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Radsport: Roglič gewinnt Vuelta
Auf dem Gipfel der zweiten Karriere

Primož Roglič krönt sich zum Vuelta-Champion. Der frühere Skispringer schreibt damit Radsport-Geschichte. Er ist der erste Slowene, der eine Grand Tour gewinnt. Und er ist der erste Mensch, der weit auf Skiern ins Tal segeln und schnell mit dem Rad Gipfel erklimmen kann.

Von Tom Mustroph | 15.09.2019
Sieger der Spanien-Rundfahrt "Vuelta a Espagna" 2019: Ex-Skispringer Primoz Roglic.
Sieger der Spanien-Rundfahrt "Vuelta a Espagna" 2019: Ex-Skispringer Primož Roglič. (dpa / picture alliance / Yuzuru Sunada / BELGA)
Ungewöhnlich hart war sie, die 74. Spanien-Rundfahrt. Knapp 3300 Kilometer und acht Bergankünfte standen auf dem Programm: "Im Vergleich zu den anderen Grand Tours, die ich in meiner Karriere so gefahren bin, ist das die härteste soweit. Die Etappen sind megaschwer und die Fahrweise ist auch außergewöhnlich hart", bilanzierte Radprofi John Degenkolb. Nur eine einzige Etappe war vor dem Abschluss in Madrid für den Frankfurter zum Verstecken im Hauptfeld geeignet. Bei allen anderen Renntagen mussten sogar die Sprinter stets Vollgas geben, um überhaupt im Rennen bleiben zu können.
Das lag natürlich auch an dem Leistungsniveau von Rundfahrtsieger Primož Roglič und seinen Rivalen. Der Slowene war im Zeitfahren eine Klasse für sich, übernahm im Kampf gegen die Uhr nach der Hälfte der Vuelta das Führungstrikot und gab es danach nicht mehr ab. Und auch in den Bergen konnte er die Angriffe meist nicht nur abwehren, sondern gelegentlich auch eigene Akzente setzen. Das machte er besser als noch beim Giro d’Italia im Mai. Damals rutschte er in der letzten Woche noch auf Rang drei ab.
"Ich denke schon, dass er sehr viel gelernt hat aus dem Giro", sagte Teamkollege und Zimmernachbar Tony Martin. "Vielleicht gar nicht so viel, was jetzt innerhalb des Rennens geschehen muss, sondern vielmehr, wie er sich auf so eine Dreiwochen-Rundfahrt vorbereiten muss."
Dramatische Momente
Wenige Stunden nach dieser Einschätzung stürzte der Thüringer und musste das Rennen verlassen. Ein Rückschlag für Roglič, der ebenfalls stürzte. Die folgende halbe Stunde dieser 19. Etappe war der wohl dramatischste Moment dieser Rundfahrt. Denn während Roglič, Martin und zahlreiche weitere Profis auf dem Asphalt lagen, machte vorn das Team Movistar mit seinen Kapitänen Alejandro Valverde und Nairo Quintana Druck. Schnell war eine Minute herausgefahren.
Der Angriff des spanischen Rennstalls wurde allerdings von vielen anderen Fahrern als unfair gewertet. Astana-Kapitän Miguel Angel Lopez schimpfte am drastischsten: "Die Movistar-Fahrer sind immer die Dummköpfe, die solche Situationen ausnutzen. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert. Ich glaube, es fehlt einfach Respekt."
Movistar gab nach zehn Kilometern wilder Jagd klein bei und ließ Roglič und die meisten anderen aufschließen. Für einen zweiten Schreckmoment hatte Roglič selbst gesorgt, für einen Moment, der 220 Kilometer andauerte. Zu Beginn der 17. Etappe war er hinten im Feld. Ganz vorn sorgten Seitenwind und erneut ein wie entfesselt fahrendes Team Movistar dafür, dass das Peloton zerriss. Roglič verlor im zweiten Teil des Feldes über fünf Minuten auf Movistar-Ko-Kapitän Nairo Quintana. Er gestand später ein:
"Ich habe da einen Fehler gemacht. Ich war nicht da, wo ich hätte sein sollen zu Beginn des Rennens. Das Team musste dann hart arbeiten und sie haben mich gerettet. Danach waren wir wieder in einer guten Position."
Nüchtern, clever, stark
Diese Nüchternheit zeichnet den Slowenen aus. Wenn er Fehler macht, gibt er sie offen zu. Fehler der anderen nützt er clever aus und war so deutlich stärker als die Phalanx von Movistar, die schon bei der Tour de France ihre Schwächen offenbarte.
Am entscheidenden Tag der Vuelta kam Roglič dann die Attacke seines Landsmanns Tadej Pogačar zu pass. Roglič hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Helfer mehr an seiner Seite, war an diesem letzten großen Berg der Vuelta schon isoliert, rettete aber den Vorsprung ins Ziel. Landsmann Pogačar ist mit nur 20 Jahren die Entdeckung dieser Vuelta. Gleich drei Bergetappensiege holte er. Und mit dem letzten katapultierte er sich noch aufs Podium und zum Sieger der Nachwuchswertung.
Noch zwei Jahre jünger als Toursieger Egan Bernal, konnte Pogačar seinen Durchbruch selbst kaum fassen: "Ich kam her, um Erfahrungen zu sammeln, um es Tag für Tag anzugehen. Und nun bin ich mit vorn im Klassement. Ich bin richtig glücklich."
Auch Rogličs Team wird stärker
Sein Soloritt auf der 20. und vorletzten Etappe half auch Landsmann Roglič. Denn der musste keine Nachführarbeit leisten. Roglič gewann aber auch, weil sein Team stärker war als noch beim Giro. Es legt überhaupt Jahr für Jahr zu. Teamkollege George Bennett, der wichtigste Helfer in den Bergen erklärt: "Es ist ein ganz natürliches Wachstum. Wir machten am Anfang jede Menge Fehler. Wir versuchen daraus zu lernen und nehmen einige Veränderungen vor."
Als Lernfelder zählt Bennett auf: "Ernährung, Ausrüstung, die Rennprogramme vor den Grand Tours. In den Giro kamen die Jungs viel zu heiß rein. Auch die Kleidung ist wichtig. Es umfasst sehr viele Dinge. Viele kleine Sachen können da zusammenkommen."
Das klingt ganz nach der "marginal gains"-Philosophie von Team Ineos. Dem Branchenführer aus Großbritannien erwächst in Rogličs Jumbo-Visma-Team ein immer gefährlicherer Rivale. Und jetzt verpflichtete die Mannschaft für die kommende Saison den früheren Giro-Sieger Tom Dumoulin. Mit ihm, Roglič und mit dem Tour-Dritten Steven Kruijswijk könnte tatsächlich die Ineos-Dominanz bei der Tour de France ein Ende finden.