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Radiolexikon: Sichelfuß

Fehlstellungen der Füße bei Neugeborenen sind keine Seltenheit. Häufig handelt es sich dabei um den sogenannten Sichelfuß, eine Verdrehung der großen Zehe und der Fußspitze. Doch was tun, wenn bei Kindern eine solche Fehlstellung vorliegt?

Von Renate Rutta | 13.07.2010
    "Bei Geburt hat der Arzt untersucht und hat gesagt, ist normal. Er hat ein bisschen krumm die Beine, aber das ist normal, mit der Zeit wird das wieder gut."

    Die in Portugal geborene Lourdes Mendes ist mit ihrem Sohn Jonathan in die Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universität Köln gekommen.

    "Aber dann, ein paar Wochen später, ist immer noch so mit dem Bein und dann bin ich zum Kinderarzt gegangen und der Kinderarzt hat mir empfohlen, zum Orthopäden zu gehen und dann hab ich das gemacht und er hat den Gips bekommen."

    Viele Babys kommen mit mehr oder weniger schweren Fehlstellungen der Füße auf die Welt. Der Sichelfuß ist eine sehr häufige Fußfehlstellung, sie tritt meistens an beiden Füßen auf.

    Der Vorderfuß und besonders die Fußspitze und die große Zehe sind im Vergleich zur Ferse nach innen gedreht – ähnlich einer runden Sichel - sodass man sich kaum vorstellen kann, dass das Kind darauf richtig stehen und gehen kann.
    Oft ist diese Fehlstellung eher harmlos, manchmal bildet sie sich sogar ganz von alleine zurück. Unbehandelt kann sie jedoch zu einer dauerhaften Fehlstellung führen. Auch Jonathan hat einen Sichelfuß. Privatdozent Dr. Joern Michael:

    "Beim Neugeborenen, beim Säugling mit drei, vier Wochen, dann sind die Füße noch sehr zart, da sieht man ganz deutlich die Veränderung des Vorfußes wie eine Sichel, die in Richtung der Zehen nach innen gerichtet ist."

    Einen Sichelfuß kann der Arzt leicht erkennen durch Betrachten und Befühlen des Fußes. Ganz selten muss man den Fuß röntgen.

    "Wir gucken dann mit unseren Händen, wie weich der Fuß ist, ob man diese Deformität, das heißt, diese Sichelform, wieder korrigieren kann. Das heißt, man nimmt den Außenrand in die Hand und drückt ihn bewusst über den Außenrand mal nach außen und sieht, dass man diese Sichelform gut korrigieren kann - was für uns ein Hinweis dafür ist, dass durch die Behandlung mit einer Gipsschiene, beziehungsweise einem Rundgips die Deformität sehr gut korrigiert werden kann und damit auch gehalten werden kann."

    Jonathan bekam als Säugling für drei Wochen einen Gips und der Fuß schien sich dann normal zu entwickeln. Doch nach und nach kam die alte Sichelform zurück.

    "Wenn man jetzt überhaupt nichts macht, besteht die Gefahr, dass diese Sichelfußdeformität noch schlimmer wird, weil die Muskeln an der Innenseite des Fußes, die den Fuß nach innen kippen, noch mehr zunehmen; d.h., die Kraft wird viel größer. Damit sind die Sehnen an der Außenseite zu locker und das würde bedeuten, dass der Vorfuß noch schlimmer wird
    im Sinne eines Sichelfußes als er nach der Geburt war."

    Wird nichts getan, würde durch die Fußstellung ein stark nach innen gerichteter Watschelgang entstehen.
    Die genauen Ursachen sind jedoch unklar. Offensichtlich ist, dass Jungen häufiger einen Sichelfuß haben als Mädchen.
    Klar ist, diese Fehlstellung kann erworben oder angeboren sein.

    Umstritten ist, ob der erworbene Sichelfuß bei Babys vorkommt, die häufig auf dem Bauch liegen.
    Egal welche Ursache dahinter stehen mag, in allen Fällen ist die Prognose gut. Operiert werden muss nur selten.

    "Was bei der Anamnese also der Krankengeschichte wichtig ist, ob das Kind noch Geschwister hat, beziehungsweise ob in der Familiengeschichte irgendwelche Fußerkrankungen bekannt sind und ob bei den Kindern selber noch Begleiterkrankungen bekannt sind."

    Solch eine Begleiterkrankung ist oft eine Hüftgelenksfehlstellung. Bei anderen Kindern können es Verletzungen am Knochen sein, die nicht gut ausgeheilt sind.

    Jonathan ist jetzt elf Monate alt. Er fängt langsam an, laufen zu lernen. Nun sollen seine Füße nochmals begutachtet werden.

