klar, was ein Notfall ist und was nicht. Darum gilt für die Mitarbeiter am Notfalltelefon: Klare Fragen, um schnell helfen zu können.

Von Andrea Westhoff | 16.08.2011
    Es brennt? Ein Unfall? Herzinfarkt? – Im Notfall immer die 112 wählen. Das sollte am besten jedes Kind schon lernen. Mit dieser Rufnummer erreicht man in allen EU-Staaten kostenlos die Feuerwehr, einen Notarzt und die Polizei. Ob vom Telefon zuhause aus, mit dem Handy oder über eine Rufsäule, ob per Funk oder ausgelöst durch automatische Brandmelder – alle Notrufe landen in der zuständigen Feuerwehr-Leitstelle.

    An langen Tischreihen sitzen hier die Mitarbeiter vor Computern mit großen Bildschirmen, um über Kopfhörer und Mikrofon die eingehenden Anrufe oder Meldungen schnell zu bearbeiten. Man hört sie fast ununterbrochen sprechen, aber kein alarmierendes Telefonklingeln – das erscheint nur als optisches Signal. Sonst wäre es zu unruhig für die Gespräche, die möglichst nach einem festen Frageschema ablaufen, sagt Dr. André-Michael Baumann, Brandrat und Notsystem-Experte bei der Berliner Feuerwehr:

    "Wir fangen grundsätzlich damit an, dass wir als Allererstes nach der Adresse fragen – wo genau ist der Notfallort?" Haben wir eine Rückrufnummer? Wenn jetzt aus irgendeinem Grund der Akku alle ist, vom Handy oder sonst ist irgendwas passiert, haben wir auf jeden Fall eine Adresse, wo wir jemand hinschicken können. Die nächste Frage ist, was genau passiert ist, um eingrenzen zu können, ob es sich um einem medizinischen Notfall handelt, um einen Einsatz der Feuerwehr oder vielleicht sich jemand vollkommen verwählt hat und eigentlich die Polizei möchte, dann würden wir zur Polizei durchstellen."

    Bei Notrufen nach einem Unfall sollte man außerdem sagen, wie viele Personen möglicherweise verletzt sind. Aber die meisten Anrufer bei der 112 bitten um medizinische Hilfe:

    "Also: "Mann hat Herzschmerzen". So, die nächste Information, die wir dann bräuchten, ist die Frage, wie alt der Patient ist, weil eben, wenn jemand sich über Brustschmerzen beklagt, bei einem 20jährigen das einfach was ganz anderes ist – die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Herzinfarkt ist, ist sehr gering, während jemand 40 aufwärts natürlich durchaus einen Herzinfarkt haben kann. Dann wäre die nächste Frage: Ist er bei Bewusstsein, nächste Frage: Ob er atmet – wenn jetzt keine Atmung angegeben würde und kein Bewusstsein, dann ist das der Moment, wo man das Notrufgespräch abbrechen kann und erstmal die Einsatzmittel losschickt."

    Das geschieht per Computer noch während des Gesprächs.

    "Wir haben ganz ganz viele Menschen, die denken, dass derjenige, der hier am Notruf sitzt, danach aufspringt und selber mit dem Auto zum Einsatz fährt und das ist nicht der Fall, also, selbst wenn hier immer noch gesprochen wird, sind die Einsatzkräfte schon unterwegs."

    Und die Anrufer können und sollten auf Rückfragen warten. Oft geben die ausgebildeten Rettungssanitäter in der Leitstelle schon über das Telefon wichtige Ratschläge:

    "Wir geben den Hinweis, keine Medikamente zu nehmen außer die, die der Arzt verschreiben hat, die Medikamente zusammen zu suchen; sehr sinnvoll ist es auch, wenn man Haustiere hat, also gerade größere Hunde, die vielleicht woanders hin zu sperren, bei Einfamilienhäusern eventuell das Licht draußen einzuschalten, wenn noch jemand im Hause ist, im Hochhaus mit dem Aufzug, dass er schon mal runterfährt, unten den Rettungsdienst in Empfang nimmt – das sind alles Sachen, die Zeit sparen, gerade bei zeitkritischen Notfällen, dass die Einsatzkräfte noch schneller am Ort sind."

