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Radiolexikon: Pflaster
Mit gesundem Menschenverstand benutzen

Am 28. März 1882 bekam der Apotheker Paul Carl Beiersdorf das Patent für einen bestrichenen Mullstreifen - das erste Pflaster. Heute gibt es eine breite Palette von Pflastern mit unterschiedlichsten Anwendungsfeldern. Manchmal tut es aber auch eine Mullbinde.

Von Mirko Smiljanic | 12.09.2017
    Frau mit Heftpflaster auf der Wange
    Eine Wundabdeckung, die nicht sofort herunterfiel - darum ging es in den Anfangszeiten des Pflasters. Heute gibt es mannigfache Varianten. (imago stock&people / Chromorange)
    Düsseldorf, Notfalleinsatz der Berufsfeuerwehr. Ein Mann, Mitte 50, sitze hilflos mit einer blutenden Wunde auf der Königsallee. Mehr Informationen haben die Rettungssanitäter nicht. Vielleicht ist es eine harmlose Schürfwunde, vielleicht aber auch eine tiefe Wunde mit lebensbedrohlich hohem Blutverlust.
    Passanten winken den Rettungskräften zu, benommen sitzt der Mann neben dem Schaufenster eines Luxusmodengeschäftes.
    Keine Schürfwunde, das sehen die Sanitäter sofort. Die Wunde blutet, glücklicherweise aber nicht sehr stark. Durchaus möglich, dass der Mann sich beim Sturz weitere Verletzungen zugezogen hat. Eine Gehirnerschütterung? Knochenbrüche? Der Verletzte gehört in eine Klinik! Vorher wird aber noch die blutende Wunde versorgt. Markus Schnell:
    "Grundlage eines jeden Verbandes, egal wie er denn aussieht, ist die sterile Wundauflage, die Standard-Zellstoff-Mullkompresse, wie jeder sie eigentlich aus seinem Kraftwagenverbandskasten oder aus der Hausapotheke kennt. Damit kann ich eine Wunde recht gut, recht schnell keimarm abdecken. Sie ist saugfähig, das heißt, eine gewisse Menge an Blut wird halt aufgenommen, nachteilig ist an dieser einfachen Kompresse: Die kann eben mit der Wunde verkleben."
    Wenn es schnell gehen muss
    Markus Schnell, stellvertretender Wachvorsteher an der Rettungs- und Feuerwache 3, Düsseldorf. Zellstoff-Mullkompressen sind keine Pflaster, aber flexibel einsetzbar, vor allem bei großen Wunden und im Rettungseinsatz, wenn es schnell gehen muss:
    "Man kann sie natürlich jetzt – jetzt kommen wir wirklich zu dem Begriff Pflaster – mit diesem Pflasterstreifen, mit diesem Klebestreifen festmachen. Wenn das Pflaster wieder abgezogen wird, ist das dementsprechend mit Schmerzen verbunden, wenn der Patient schwitzen sollte, dann löst sich das auch wieder ab. Ich selber favorisiere eine ganz normale Mullbinde, mit der man dann die Kompresse grob umwickeln kann, so dass die Kompresse da hält. Grundsätzlich sagen wir im Rettungsdienst, ein Verband, der muss nicht schön sein, der muss halten, und die Wundheilung als solche ist im Rettungsdienst erst mal nicht so wichtig."
    Solch spitzfindige Fragen beschäftigten den 1880 von Berlin nach Hamburg umgesiedelten Apotheker Paul Carl Beiersdorf natürlich nicht. Er hatte ganz andere Probleme. Immer wieder kamen Matrosen mit blutenden Verletzungen in sein Geschäft und suchten etwas, um die Wunde abzudecken. Es gab nichts, und was es gab, war furchterregend: alte, schmutzige Stofflappen, die nur deshalb hielten, weil sie mit der Wunde verklebten.
