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Radiolexikon: Rückenschmerzen

Knapp die Hälfte aller Deutschen klagen über Probleme mit dem Rücken, 70 Prozent sind mindestens einmal im Jahr betroffen - Tendenz steigend! Vom schlichten Zwicken bis zum Bandscheibenvorfall inklusive Lähmungserscheinungen, von entzündlichen Prozessen bis zu unerklärlichen psychosomatischen Störungen - fast alles ist möglich.

Von Mirko Smiljanic | 26.02.2008
    Köln, Iyengar-Yogastudio Hiltrud Richter, 11 Uhr vormittags. Auf einer blauen Matte liegt Doris Fierek (Name geändert): Mitte vierzig, schlank, krank - Rückenkrank.

    "Meine Rückenprobleme fingen vor zwei Jahren an, aber akut letztes Jahr vor Weihnachten, bin dann auch zu meiner Orthopädin gegangen, habe mit Krafttraining angefangen, das hat aber nichts mehr geholfen, und habe dann einen ganz schweren Bandscheibenvorfall bekommen mit Lähmungserscheinungen, mit Ausfallerscheinungen im rechten Bein und hatte auch schon eine Indikation zu einer Operation von einem Neurochirurgen."

    Unerträgliche Schmerzen, täglich starke Medikamente, das Risiko einer Operation - keine schönes Leben! Doris Fierek konsultierte mehrere Ärzte, ging zu Physiotherapeuten und versuchte es schließlich bei der Yogatherapeutin Anette Schwipper. Neben normalem Yoga bietet sie medizinisch ausgerichtete Übungen für Menschen mit orthopädischen Problemen: unbeweglichen Schultern, krummen Gelenken und schmerzenden Rücken.

    "Jetzt als nächstes werde ich mich um den Oberkörper kümmern und werde die Schulterblätter greifen und du entspannst ganz die Schultern und ich ziehe die Schulterkuppen abwärts, dass die Haut über die Schulterkuppen nach unten zieht und das Brustbein heben kann. Du bist ganz entspannt in den Armen, lässt die Arme nach außen gehen, und dann lege ich Dir noch um das zu beschweren ein Gewicht auf die Schulterkuppen."

    Zwei Mal pro Woche kommt Doris Fierek zur Einzeltherapie, seit Monaten. Erste Erfolge: Die Schmerzen lassen nach, eine Operation ist wahrscheinlich nicht nötig. Sie hat ihre Probleme in den Griff bekommen. Übrigens weit verbreitete Probleme: Knapp die Hälfte aller Deutschen hat Rückenschmerzen, 70 Prozent einmal pro Jahr. In schlimmen Fällen führt der Weg direkt zum Arzt, etwa zu Professor Alfred Karbowski. Er leitet die orthopädische Abteilung des Krankenhauses der Augustinerinnen in Köln. Kommt ein Patient zum ersten Mal, stellt er eine simple Frage.

    "Erstmal frage ich ihn, seit wann und wie sind die Rückenschmerzen. Die Frage ist ja, ist es ein akutes Ereignis, hat mich die Hexe getreten, oder ist es ein Rückenschmerz, der sich langsam aufgebaut hat. In den meisten Fällen sind es ja einfache Verspannungen, man hat viele Kisten gehoben oder man hat beim Umzug geholfen oder Tätigkeiten wahrgenommen, die man sonst nicht wahrnimmt."

    Hier hilft Wärme und Ruhe, falls nötig verschreibt der Arzt aber auch Schmerzmittel. "Schmerzen erzeugen Verspannungen", sagt Karbowski, "Verspannungen wiederum Schmerzen". Diesen Kreislauf will er durchbrechen. Wenn die Maßnahmen nicht reichen, kommt abgestuft Hightech-Diagnostik zum Einsatz.

    "Die Diagnostik des Rückenschmerzes sieht so aus, dass man zuerst Röntgenbilder macht, die Wirbelsäule in zwei Ebenen, sei es die Halswirbelsäule oder die Lendenwirbelsäule, wo wir die meisten Rückenschmerzen haben. Wenn wir mehr wissen wollen, machen wir eine Computertomographie, das sind dann Röntgenstrahlen, mit denen wir die Knochen beurteilen können. Wenn wir noch mehr wissen wollen, veranlassen wir eine Kernspintomographie, das sind Strahlen, die keine Röntgenstrahlen sind, mit denen wir die Weichteile, sprich die Bandscheibe, Bänder und den Knorpel, also alles, was nicht knöchernen ist, am besten beurteilen können."

    Rückenschmerzen sind nach Krankheiten der Atemwege die zweithäufigste Ursache für Arztbesuche und bei Männern die häufigste Ursache sich krank schreiben zu lassen. Ganz oben auf der Liste der Leiden steht der Bandscheibenvorfall.

    "Zwischen zwei Wirbelkörpern befindet sich ein so genannter Knorpel, den wir als Bandscheibe bezeichnen. Die Bandscheibe besteht aus einer Rinde, die Bindegewebe ist, und einem inneren gallertartigen Kern, und dieser gallertartige Kern, der buchtet die Bandscheibe nach hinten vor, so dass sie mechanisch zu Irritationen des Rückenmarks führen kann. Darüber hinaus kann ein Teil des Bandscheibengewebes aus dem Inneren heraus in den Rückenmarkskanal hineinfallen. Und das kann dann auch eine Wurzel abquetschen, da hat man dann auch Ausfälle, weil man das Bein oder den Fuß nicht bewegen kann, wie man will, das sind motorische Ausfälle, und darüber hinaus Gefühlsstörungen."