    Und wenn jemand gerade noch die 112 wählen, aber nicht mehr die Tür öffnen kann, fackeln die Feuerwehrleute nicht lange, sondern nehmen Axt oder Brecheisen zur Hand.

    Es gibt verschiedene so genannte "Einsatzmittel" nach einem Notruf: Der spezielle "Notarztwagen" rückt nur aus, wenn ein Patient vor Ort oder während der Fahrt schon ärztlich behandelt werden muss:

    "Notärzte gibt es halt weniger, und wenn die Situation nicht 100-prozentig eindeutig ist, schicken wir erstmal einen Rettungswagen, da sind zwei Rettungsassistenten drauf, die natürlich auch lebensrettende Sofortmaßnahmen sofort einleiten können, und der Notarzt würde dann dazu kommen müssen."

    "Rendezvous-System" heißt das. Und wenn es mal ganz schnell gehen oder der Patient in eine entfernte Spezialklinik gebracht werden muss, dann kommt der Rettungshubschrauber zum Einsatz. Denn Zeit ist natürlich ein entscheidender Faktor im Notfall. Allerdings kann und will sich André-Michael Baumann nicht auf eine genaue Minutenangabe festlegen:

    "Von Bundesland zu Bundesland gibt es verschiedene Hilfsfristen, dann gibt es teilweise noch verschiedene Hilfsfristen, ob es eben Stadt oder Land ist, realistisch muss man sagen, wenn ich eine sehr sehr schwierige Adressfindung habe, weil das eben hinterm dritten Heuhaufen das vierte Gehöft ist – und es muss jedem natürlich auch jedem klar sein: Wir können nicht losfahren, bevor wir wissen, wo es hingeht."

    Grundsätzlich sind die Einsatzzeiten in Deutschland jedoch sehr gut, etwa bei Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten. Aber wenn es um Wiederbelebung geht, ist ohnehin die "Erste Hilfe" vor Ort unerlässlich. Und da man hierfür nur noch die Herzdruckmassage machen und nicht mehr beatmen muss, sollte das eigentlich jeder können.

    In den Leitstellen herrscht jedenfalls fast immer Hochbetrieb: In einer Großstadt
    wie Berlin beispielsweise werden im Schnitt 1000 Einsätze pro Tag veranlasst:

    "Aber wir haben das Dreifache an Anrufen, weil viele Leute eben leider nicht wissen, dass nicht alle Handys mit der Tastensperre auch den Anruf beim 112 unterdrücken. Sodass wir also doch sehr oft ans Telefon gehen und einfach nur ein Rascheln in der Hosentasche hören, was natürlich für die Kollegen, die den Notruf bearbeiten, doch sehr belastend ist."

    Und auch nicht alle bewussten Anrufe bei der 112 sind wirklich Notfälle.

    "Beispielsweise unkomplizierte Bauchschmerzen, die schon längere Zeit sind, oder jemand, der über einen bestimmten Zeitraum Rückenschmerzen hat – oder irgendeine andere Erkrankung, wo wir gar keine Notfallsymptome feststellen können. Dann würden wir denjenigen an den ärztlichen Bereitschaftsdienst verweisen, oder in vielen Bundesländern kann eben als Zwischenstufe auch ein Krankenwagen so nach einer halben Stunde kommen, weil: Wenn man sich morgens um sechs Uhr den Fuß verstaucht hat, und um zwölf Uhr feststellt, es wird überhaupt nicht besser, aber laufen kann man auch nicht, dann ist das natürlich kein Grund, dass wir da mit Blaulicht kommen müssen."

    Wenn die Feuerwehr jemanden mitnimmt, geht es in der Regel ins nächstgelegene Krankenhaus – und dann ist immer noch nicht gesagt, dass man hier auch als Notfall, also vorrangig behandelt wird. Dr. André-Michael Baumann:
    "Inzwischen haben fast alle Krankenhäuser erprobte Systeme eingeführt, wo auch dort noch mal der Patient nach seiner Dringlichkeit gesichtet wird, und das kann eben auch sein mit bestimmten Sachen, dass man eben auch mal drei Stunden warten muss, auch wenn man mit der Feuerwehr gekommen ist. Also das ist kein Freifahrtschein, dass man dann sofort rangenommen wird."