Donnerstag, 25. April 2024

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Rätselhafte Stelen
Unverlangt aufgestellt

Weltweit tauchen plötzlich metallene Stelen an unterschiedlichsten Orten auf - von Las Vegas bis Sulzbach, im Gebirge oder auf dem Acker. Vieles könne man in diese Stelen hineininterpretieren, meinte der Kunstkritiker Carsten Probst im Dlf, das mache die Objekte so reizvoll.

Carsten Probst im Gespräch mit Michael Köhler | 12.12.2020
Ein Monolith aus Metall steht unterhalb des Schlosses Neuschwanstein auf einer Wiese im Schnee. Wer die rund zwei Meter große Metall-Stele in dem Feld in Schwangau (Landkreis Ostallgäu) aufgestellt hat, ist noch unklar.
Rätselhafter Monolith nahe Neuschwanstein entdeckt (picture alliance/dpa/Karl-Josef Hildenbrand)
Die erste Stele in Utah könnte möglicherweise ein experimentelles Stück Gegenwartskunst sein, das vor ein paar Jahren in Utah erst aufgebaut dann vergessen wurde und nach seiner zufälligen Entdeckung plötzlich viral ging.
Die folgenden Stelen hält Carsten Probst allerdings für spontane Nachahmeraktionen, eine Art "ästhetischen Flashmob", angefeuert durch gewagte Theorien. "Da geht es eigentlich nur um die Frage: Könnten Außerirdische im Spiel sein? Ist es eine geheime Vorrichtung der Regierung? Ist es ein Altar der Illuminati? Allein schon die Bezeichnung als "Monolith" zeugt von diesem Reiz des Unbekannten."
Reaktion auf Informationsgesellschaft
Eine weitere Möglichkeit wäre eine Aktion aus dem Umfeld der Land Art. Dieser Kunstrichtung geht es seit den sechziger Jahren darum, Kunst aus institutionellen Orten wie Museen zu lösen, und sie an möglichst kunstfernen Orten stattfinden zu lassen: In der Wüste, am Ufer eines Salzsees, sogar im Weltall oder auf dem Mond. So sollten die Werke nicht gleich mit den typischen Lesarten von Kunst überfrachtet werden.
Es gebe aber auch einen entscheidenden Gegensatz der Stele von Utah zur Land Art, meint Carsten Probst - der oder die Urheber*innen seien bislang anonym. Land Artists dagegen legten meist großen Wert darauf, sich als Urheber dieser von ihnen als besonders heroisch autonom verstandenen Interventionen zu erkennen zu geben.
Genau das mache die Spekulationen und auch die Nachahmung so reizvoll. "Wäre der Urheber der Stele von Utah klar identifiziert, wäre dieser Zauber mit einem Schlag vorbei. Manche Autoren sagen deshalb: Die Land Art mag in ihrer Zeit eine Reaktion auf die Kunstinstitutionen in den Großstädten gewesen sein – die Stele von Utah hingegen reagiert auf die Informationsgesellschaft, in der alles sofort gegoogelt und wikipediatisiert werden kann."
Kunstwerk mit Fragenkatalog
Nimmt man sie aber als Kunstwerk, muss man feststellen: das Werk erscheint altmodisch, fast kitschig, als eine museale Inszenierung von längst überwunden geglaubten Diskursen um das Erhabene und das Verhältnis von Kunst und Natur.
Gerade deshalb käme sie kaum als ein Werk von John McCracken in Betracht, der ja immer wieder als potentieller Urheber genannt wird. John McCracken hätte für seine Skulpturen sicherlich nicht so ein museal-romantisch aufgeladenes Landschaftssetting gewählt.
Andererseits muss man den Überraschungseffekt einbeziehen: Niemand rechnet mit einem potenziellen Museumsstück an solchen Orten. "Am Ende lässt sich festhalten - reizvoll ist die Stele nicht deshalb als Kunstwerk, weil sie Antworten gibt, sondern weil sie Fragen aufwirft."