    Beim Bandscheibenvorfall ist häufig - aber nicht immer! - der Bereich zwischen dem fünften Lendenwirbel und dem Kreuzbein betroffen. Die Patienten leiden unter höllischen Schmerzen, mitunter können sie sich kaum bewegen. Erster und wichtigster Schritt in solchen Fällen ist für den Kölner Orthopäden Alfred Karbowski die Schmerztherapie. Ein direkt an den Lendenwirbel gespritztes Mittel hilft fast immer - doch das Problem ist damit noch nicht beseitigt.

    "Grundsätzlich ist die Behandlung konservativ! Operieren tun wir gerne, aber wir müssen am Rücken nicht alles operieren, weil, wenn man das hinbekommt, den Patienten aus der Schmerzsituation herausbekommt, durch Wärme, durch Extension, milde Extension, durch Gabe von Schmerzmitteln, von Entspannungsmitteln."

    Die Bandscheibe soll sich alleine zurückbilden. Tut sie es nicht, wird möglicherweise doch operiert. Dabei entfernt der Chirurg alle Bandscheibenteile, die nach außen ragen und die Nerven reizen. Mitunter muss sogar der gesamte Knorpel herausgenommen werden. Damit entfällt zwar die Irritation des Rückenmarks, die Total-OP ist auf der einen Seite also eine Hilfe, auf der anderen Seite kann sie langfristig aber dazu führen, ...

    "... dass die Wirbelgelenke, das sind die anderen Strukturen, die Schmerzen verursachen können, sich gegeneinander verschieben, und dass es so zu einem Verschleiß der Wirbelgelenke kommt, und das kann auch weh tun. Verschleiß gibt es ja nicht nur in der Hüfte, im Knie und am Fuß, sondern auch bei den Wirbelgelenken selber, und das kann auch ein Problem werden!"

    Sobald der Patient keine Schmerzen mehr hat, beginnt Teil zwei der Behandlung. Dann muss man ihn ...

    "... in ein Rückenübungsprogramm geben. Wichtig ist, wenn man ein Rückenpatient ist, dann muss man seine Muskulatur konditionieren, dass die fit ist, den Schaden der Wirbelsäule zu kompensieren."

    Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen! Der Spruch - so flott er auch daher kommt - stimmt. Bänder und Muskeln sollten aber langsam aufgebaut und trainiert werden. Gleichzeitig muss der Patient einige Regeln beherzigen.

    "Erst einmal sollte er darauf achten, dass er sein Gewicht hält, wie immer im Leben, er muss jetzt nicht Twiggy sein, jeder Mensch ist so wie er ist, aber irgendwann ist das Maß überschritten, dann sprechen wir von Übergewicht. Dann sollte er sehen, dass er körperlich aktiv ist, also motorische Aktivität ist wichtig, damit das Muskelkorsett konditioniert ist. Normale Übungen reichen aus, es gibt richtige Rückenprogramme, dann kann er lange Zeit seine Rückenschmerzen kompensieren."

    Vorausgesetzt, seine Rückenschmerzen haben nicht andere, eher seltene Ursachen. Die wichtigsten sind entzündliche Prozesse wie Morbus Bechterew, Tumore, Osteoporose oder eine Instabilität der Wirbelsäule. Diese Krankheitsbilder sind glücklicherweise selten. Wie selten, verdeutlicht folgende Zahl: 90 Prozent aller Rückenschmerzen sind unspezifisch, das heißt, der Arzt findet auch nach einer gründlichen Untersuchung keine Ursache. Was den Schluss nahe legt, dass Rückenschmerzen häufig psychosomatische Leiden sind.

    "Wir verarbeiten über Rückenschmerzen häufig psychische Probleme. Psychische Probleme sind sehr wichtig, es sind die wichtigsten Probleme überhaupt, und man artikuliert sein psychisches Problem, sein Problem, dass man mit sich oder mit der Umwelt hat, häufig in einem Kampf mit seinem Rücken."

    Mancher hat halt schwer zu schleppen ... und der Rücken muss alles tragen.

    "Leg dich mal bitte auf den Rücken, und streck die Beine an der Wand aus und dann werde ich Dir die Beine binden mit einer etwas dickeren, festeren Rolle, die am Schambein beginnt und bis unten zu den Füssen reicht, dass über diese Arbeit eine Breite im unteren Rücken, im Iliosakralgelenk und Kreuzbein entsteht."

    Köln, Iyengar-Yogastudio. Anette Schwipper bereitet die letzte Übung mit ihrer Patientin vor. Rasche Erfolge, das hat Doris Fierek schnell eingesehen, gibt es bei dieser Therapie nicht. Dafür sind sie aber nachhaltig.

    "Unsere Erfahrung ist, dass etwa nach einem dreiviertel Jahr sich der Rücken stabilisiert hat, es wird peau á peau der Muskel aufgebaut, und die Schüler und Patienten erfahren dann wieder ein neues Lebensgefühl und können dann auch später in die normalen Klassen übersteigen."