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Radiolexikon Überbein

Einer der häufigsten Gründe für Operationen an den Gelenken sind Überbeine. Mit Bein wird in der Medizin etwas Knöchernes benannt, aber damit hat ein Überbein in Wahrheit nichts zu tun. Es sind vielmehr gutartige Knoten, die aus der Gelenkkapsel heraus entstehen. Doch was genau ist ein Überbein und wie therapiert man sie.

Von Thomas Liesen | 16.12.2008
    Operationssaal drei der PAN-Klinik in Köln. Auf dem OP-Tisch liegt Jose´ S., 33 Jahre alt. Eine leichte Narkose hat ihn ruhig und schläfrig werden lassen, aber er ist ansprechbar. Sein rechter Arm liegt abgewinkelt auf einer Stütze.

    Handchirurg Dr. Paul Altmann tastet das Handgelenk ab. Dort war in den letzten Monaten bei Jose S. ein Knoten gewachsen. Er drückte immer mehr, verursachte bei manchen Bewegungen auch Schmerzen. Paul Altmanns Diagnose: Ein Überbein, die Mediziner sprechen auch vom "Ganglion". Heute soll es bei Jose´S. entfernt werden.

    "Jetzt wird die Haut desinfiziert. Ist das kalt, merken sie da noch etwas? So, jetzt lassen wir die Desinfektion gut einwirken."

    Das Überbein von Jose´ S. sieht aus wie eine Beule auf dem Handgelenk. Es hat, wie jedes typische Überbein, seinen Ursprung tief im Gelenkinnern. Dort, entweder an der Gelenkkapsel oder an einer Sehnenscheide, bildet sich eine Art Aussackung, eine Zyste. In sie dringt nach und nach Gelenkflüssigkeit ein. Die Zyste erweitert sich, es dringt noch mehr Flüssigkeit ein. Mit der Zeit verfestigt sich der Inhalt der Zyste zu einer gallertartigen Masse. Und das Ganze ragt dann oft wie eine Beule aus dem Gelenk. Warum ein Überbein überhaupt entsteht, ist in der Fachwelt umstritten. Manche machen eine starke Beanspruchung des Gelenks verantwortlich, andere glauben eher an genetische Ursachen. Klar ist auf jeden Fall: Ein Überbein ist harmlos, kann aber stören, denn es wird mitunter einige Zentimeter groß und verursacht Schmerzen, so wie bei Jose´ S. Paul Altmann hat ihm daher zur Operation geraten.

    "So jetzt haben wir den Hautschnitt durchgeführt und gehen in die nächsten tieferen Schichten und versuchen uns mal, die Anatomie klar zu machen."

    Rund 30 Minuten wird die Operation insgesamt dauern. Für Paul Altmann ist es ein Routinefall, die Entfernung eins Überbeins gehört zu den häufigsten Operationen, die er als Handchirurg durchführen muss. Die Diagnose ist in in der Regel einfach: Allein durch Anschauen und Tasten kann ein erfahrener Arzt mit ziemlicher Sicherheit sagen, ob der Knoten dort am Handgelenk ein Überbein ist oder nicht. Eine zusätzliche Röntgenaufnahme klärt, ob eventuell ein Knochen betroffen ist oder andere Erkrankungen hinter der Schwellung stecken. In einem Punkt kann Paul Altmann die Patienten fast immer beruhigen: Ein Überbein hat nichts mit Krebs zu tun. Dennoch dürfen Ärzte es sich auch nicht zu leicht machen mit der Diagnose. Denn es gibt seltene Erkrankungen, die sehen nur auf den ersten Blick aus wie ein Überbein oder Ganglion.

    "Dazu gehört zum Beispiel, gerade auch bei jungen Leuten, eine so genannte Lunatum-Nekrose. Was ist das? Das ist das Absterben eines Knochens der Handwurzel. Das ist ein Krankheitsbild, man nennt es auch Mondbeintot, das ist schon ein problematisches Krankheitsbild, wo die Durchblutung eines Knochens gestört ist, der Knochen dadurch die Form verliert, sich verändert, eventuell auch zerbrechen kann. Also, das heißt: Ganglion heißt, wenn einer Schmerzen hat und ein Ganglion, gehört es immer dazu, zumindest die grob wichtigen Dingen auszuschließen."