    Die Grundlagen der Hygiene wurden erst Jahrzehnte später entwickelt. Und auf Fragen rund um die Blutstillung gab es damals ebenfalls keine Antworten. Heute bietet die Industrie ganz unterschiedliche Pflaster zu diesem Thema an – so Andreas Becht, Notarzt bei der Stadt Düsseldorf und Dozent am Institut für Notfallmedizin und Rettungswesen der Feuerwehr Düsseldorf:
    "Da geht es unter Umständen darum, ein bestimmtes Klima für die Heilung zu schaffen, also beispielsweise ein feuchtes Klima zu schaffen, in dem der Wundverschluss erfolgen kann. Wenn wir uns jetzt den notfallmedizinischen Bereich anschauen, da gibt es in den letzten Jahren Entwicklungen. Die kommen vor allem aus dem militärischen Bereich, die jetzt aber auch im zivilen Bereich eingesetzt werden, wo Mittel zur Blutstillung mit auf die Verbandsstoffe aufgebracht sind."
    28. März 1882: Patent für das weltweit erst Pflaster
    So etwas war kein Thema vor 130 Jahren! Paul Carl Beiersdorf suchte etwas sehr viel einfacheres: eine Wundabdeckung, die nicht sofort herunterfiel und die – nennen wir es mal so – der Wunde gut tat, die nicht sofort zu Entzündungen führte. Viele Jahre experimentierte Beiersdorf, bis er die Lösung hatte: Einen Mullstreifen, den er mit dem gummiartigen Pflanzensaft Guttapercha bestrich, sowie mit einer Mischung aus Vaseline, Schmalz, Talg, Gummi-Elasticumlösung und Arzneistoffen.
    Am 28. März 1882 bekam er ein Patent für das weltweit erst Pflaster! Sofort gründete Beiersdorf in Altona eine Fabrik dermotherapeutischer Präparate. Eine Revolution: Die Beiersdorf-Pflaster hielten auf der Haut und boten der Wunde Schutz. Heute gibt es eine breite Palette von Pflaster mit ganz unterschiedlichen Anwendungsfeldern. Etwa Pflaster für Brandverletzungen. Andreas Becht:
    "Die sind in der Regel mit einer dünnen Schicht Metall bedampft. Da geht es vor allem darum, ein Verkleben mit der Wunde zu reduzieren. Ganz vermeiden kann man es oft nicht, aber dann ist das Verkleben des Verbandstoffes mit der Wunde nicht so stark, so dass diese Verbände auch wieder zu lösen sind."
    Ganz anders funktionieren Pflaster, die kleine Schnittwunden zusammendrücken, um so deren rasche Heilung zu ermöglichen. Da haben sich gleich zwei Varianten auf dem Markt durchgesetzt, so Markus Schnell von der Rettungs- und Feuerwache 3 in Düsseldorf:
    "Das sind so einzelne Pflasterstreifen, die über die Wunde drüber geklebt werden; dann kann man mittlerweile auch Wundränder zusammenbringen und kleben, das ist ein Verfahren und vom Stoff her dem Sekundenkleber sehr ähnlich."
    "Am Anfang schadet es nicht, die Wunde abzudecken"
    Solche Verfahren sind nur unmittelbar nach der Verletzung sinnvoll, einige Tagen später sollten die Wundränder mechanisch nicht mehr zusammengedrückt werden. Bleibt noch die Frage: Wie lange muss oder soll die Wunde mit einem Pflaster geschützt werden? Einfach dem gesunden Menschenverstand vertrauen, so Andreas Becht, Notarzt bei der Stadt Düsseldorf:
    "Am Anfang schadet es nicht, die Wunde abzudecken, vor allem, wenn die gerade frisch und offen ist und das Risiko, dass da eine Infektion sich vielleicht bilden könnte, noch besteht. Ich denke, man kann da nur mit gesundem Menschenverstand rangehen. Man guckt da ja auch unter das Pflaster drunter, am Folgetag beispielsweise. Und wenn man sieht, dass das schon verschlossen ist, dass sich da so ein bisschen Wundschorf gebildet hat, dann kann das Pflaster eigentlich auch schon ab."
    Den Dauerstreit, ob eine Wunde mit Pflaster oder ohne Pflaster schneller heilt, lässt sich auch klären: Im feuchten Milieu, also unter einem Pflaster, geht’s schneller. Andreas Becht:
    "Es wächst quasi von unten hoch. Da wird erst dieser Wundschorf gebildet aus Fibrin und anderen Bestandteilen. Im Endeffekt bildet dann der Körper neue Zellen, die dann den endgültigen Verschluss der Wunde darstellen."
    Die Wunde des verletzten Mannes auf der Düsseldorfer Königsallee ist versorgt, schon ist der Rettungswagen unterwegs zu nächstgelegenen Klinik!