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Radiolexikon: Skoliose

Die Wirbelsäule im Hals- und im Lendenbereich ist leicht nach vorne gekrümmt, in der Brustregion sowie am Steißbein nach hinten gekrümmt. Von einer Skoliose spricht man, wenn die Wirbelsäule seitlich verkrümmt ist und einzelne Wirbelkörper verdreht sind.

Von Renate Rutta | 21.09.2010
    "Eigentlich merk' ich das gar nicht. Es ist einfach so, dass ich zwischendurch Rückenschmerzen hab, beim längeren Sitzen halt. Aber ich merk eigentlich nicht, dass ich eine Verbiegung habe."

    Rafaela, 14 Jahre alt, hat Skoliose: Ihre Wirbelsäule hat eine seitliche Verbiegung und Verdrehung. Für Laien ist das meist kaum zu erkennen. Oft fällt Eltern oder Lehrern als erstes Anzeichen nur zufällig auf, dass ein Kind ein schiefes Becken hat oder die Schultern ungleich hochstehen. Thomas Randau, Assistenzarzt der Skoliosesprechstunde am Universitätsklinikum Bonn.

    "'Skolios' kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie krumm und bezieht sich darauf, dass die Wirbelsäule sich bei den Erkrankten verkrümmt. Deshalb ist der Name entstanden. Es ist eine der ältesten orthopädischen Diagnosen. Es ist in der Antike schon bekannt gewesen, dass es das gibt."

    Im Normalfall ist die Wirbelsäule im Hals- und im Lendenbereich leicht nach vorne gekrümmt, in der Brustregion sowie am Steißbein nach hinten gekrümmt – ungefähr ein zweifach gebogenes S. Diese Form ist wichtig, damit der Mensch aufrecht stehen kann, damit er gehen kann und damit er Belastungen abfedern kann. Von einer Skoliose spricht man, wenn die Wirbelsäule seitlich verkrümmt ist und einzelne Wirbelkörper verdreht sind.

    "Es gibt verschiedene Verlaufsformen der Skoliose, die sich danach unterscheiden, wann das erste Mal die Krümmung auftritt. Sehr selten sind die Formen bei Säuglingen oder Kleinkindern. Am häufigsten sind Mädchen rund um die Pubertät betroffen. So ab dem zwölften Lebensjahr mit dem pubertären Wachstumsschub, wenn die Kinder noch mal so einen Schuss in die Länge machen, da wird es das erste Mal bemerkt, dass die Wirbelsäule nicht grade wächst."

    Die genauen Ursachen der Krankheitsentstehung sind in den meisten Fällen unklar. Immerhin weiß man, dass die Skoliose bei Mädchen vier- bis fünfmal häufiger auftritt als bei Jungen. Und in einigen Fällen können Knochen-, Muskel- oder neurologische Erkrankungen eine Skoliose verursachen.

    "Man weiß, dass wahrscheinlich die Verbiegung dadurch zustande kommt, dass die Vorderseite der Wirbelsäule etwas schneller wächst als die Rückseite der Wirbelsäule. Und dadurch biegt sich die länger werdende Vorderseite der Wirbelsäule in die längere Außenbahn der Kurve und die Rückseite der Wirbelsäule dreht sich zur Mitte wieder hin. Aber warum dieses ungleichmäßige Wachstum auftritt, weiß man nicht. Es gibt verschiedene Theorien. Da spielt der Hormonhaushalt eine Rolle, Melatonin und Östrogen wurde mal diskutiert als Faktoren. Aber beweisen kann man das nach wie vor nicht."

    Beobachtet wurde, dass die Krümmungen fast immer nach rechts gehen. Möglicherweise spielt die Verteilung der inneren Organe da eine Rolle, die Position des Herzens und der großen Gefäße.

    "Die meisten Skoliosen sind im Bereich der Brustwirbelsäule lokalisiert oder im Bereich des Übergangs zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule. Was man häufig sieht, wenn die Brustwirbelsäule zur Seite ausweicht, dass die Lendenwirbelsäule, um die Statik wiederherzustellen, einen Gegenschwung macht und dass dadurch eine S–förmige Konfiguration der Wirbelsäule entsteht."

    Diagnostizieren kann der Arzt eine Skoliose mit einem einfachen Vorbeugetest: Das Kind wird aufgefordert sich mit rundem Rücken nach vorne zu neigen. Dann treten die Rippen stark heraus und bilden einen Rippenbuckel. Oder man erkennt einen Lendenwulst, wenn sich die Rückenmuskulatur auf einer Seite nach oben vorwölbt. Welche Behandlung infrage kommt, entscheidet sich nach dem Schweregrad der Skoliose.

    "Die Einteilung erfolgt in Grad. Um eine sichere Einteilung zu machen und auch um eine gute Verlaufskontrolle zu machen, ist ein Röntgenbild der Wirbelsäule unbedingt notwendig. Nur im Röntgenbild kann man sicher vermessen, wie stark diese Krümmung ist."