    Aber in den allermeisten Fällen ist der entstandene Knoten tatsächlich ein zwar unangenehmes, aber vollkommen harmloses Überbein. Am häufigsten ist das Handgelenk betroffen. Aber es gibt auch Überbeine an den Fingergelenken oder am Fußgelenk.

    Die Therapie des Überbeins ist leider nicht ganz einfach. Die Standardmethode früher war brutal: Mit einem Hammer wurde der Knoten zertrümmert. Standard heute ist die Operation. Allerdings: Mindestens bei jedem zehnten Patienten kommt das Überbein wieder zurück. Paul Altmann rät seinen Patienten daher zunächst zu einer sanfteren Methode. Sie sei zumindest einen Versuch wert und beruhe auf der besonderen Anatomie des Überbeins:

    "Man kann das vergleichen mit einem Ballon, Luftballon, wo sie unten den Eingang haben zum Reinpusten, so hat ein Ganglion auch einen kleinen Stiel. Und dieser ist in der Regel offen, zumindest in eine Richtung. Und dann kann sich immer weitere Flüssigkeit hinein bewegen, während es häufig nicht mehr zurück geht. Das kann ein Ansatz zu einer ersten Behandlung sein. Wenn man sagt: Ich habe hier so einen Knoten, der tut nicht weh, der stört mich nicht sehr, aber ich bin verunsichert: was ist denn das, was kann man machen? Dann kann man jedem Patienten erst einmal empfehlen, diesen Knoten, wenn das ein Ganglion ist, leicht zu massieren und damit versuchen, etwas Druck auszuüben, dass sich dieser Stiel wieder erweitert und auch die Flüssigkeit wieder zurück gehen kann. (...) Das ist die Erfahrung, dass diese Ganglien auch spontan wieder weggehen können und dass man dieses spontane Weggehen auch ein bisschen unterstützen kann."

    Auch das Absaugen der Flüssigkeit aus dem Ganglion mit Hilfe einer Spritze ist möglich, aber nur selten erfolgreich. Wenn ausgiebiges Massieren und ein oder mehrmaliges Punktieren nicht zum Erfolg führen, hilft nur noch Operieren. So, wie beim Überbein von Jose´S.

    Paul Altmann ist bereits in die tieferen Schichten des Handgelenks vorgedrungen.

    "Wir sind in einer spannenden Region. Hier in der Nähe läuft die Ellenarterie und auch der Ellennerv, so dass wir schon sehr vorsichtig präparieren müssen. Jetzt hat sich das Ganglion eröffnet und es entleert sich so eine typische gallertige Masse, das ist Gelenkflüssigkeit, die sich eingedickt hat im Laufe der Zeit. Wenn man jetzt das Ganglion so einigermaßen rundherum frei gelegt hat, ist es ganz wichtig, auch den Stiel zu finden. Das heißt: Wo kommt es genau her?
    Jetzt haben wir hier den Stiel, für die Assistentin sehr schwierig, sie muss hart die Haken halten, das ist anstrengend."

    Jose´S. merkt von alldem nichts, er ist eingeschlafen, die Narkose tut ihre Wirkung.
    Paul Altmann schneidet jetzt das Ganglion am Stiel ab.

    "So, das ist der Sack des Ganglions, sehr vernarbt, nicht so glatt wie sonst, die Oberfläche. Schauen wir noch mal, dass wir den Stiel auch ganz vollständig draußen haben.
    Wir können uns auf den Rückzug machen, Saugdrainage brauchen wir auch nicht einzulegen und dann machen wir schon die Hautnaht."

    Jose´ S bekommt zum Schluss eine Schiene und einen Verband um den Unterarm. Nach wenigen Wochen wird er seine Hand wieder schmerzfrei bewegen können. Auch Handchirurg Paul Altmann hatte übrigens mal ein Überbein am Handgelenk.

    "Ich weiß genau, dass ich eine Schwellung hatte, ich schätze ich war 15 oder 17 in dem Alter, und genau typisch an der Stelle und ich bin zu einem uns bekannten Chirurgen gegangen, der hat mir eine Salbe verschrieben, und die sollte ich kräftig einmassieren und das habe ich auch brav gemacht - und das Ganglion war irgendwann weg."