    "Jetzt schau ich mir den Fuß an, wie er nach der Therapie, zunächst nach der Gipsbehandlung und der begleitenden Krankengymnastik aussieht. Eine Frage an die Mutter: Was haben Sie für einen Eindruck von dem Fuß? Finden Sie, dass er besser aussieht als vorher, oder hat sich was geändert? – früher war er ein bisschen grader – Sie haben regelmäßig Krankengymnastik mit ihm gemacht? – ja, einmal die Woche geh ich da hin – haben Sie zuhause auch noch gemacht? – nicht so viel mach ich, aber ich laufe mit ihm – aber es ist schon wichtig, dass Sie auch zuhause ein- bis zweimal am Tag zehn bis fünfzehn Minuten die Krankengymnastik machen – ok ."

    Jonathan sitzt in seinem Kinderwagen und spielt mit einem Feuerwehrauto. Immer wieder versucht er, sich am Rückteil des Kinderwagens hochzuziehen und sich aufzurichten.

    "Wenn ich mir jetzt den Fuß anschaue, jetzt ist er elf Monate, da sieht man schon, dass sich diese Sichelfußdeformität wieder etwas nachgebildet hat als Hinweis dafür, dass vielleicht die Nachbehandlung nach dem Gips nicht optimal war. Jetzt ist es bei ihm so, dass er anfängt, sich aufzustellen und hochzuziehen, das heißt am Sofa und am Bett und am Kinderwagen hochzugehen. Damit bekommt er eine ganz andere Belastung an den Fuß und um so wichtiger ist es, dass die Deformität, die ja wieder besteht, korrigiert werden kann. Das heißt, man hätte die Option, nochmal Gipsbehandlung zu machen oder erstmal Krankengymnastik und sogenannte Nachtschienen."

    Da das Kind schon anfängt zu laufen, entscheidet der Arzt sich für eine Behandlung nachts mit Gipsschalen oder Gießharzstiefeln. Mit beiden wird das Kind nicht im Schlaf gestört.

    "Also die Schiene ist entweder eine Gipsschale oder ein Gießharzstiefel mit Klettverschlüssen oder einer Schnürung, damit der Fuß korrigiert gehalten wird. Was Weicheres bringt nichts, denn da wird der Fuß nicht fest genug gehalten. Für die Kinder ist das egal, das ist für die so als würden sie denen Stiefel anziehen und mit den Schuhen einschlafen, das ist völlig normal nachher. Ist ja auch nur für eine gewisse Zeit von vielleicht drei Monaten, bis sich der Fuß weiter ausgebildet hat."

    Und die Mutter soll regelmäßig die Füße streichen und massieren.

    "Ich nehme den Fuß und so ne – das ist auch richtig – so – die Fußsohle bestreichen, auch den Fußaußenrand bestreichen, damit wird der Fuß bewusst nach oben gezogen, nach oben außen, damit kann ich die Deformität kontrollieren.
    Ja, ist nicht einfach mit ihm – ja, das ist nicht einfach, aber er wird das sicher zunehmend verstehen, und wenn Sie selber den Eindruck haben, dass die Deformität besser wird, grade, wenn er anfängt, zu laufen, dann richtet sich der Fuß automatisch auf. Und was zusätzlich gut wäre, wenn er viel auf Zehenspitzen läuft – er läuft damit - in Strümpfen oder so Schühchen, genau, das ist gut, damit das Fußgewölbe ausgebildet wird. Auf gar keinen Fall sollte man eine Einlage nehmen, denn der Fuß in dem Alter bildet sich jetzt aus, das Quer- und Längsgewölbe und wenn man jetzt das durch ne Einlage unterstützt, dann läuft man Gefahr, dass die Muskeln das nicht selber tragen können, sondern sich nur auf die Einlage konzentrieren. Also keine Einlage, dafür Krankengymnastik und das regelmäßig mehrfach am Tag."

    Orthopädietechniker Armin Dangendorf hat eine Werkstatt in der Uniklinik Köln. Er fertigt beispielsweise Nachtlagerungsschienen an.

    "Die Nachtlagerungsschiene wird individuell nach Gipsabdruck angefertigt, weil die Füße doch anatomisch so unterschiedlich sind, speckige kurze Beine, dünne und dicke Füße, also das ist ein großes Spektrum, da sind wir bei einer Maßanfertigung immer top dabei."

    Man kann auch einfach den Kindern den rechten Schuh an den linken Fuß anziehen und umgekehrt oder man kann sogenannte Antivarusschuhe verwenden, die etwa nach dem gleichen Prinzip arbeiten.

    "Dann würden wir empfehlen, wenn die Kinder anfangen zu laufen, mit einer Sichelfußorthese zu arbeiten, dass der Fuß bei Belastung Gegendruck bekommt und man kann zusätzlich mit Antivarusschuhen arbeiten, die den Fuß auch noch in der Korrekturrichtung unterstützen."