    "Je nach Schweregrad der Skoliose kann man leichte Formen einteilen. Das sind die über 10 Grad bis etwa 20, 25 Grad, mittelschwere Verläufe von 25 bis 45 Grad und ausgeprägte, schwere Verläufe mit Krümmungen über 45 Grad."

    Empfohlen wird eine Behandlung etwa ab einem Winkel von über zehn Grad. Die krankengymnastischen Übungen dienen der Haltungskorrektur und sollen den Muskelaufbau fördern. Bei einer Krümmung von über 20 Grad wird eine zusätzliche Stütztherapie mit einem maßangefertigten Korsett verordnet. Bei schweren Skoliosen hilft oft nur eine Operation. Rafaela hat eine mittelschwere Skoliose. Sie trägt ein Korsett und macht täglich Übungen.

    "Am besten setzt du dich auf den Ball mit dem Rücken zu mir. Gut, ok, nimmst jeweils in die rechte und linke Hand einen Stab. Gut, ok."

    Dagmar Erler, die leitende Physiotherapeutin der Universitätsklinik Bonn macht mit Rafaela eine Übung auf einem Sitzball

    "Dann wird erst das Becken ausgeglichen, dass du nicht voll im Hohlkreuz sitzt. Und dann muss der Stab noch ein bisschen weiter nach außen."

    Mit diesen Übungen soll das Mädchen ein Gefühl für eine aufrechte symmetrische Haltung entwickeln.

    "Das wird bei Skoliose-Patienten eingesetzt, weil es bei Skoliose-Patienten gerade um die Aufrichtung der Wirbelsäule geht. Denn wir haben ja auf der verkrümmten Seite entweder zu lang gewordene Muskulatur, die in einen hohen Dehnzustand kommt oder eben sehr verkürzte Muskulatur. Beide sind nicht mehr kräftig und dadurch entsteht Muskeldysbalance."

    Rafaela kam mit elf Jahren zum ersten Mal in die Skoliosesprechstunde der Bonner Universitätsklinik. Seitdem geht sie zur Krankengymnastik und übt zuhause regelmäßig. Und sie trägt zusätzlich ein Korsett, damit die Verbiegung der Wirbelsäule in der Wachstumsphase nicht schlimmer wird. Thomas Randau von der Bonner Skoliosesprechstunde:

    "Über die Korsettversorgung wird nicht nur eine passive Stütze erreicht, sondern die Korsetts, die heute angepasst werden haben eine aktive Komponente, indem sie den Patienten ermahnen, sich aus der Krümmung und aus der Rotation der Wirbelsäule aktiv herauszubewegen und damit genau die Muskelpartien ansprechen, die der Krümmung entgegenwirken."

    Der Erfolg, den das Korsett bietet, muss aber hart erarbeitet werden. Damit es durch das Tragen des Korsetts nicht zu einer Schwächung der Muskulatur kommt, sollen die Patienten täglich krankengymnastische Übungen machen und viel Sport treiben. Rafaela trägt ihr Korsett konsequent 23 Stunden am Tag.

    "Das ist unter meinem T-Shirt. Das ist aus hartem Material und da gibt es bestimmte Punkte, da drückt das dann, dass meine Wirbelsäule wieder grade wird. Das hilft zur Aufrichtung und da kann man sich verschiedene Muster aussuchen. Ich hab Schmetterlinge drauf, lachen."

    Für junge Mädchen sicher nicht einfach, so offen damit umzugehen wie Rafaela. Doch gerade in dieser Wachstumsphase nimmt die seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule zu und bleibt dann ein Leben lang so. Diese dauerhafte Fehlstellung begünstigt eine vorzeitige Abnutzung der Wirbelsäule und kann später zu Rückenproblemen führen.
    Doch genau da liegt das Dilemma: Handeln muss man früh, denn nur etwa bis zum 16. Lebensjahr ist die Wirbelsäule relativ biegsam und ein Korsett kann mindestens eine Verschlechterung verhindern.

    "Ich trag das jetzt drei Jahre und der größte Erfolg war halt: Ich bin hierher gekommen zum Röntgen und da hab ich gesehen, es hat sich um zehn Grad oben und unten verbessert und das war voll schön. Weil, das erste Mal war es so, dass es sich nicht verändert hatte, weil ich so viel gewachsen bin und da ist es gut, wenn es so bleibt, das ist dann schon ein Erfolg.
    Und dann, der nächste Schritt ist halt, dass es sich verbessert."

    Deshalb ist es so wichtig, dass gerade in diesem Alter eine Skoliose erkannt und behandelt wird. Dr. Robert Pflugmacher, Leiter Schwerpunkt Wirbelsäulenchirurgie der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Uniklinik Bonn:

    "Die meisten, wenn man es früh erkennt, in Bonn klappt das gut, werden von den Niedergelassenen geschickt. Dann kommt man oft mit Korsettbehandlung hin. Auf der andern Seite sind einige Fälle so schlimm, auch mit Korsettbehandlung nicht hinzukriegen, dass wir uns entscheiden, diese Patienten zu operieren. Man muss schon sagen, dass fünf bis zehn Prozent der Patienten dann operiert werden müssen."